Einzelhandelsimmobilienaktien

Reopening-Wette mit hohen Risiken

Einzelhandelsimmobilienaktien sind eine riskante Wette auf die Wiedereröffnung. Denn durch die steigenden Coronainfektionen nimmt die Gefahr erneuter Lockdowns zu.

Reopening-Wette mit hohen Risiken

Von Christopher Kalbhenn,

Frankfurt

Sie zählen zu den Reopening-Wetten – Aktien, mit denen auf die Wiedereröffnung des öffentlichen Lebens gesetzt werden kann – schlechthin. Zunächst von der Coronakrise überproportional stark gedrückt, setzten die europäischen Einzelhandelsimobilienaktien im November 2020 zum Höhenflug an, nachdem die Nachricht über die hohe Wirksamkeit von Impfstoffen gegen das Coronavirus um die Welt gegangen war. Die Großen des Sektors Unibail-Rodamco-Westfield und Klépierre liegen derzeit 114% und 101% über dem Stand von Anfang November 2020.

Deutliche Underperformance

So beeindruckend die Kurserholung auch ist, ist jedoch unübersehbar, dass die Branche nach wie vor zu den großen Verlierern der Coronakrise zählt. Die monatelange Schließung des Einzelhandels infolge der Lockdowns, Insolvenzen von Mietern insbesondere im Bekleidungs- und Modeeinzelhandelsbereich, Mietausfälle bzw. notgedrungen gewährte Mietnachlässe und von der geschäftlichen Misere ausgelöste Wertverluste haben den Unternehmen stark zugesetzt. Die Folge ist eine deutliche Underperformance zum Gesamtmarkt. Im Vergleich zu Anfang 2020, als die Ausbreitung des Coronavirus noch nicht auf die Kurse durchgeschlagen hatte, liegen Unibail und Klépierre mit 47% und 32,5% im Minus, während die europäischen Aktienmärkte gemessen am Stoxx Europe 600 um 13,5% zugelegt haben.

Es sieht derzeit danach aus, dass die Aktien des Sektors noch lange brauchen werden, um auf Vor-Corona-Niveau zurückzukehren. Für die Branche spricht, dass der Einzelhandel die Pforten wieder öffnen durfte und vor allem die Impfkampagnen mittlerweile große Fortschritte gemacht haben, außerdem die Bereitschaft von Regierungen, auf höhere Infektionszahlen mit nicht mehr ganz so harten Einschränkungen zu reagieren. Doch die Erholung der Branche ist gefährdet. Die Entwicklung der Pandemie in den zurückliegenden Wochen machen sie für die Investoren zu einer Wette mit hohen Risiken. Schon vor dem Herbst haben die Infektionen wieder deutlich angezogen, nicht zuletzt aufgrund der ansteckenderen Delta-Variante. Ab einem gewissen Punkt muss wieder mit härteren Auflagen gerechnet werden. Erst recht gilt dies für den Fall, dass eine Virusvariante auftaucht, gegen die die Impfstoffe nur noch eingeschränkt oder gar nicht wirksam sind.

Belebung im zweiten Quartal

Die jüngste Berichtssaison spiegelt die schwierige Lage wider. So wirkten sich die Lockdown-Aufhebungen vom April und Mai, durch die die Einkaufszentren wieder öffnen durften, positiv aus. Mit 188,5 Mill. Euro stiegen die Mieteinnahmen aus Einkaufszentren der französischen Klépierre im Vergleich zum ersten Quartal um 48%. Das Unternehmen bestätigte seine Prognose für die Funds of Operations des Gesamtjahres von 1,89 Euro je Aktie, betonte aber, dass es zu neuen Restriktionen kommen könnte, wenn die Delta-Variante zu erhöhten Infektionen führen sollte. Letzteres ist mittlerweile geschehen.

Branchenprimus Unibail, der für das erste Halbjahr um rund 25% gesunkene Nettomieteinnahmen aus Einkaufszentren von 753 Mill. Euro auswies, berichtete ebenfalls von einer Belebung im Verlauf des zweiten Quartals. So sei es in Europa nach der Wiedereröffnung zu einem umgehenden Anstieg der Kundenfrequenz gekommen. Im Juni habe sie 76% des Niveaus vom Juni 2019 erreicht. Anders als Klépierre gab Unibail jedoch keine Prognose für das Gesamtjahr ab. Zwar stütze die Impfkampagne die operative Stabilisierung. Dennoch werde erwartet, dass die Auswirkungen von Covid-19 im zweiten Halbjahr anhalten werden. Die Entwicklung neuer Varianten und die zu ihrer Eindämmung erwogenen Restriktionen sorgten für zusätzliche Unsicherheiten für die Geschäftsaktivitäten.

Erhebliche Wertverluste

Neben den Folgen der Pandemie für das operative Geschäft hat die Branche mit erheblichen Vermögenswertverlusten zu kämpfen, und das in einem Umfeld, in dem einige Unternehmen sich zur Aufbesserung ihrer Bilanzen von Aktivitäten trennen müssen. Gerade Unibail ist davon betroffen. Bis Ende des kommenden Jahres 2022 sind Verkäufe für 4 Mrd. Euro geplant, von denen bislang 1,7 Mrd. Euro geschafft wurden. Wie schmerzhaft die Wertverluste sind, zeigen die Zahlen für 2020. Ohne Wertveränderungen belief sich das Ebit auf rund 1,1 Mrd. Euro (nach knapp 1,9 Mrd. Euro). Unter Einbezug der Wertveränderung betrug das Ebit rund –7 Mrd. Euro, zu denen nach Einschätzung der Berenberg Bank im laufenden Jahr ein weiterer Fehlbetrag von mehr als 5,3 Mrd. Euro hinzukommen wird. Barclays, die für die Branche durchweg skeptisch ist („Underweight“) hat ein Kursziel für den bei 74,63 Euro notierenden Titel von nur 45 Euro. Das Institut befürchtet, dass die Risiken seiner bereits skeptischen Annahmen für den Nettoinventarwert sowie für die Ergebnisse je Aktie und die Dividende für Unibail sowie auch für Klépierre eher abwärts­gerichtet sind und Kapitalerhöhungen nicht ausgeschlossen werden können.

Erschwerend kommt für die Branche hinzu, dass die Pandemie zwar vorübergehen wird, sie aber ihr größtes Problem verschärft hat: die fortschreitende Verdrängung des stationären durch den Online-Handel. Letzterer hat durch die Pandemie einen starken zusätzlichen Schub erhalten. Viele Menschen, die bislang nicht online eingekauft haben, haben nun damit Erfahrungen gesammelt. Selbst wenn sie in absehbarer Zeit wieder auf den stationären Handel zurückgreifen werden, ist davon auszugehen, dass sie künftig in größerem Ausmaß online einkaufen als vor der Pandemie. Auch aus diesem Grund sind Analysten für den Sektor äußerst skeptisch, wie Daten von Bloomberg zeigen. So raten nur fünf der erfassten Analysten bei Klépierre zum Kauf, acht dagegen zum Verkauf und weitere acht zum Halten. Noch schlechter fällt die Empfehlungsbilanz für Unibail mit zwölf Verkaufs- sowie sechs Halte- und nur vier Kaufempfehlungen aus.