GASTBEITRAG

Populismus könnte eine Inflationswelle auslösen

Börsen-Zeitung, 7.12.2018 Populistische Politiker in den USA und Europa haben sich eine wirtschaftspolitische Agenda vorgenommen, welche die Preisstabilität der vergangenen Jahrzehnte gefährdet. Obwohl Notenbanken auf beiden Seiten des Atlantiks...

Populismus könnte eine Inflationswelle auslösen

Populistische Politiker in den USA und Europa haben sich eine wirtschaftspolitische Agenda vorgenommen, welche die Preisstabilität der vergangenen Jahrzehnte gefährdet. Obwohl Notenbanken auf beiden Seiten des Atlantiks aktuell den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik suchen, könnten letztendlich strukturelle Faktoren höhere Inflationsraten – auch in Deutschland – auslösen. Strukturelle FaktorenTrotz der expansivsten Geldpolitik aller Zeiten bewegen sich die Inflationsraten im Euroraum und in Deutschland seit der Finanzkrise überwiegend unterhalb der EZB-Zielmarke von 2 %. Das Inflationspuzzle ergibt sich aus dem Widerspruch zwischen der Stärke des monetären Impulses und den nur moderaten Auswirkungen auf die Inflation. Dabei haben Anhänger der Denkschulen des Monetarismus und Neo-Keynesianismus – bei allen Unterschieden – doch gemein, dass eine expansive Geldpolitik inflationär wirken sollte. Die Weisheit, nach der Inflation ein monetäres Phänomen ist, muss ergänzt werden um strukturelle Faktoren, unter denen dieser Mechanismus nur bedingt funktioniert. Diese Faktoren liegen häufig außerhalb der Geldpolitik. Deflationäre GlobalisierungVier Kräfte begünstigen den strukturellen Inflationsrückgang in Deutschland, der seit den neunziger Jahren vorherrscht. Der erste Faktor ist die Globalisierung, welche durch den Import günstiger Güter die Verbraucherpreise in Schach hält. Der zweite Faktor ist der starke Wettbewerb auf dem deutschen Arbeitsmarkt; die Einbindung der neuen Bundesländer, die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte durch die Agenda 2010 und der Zuzug von Arbeitskräften aus den EU-Mitgliedstaaten führten in Deutschland bislang zu mehr Wettbewerb und nur moderaten Lohnsteigerungen. Lohn-Preis-Spiralen wie in den siebziger Jahren wurden so unterbunden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Demografie: Die Alterung der Gesellschaft wirkt aufgrund geringerer Wachstumsaussichten und des veränderten Konsum- und Sparverhaltens der älteren Generation deflationär. Als vierter Punkt ermöglicht der technologische Fortschritt zunehmend die Produktion günstiger Produkte bei geringerer Auslastung der Belegschaft. Zudem sind im globalen Währungssystem erste Spannungen erkennbar: Infolge der Euro-Krise wurde die Integrität des Euroraums vielfach in Frage gestellt; langfristig könnte zudem die Vorrangstellung des US-Dollar infolge des Aufstiegs Chinas zumindest teilweise geschwächt werden. Die vier deflationären Kräfte und die Stabilität des globalen Währungssystems hatten in den vergangenen 30 Jahren für einen stetigen Inflationsrückgang gesorgt; doch eine populistische Wirtschaftspolitik könnte diesen Trend umkehren. Missachtung der FolgenIn Zukunft wird die Politik nur geringen Einfluss haben auf die zunehmende Alterung der Gesellschaft und den technologischen Fortschritt. Allerdings könnten politische Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene sehr wohl den bereits nachlassenden Welthandel weiter belasten und den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt einschränken. Hierbei lohnt sich ein genauer Blick auf die Wesenszüge und die Wirtschaftsagenda der Populisten. Wirtschaftsprofessor Barry Eichengreen von der Universität von Kalifornien, Berkeley, definiert Populismus als politische Bewegung mit anti-elitären, autoritären und nativistischen (im Sinne von nationalen) Tendenzen. Die Wirtschaftspolitik der Populisten zeichnet sich nach Eichengreen durch einen Fokus auf Umverteilung und kurzfristige Wachstumssteigerungen unter Missachtung der langfristigen Folgen für die Verschuldung und Inflation aus. Zunehmender WiderstandDie Wirtschaftsagenda von Präsident Trump trägt klar populistische Züge: Protektionismus heimischer Produkte durch Strafzölle, die Abschottung des Arbeitsmarkts durch Einschränkungen bei der Immigration und Einbürgerung sowie ein massiver fiskalischer Impuls durch Steuersenkungen. Zudem wächst Trumps Kritik an den Zinsanhebungen der US-Notenbank. In der EU gibt es zwar seit Jahren zahlreiche populistische Bewegungen, doch haben die Populisten erst nach den diesjährigen Wahlen in Italien Regierungsverantwortung in einer großen Wirtschaftsnation übernommen. Im europäischen Kontext sind die Personenfreizügigkeit und der Fiskalpakt noch Bollwerke einer liberalen Wirtschaftsordnung. Allerdings wächst zunehmend der Widerstand. Populistische Parteien dringen auf Immigrationsbeschränkungen, Protektionismus und schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme; sie treten zudem als Kritiker des Euro und der Europäischen Union auf.Auch in Deutschland hat der Populismus an Bedeutung gewonnen, was sich am Einzug der AfD in den Bundestag ablesen lässt. Auch wenn die AfD keine Regierungsverantwortung trägt, kamen die Verschärfung des Asylrechts und die Debatte über ein Einwanderungsgesetz sicher auch auf Druck der neuen Oppositionspartei zustande. In diesem Umfeld dürfte auch der Spielraum etwa für eine weitere europäische Integration begrenzt sein. ArbeitsunfallGroßbritannien ist hinsichtlich des Populismus ein Sonderfall. Die Erfolge der populistischen Ukip-Partei hatten Premierminister David Cameron 2013 erst dazu bewegt, das EU-Referendum anzusetzen. Sollte die Einigung mit der EU im britischen Parlament scheitern und ein harter Brexit kommen, dann hätte sich die Minderheit der Populisten durchgesetzt. Das einstige liberale Vorzeigeland hätte – quasi durch einen Arbeitsunfall – Einwanderungsbeschränkungen und Zölle eingeführt. Kurzum sind die USA und Großbritannien bereits auf dem Weg zu einer populistisch geprägten Wirtschaftsagenda, während in der EU ähnliche Bewegungen erst noch am Anfang stehen. Anleger sollten vorbereitet seinDie liberale Wirtschaftsordnung aus der Ära der Globalisierung ist auf dem Rückzug. Hingegen sind Populisten weltweit im Aufwind mit einer Agenda, welche die langfristigen Folgen für Inflation und Verschuldung ausblendet. Aktuell sind die Inflationsraten zwar moderat und die Inflationserwartungen weiterhin verankert; diese Annahme könnte allerdings in Zukunft hinterfragt werden. Bei der Inflationseinschätzung sollte man sich nicht allein auf die Geldpolitik verlassen, sondern auch strukturelle Faktoren hinsichtlich des Welthandels, der Immigration, der Arbeitsmarktflexibilität, der Demografie und des technologischen Fortschritts hinzuziehen. Es kann sein, dass in den kommenden Jahren das Umfeld für höhere Inflationsraten geschaffen wird. Anleger sollten auf den Wandel vorbereitet sein.—-Marco Willner, Mitbegründer und Geschäftsführer von Resolute Investments