IM INTERVIEW: THOMAS MEISSNER, LANDESBANK BADEN-WÜRTTEMBERG

Pfund-Parität zum Euro möglich

Analyst zu Auswirkungen eines Brexit auf die Kapital- und Währungsmärkte - Bundestitel wären Gewinner

Pfund-Parität zum Euro möglich

Thomas Meißner von der Landesbank Baden-Württemberg rechnet nicht mit einem Brexit am 23. Juni. Sollte es dennoch dazu kommen, könnte das britische Pfund ganz erheblich abwerten. Auch die Parität zum Euro scheint dann für ihn möglich. Bundesanleihen könnten wie in früheren Krisen auch schon von ihrem Status als sicherer Hafen profitieren.Unser Hauptszenario ist ein Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU. Ein Restrisiko verbleibt: Wahlumfragen und Wettbüros, die suggerieren, die Stimmung im Land sei pro EU, sind unpräzise. Dies gilt besonders bei einer emotional aufgeladenen Abstimmung wie derjenigen über den Brexit, bei der eine Regierung klare Vorgaben macht, was ihrer Meinung nach zu wählen ist.- Wenn es zum Austritt kommt, wie wird das ablaufen? Kommt es zum Rosenkrieg, dem “Dirty Break”, oder gehen Sie von einem gesitteten Ablauf mit Austrittsvertrag aus?Viel wird davon abhängen, wie die Rest-EU verhandeln wird. Deren Interesse dürfte darin bestehen, es den Briten schwer zu machen und auf diese Weise weitere Länder davon abzuhalten, gleichfalls auszutreten. Dabei kann eine harte Verhandlung in einem “Dirty Break” enden: einem ungeordneten Austritt ohne Vertragsgrundlage. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ordnen wir aber im einstelligen Prozentbereich ein. Dass weitere Länder der EU Adieu sagen, vielleicht Dänemark, Finnland oder die Niederlande, ist für uns nicht wahrscheinlicher. Für den Fall eines Brexits ist auf die längere Sicht zu fragen, welchen rechtlichen Status Großbritannien vis-à-vis der EU einnehmen wird: ähnlich wie Schweden, wie Norwegen oder doch eher wie Kanada?- Können Sie kurz skizzieren, welche Rechtsbereiche, welche Wirtschaftsbranchen, welche Abkommen betroffen sind?Die Briten stellen für sich viel zur Disposition – Freiheit im Warenverkehr und bei den Dienstleistungen innerhalb Europas, Kapitalverkehrsfreiheit und eine Arbeitnehmerfreizügigkeit; daneben den “gemeinsamen Besitzstand” der EU: mehr als 6 000 Richtlinien, 140 000 Verordnungen oder auch 18 000 Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes. Sofern sich dies nicht in nationalem Recht widerspiegelt, müssten die Briten diese Regularien ersetzen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang für die britischen Unternehmen: die “Passport”-Rechte – die Möglichkeit, in der EU Niederlassungen zu gründen, ohne diese jeweils im Gastland konzessionieren lassen zu müssen.- Die ökonomischen Folgen werden an den Finanzmärkten ablesbar sein. Mit welchen Währungsbewegungen in welchen Zeiträumen rechnen Sie?Für den Fall eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU scheint vieles möglich, selbst ein Fall des Pfund Sterling in Richtung Parität zum Euro. Solche Werte haben wir letztmalig 2009 gesehen – zu Hochzeiten der Finanzkrise. Den Briten mit ihrem doppelten Defizit bei Leistungsbilanz und öffentlichem Haushalt könnten für Jahre die Investoren den Rücken kehren. Wenn das britische Beispiel indes Schule macht, dürfte nachfolgend der Euro verlieren. Alles in allem würde es ungemütlich am Devisenmarkt.- Wie werden die Aktienmärkte in Europa und vor allem der britische Aktienmarkt auf einen Brexit reagieren?Nach unserem Dafürhalten haben die britischen Unternehmen im Brexit-Fall mehr zu verlieren als deren Pendants vom Kontinent. Gerade die deutschen Unternehmen haben in den zurückliegenden Jahren mehrfach bewiesen, dass sie mit isolierten Problemen in einzelnen Ländern umgehen und bei den Absatzmärkten schnell umdisponieren können.- Welche Anpassungen erwarten Sie an den Credit-Märkten? Welche Credits sind am stärksten betroffen und aus welchen Gründen?Auch hier gilt: Viel wird davon abhängen, wie die Austrittsverhandlungen laufen und was dort vereinbart wird. Speziell für die Eurozone gilt es zu beachten, dass die EZB just in diesem zweiten Quartal ihre Anleihe-ankaufprogramme auf den Unternehmenssektor ausweitet – eine immense Stütze für die betroffenen Emittenten.- Wie werden die Staatsanleihemärkte in der Eurozone, vor allem die Bundesanleihen, reagieren?Wir haben es in den zurückliegenden Jahren immer wieder erlebt: Unsicherheit, wie sie mit einem Brexit ins Haus stünde, forciert eine “Flucht in Qualität” und einen Zufluss in die vermeintlich sicheren Häfen. Größter Nutznießer im Euroraum in der Regel: die Bundesanleihen. Staatsanleihen aus anderen Euro-Staaten partizipieren in solchen Phasen in der Regel unterproportional.- Was erwarten Sie für den Immobilienmarkt in Großbritannien, vor allem aber für den Londoner Markt, wenn die Briten Nein zur EU sagen?Unseres Erachtens würde Großbritannien in diesem Falle in eine Rezession schlittern und auch nachfolgend schwächer wachsen als bislang. Einher ginge dies mit einer ansteigenden Arbeitslosigkeit. Auch wäre Großbritannien dann weniger attraktiv für Zuwanderer, sei es aus dem übrigen Europa, sei es aus Übersee. All dies hätte Folgen für den britischen Immobilienmarkt. Gegenzurechnen ist, dass speziell in London die Preise in den zurückliegenden Jahren überdurchschnittlich zugelegt haben. Wenn es am britischen Immobilienmarkt, insbesondere in London, zu einer gewissen Beruhigung käme, wäre dies teilweise sogar zu begrüßen.- Wie werden sich die UK Covered Bonds in einem Brexit-Szenario entwickeln?In vielen Finanzmarktsegmenten, nicht nur bei den gedeckten Schuldverschreibungen, haben die britischen Vertreter in den vergangenen Wochen vergleichsweise schlecht abgeschnitten. Nach vorn blickend werden die Spread-Ausschläge der britischen Covered Bonds nach unserem Dafürhalten alles in allem überschaubar bleiben.- Werden andere Covered Bonds in Europa und nicht nur in der Eurozone von einer derartigen Entwicklung profitieren können?Wenn der Austritt des Vereinigten Königreichs für die EU ein singuläres Malheur bleibt, werden bei den Marktbewertungen über kurz oder lang die Fundamentalfaktoren wieder die Oberhand gewinnen. Zu fragen ist, wie viel Europa insgesamt zu verlieren hat bei einem Austritt der Briten aus dem Gemeinschaftsprojekt. Eine Diskussion, wem in Europa ein Brexit nützt, führt meines Erachtens nicht weiter.- Welche Chancen sehen Sie an den Finanzmärkten für den Fall eines Brexits?Die Schwankungen dürften sich erhöhen, zumindest auf eine mittlere Sicht. Dabei gibt es viele Finanzmarktakteure, die derartige Phasen weidlich auszunutzen pflegen. Wir sähen es als sinnvoll an, graduell umzugewichten, innerhalb Europas zugunsten von Kontinentaleuropa. Nicht nur vor dem Hintergrund eines aktuell allgemein niedrigen Renditeniveaus kommt man um Risiken, so in Aktien und Credits, generell kaum herum – Brexit hin oder her.- Wie nachhaltig wird ein Brexit die Märkte beschäftigen?Das große Risiko eines Brexits läge mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der politischen Ebene: Es gilt, Ansteckungseffekte in weiteren Ländern zu verhindern. Einen isolierten Austritt Großbritanniens halten wir rein ökonomisch für beherrschbar, und nach meiner Wahrnehmung sehen die Märkte dies ähnlich. Insofern würden sich die Aktien, die Renten und auch die Währungsmärkte mittelfristig anderen Themen zuwenden: der Lage in China, der anstehenden US-Präsidentenwahl oder der Geopolitik.- Und wenn er doch nicht kommt, der Brexit? An welchen Marktsegmenten werden die größten Anpassungsreaktionen stattfinden?Nach meinem Dafürhalten wird auch dann viel über den Devisenmarkt laufen. Die Austauschverhältnisse zwischen einzelnen Währungen absorbieren regelmäßig viel, auch dann, wenn die Marktakteure beginnen, die Wahrscheinlichkeiten bestimmter Ereignisse zurückzuschrauben.—-Das Interview führte Kai Johannsen.