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Ratingdruck im Versorgersektor

Von Rodger Rinke *) Börsen-Zeitung, 19.7.2012 Dass auf den Versorgersektor in den kommenden Jahren Herausforderungen zukommen werden, ist nicht erst seit der Energiewende inklusive des beschlossenen Atomausstiegs bekannt. Vielmehr rühren die...

Ratingdruck im Versorgersektor

Von Rodger Rinke *)Dass auf den Versorgersektor in den kommenden Jahren Herausforderungen zukommen werden, ist nicht erst seit der Energiewende inklusive des beschlossenen Atomausstiegs bekannt. Vielmehr rühren die Herausforderungen daher, dass die turnusmäßige Erneuerung des Kraftwerkparks und die damit verbundenen Investitionen mit dem erwünschten Ausbau der erneuerbaren Energien zusammenfallen, alles flankiert von der Staatenkrise in der Eurozone und deren wirtschaftlichen Auswirkungen. Etwas verkürzt ließe sich sagen, das Spannungsfeld zwischen Investitionen und deren Finanzierung wird aktuell durch regulatorische, operative und umwelttechnische Herausforderungen noch verschärft.Oberstes Ziel des Investitionsprogramms, das wir für die von uns betreuten Unternehmen des Sektors auf fast 70 Mrd. Euro pro Jahr taxieren, ist dabei die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, die insbesondere auch vor dem Hintergrund der Netzan- und -einbindung der erneuerbaren Energien erfolgen muss. Gleichzeitig tun sich aber viele weitere Baustellen auf. Exemplarisch seien die Nachfrageschwäche im Strombereich, die CO2-Auktionierung und die Schwierigkeiten im Gasbereich genannt. Finanzkraft in GefahrFür sich genommen sollten diese Punkte die Finanzkraft des Sektors nicht ins Wanken bringen. Deren Kombination, also die aktuell vorherrschende Situation, bringt jedoch kräftige negative Auswirkungen auf das Finanzrisikoprofil mit sich. Isoliert betrachtet, ohne Gegenmaßnahmen, droht an diesem Punkt eine Negativspirale: Die Ertragskraft und damit auch die Finanzkennzahlen drohen, das Rating der Unternehmen in Gefahr zu bringen, in der Vergangenheit sicherer Indikator dafür, dass die Finanzierungskosten ansteigen und damit die zukünftige Ertrags- und Finanzlage zusätzlich negativ beeinflusst wird.Verschärft oder entspannt wird die Situation je nach Standpunkt von der Sovereign-Krise. Während sich beispielsweise die in Deutschland beheimateten Versorger im Licht des “sicheren Hafens” sonnen können und deren Finanzierungskosten (auch bedingt durch den Deutschland-Bonus) historisch niedrig sind, stellt sich die Situation im Süden Europas entgegengesetzt dar. Fundamental solide Unternehmen geraten dort durch die Staatenkrise und deren Folgen stark unter Druck. Hohe Zinssätze und ein eingeschränkter Kapitalmarktzugang sind dabei die direkten Folgen der abrutschenden Ratings, oftmals rein technisch getrieben von der Methodik der Ratingagenturen.Dies ist den Unternehmen natürlich nicht entgangen. Daher wurde von den einzelnen Unternehmen meist ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt, mit denen die Unternehmen, auch die auf der “Sonnenseite” des Kapitalmarkts, nach Entspannung und Entlastung suchen. Das Bündel an Gegenmaßnahmen umfasst dabei zumeist folgende Punkte: Allen voran stehen die Reduzierung und die Flexibilisierung von Investitionsausgaben. Hierbei sind jedoch die Entlastungsmöglichkeiten aus unserer Sicht begrenzt, schließlich bieten sich aktuell einige, allerdings sehr kapitalintensive Geschäftsmöglichkeiten, die genutzt werden wollen. Exemplarisch zeigt dies der Ausbau der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig konzentrieren sich die Unternehmen auf ihre Kerngeschäftsfelder und trennen sich von definierten Randaktivitäten, zu denen nun meist das regulierte und stabile Netzgeschäft zählt. Die damit einhergehende Verschlechterung des Geschäftsrisikoprofils und der Wegfall von Erträgen werden jedoch durch den damit verbundenen Schuldenabbau mehr als aufgewogen. Zudem landen zumeist historisch “gesammelte” Minderheitsbeteiligungen auf der Verkaufsliste, deren strategischer Wert an Bedeutung verloren hat.Daneben wird aber auch intern der Rotstift angesetzt. Die sogenannten Effizienzprogramme sollen beispielsweise gewachsene Doppelstrukturen beseitigen und Kosten reduzieren, oftmals verbunden mit einem deutlichen Personalabbau. Interessant aus Unternehmenssicht ist hier besonders der Stellhebel, der sich mit Blick auf die Finanzkennzahlen ergibt, schließlich werden hier oftmals Ertrag und Verschuldung gegenübergestellt. Änderungen auf der Ertragsseite erzielen teilweise große Wirkungen. Weitere Maßnahmen sind die Stärkung der Kapitalstruktur durch Kapitalmaßnahmen und Hybridemissionen, die Kürzung der Dividendenzahlungen oder die Zahlung von Dividenden in Aktien sowie das Eingehen von strategischen Partnerschaften.Dennoch lassen sich zunehmend negative Ratingbewegungen vom “A”-Bereich in den “BBB”-Bereich beobachten, nicht zuletzt getrieben von der Staatenseite. So ist das Sektorrating nach unseren Berechnungen zwar noch im niedrigen “A”-Bereich angesiedelt, der sektorweite Abwärtstrend ist aber ganz klar erkennbar. Die Versorger selbst sehen aufgrund der Kapitalintensität des Sektors die Beibehaltung eines “starken” Investment-Grade-Ratings als wichtig an, definiert als Rating im “A”-Bereich. Doch was spricht für den Kampf um das Single-A-Rating aus Sicht der Versorger?Direkte Folge einer Ratingherabstufung, zumindest im normalen Umfeld, ist der Anstieg von Zins- und Liquiditätskosten, welcher sich nachteilig auf die weiteren Investitionsentscheidungen des Unternehmens auswirkt. Gleichzeitig setzt der investitionsbedingt hohe Finanzierungsbedarf von europäischen Versorgern eine breite Investorenbasis voraus, die durch Downgrades mehr und mehr eingeschränkt würde. Auch Vertragsbeziehungen zu Ausrüstern und Staaten dürften sich schwieriger gestalten, ebenso wie außerbörsliche Rohstoffbezugsverträge. Blick über den AtlantikVielleicht kann hier ein Blick über den Atlantik Teil der Lösung sein. Zwar sind US-Versorger deutlich kleiner und weisen daher nicht den Kapital- und Refinanzierungsbedarf ihrer europäischen Konkurrenten auf. Ihr Finanzierungsansatz unterscheidet sich jedoch stark von den Versorgern in Europa. Während diese Geld am Kapitalmarkt meist unbesichert auf Holdingebene aufnehmen, erlaubt die diversifizierte Kapitalstruktur der US-Versorger einzelne Emissionen im “A”-Bereich, obwohl die Konzern-Holding zumeist im “BBB”-Bereich angesiedelt ist. Dazu findet die Finanzierung auf Ebene der operativen Gesellschaften statt, was direkten Zugriff auf die Zahlungsströme und damit ein höheres Rating zulässt. Zusätzlich machen US-Versorger rege von besicherten Anleihen Gebrauch, ein in Europa ebenfalls selten benutztes Instrument.Klar ist, dass die kommenden Herausforderungen Antworten der Unternehmen bedürfen. Diese sind teilweise schon gegeben und befinden sich in Umsetzung. Die angesprochenen Änderungen im Finanzierungskonzept und in der Kapitalstruktur – über Hybridemissionen hinaus – könnten dabei Teil einer Lösung sein, um eine breite Investorenbasis zu sichern. Wir sind gespannt, wer sich im Sektor dabei nach vorne wagt.—-*) Rodger Rinke ist Credit Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg.