DEVISENWOCHE

Ringen um Brexit Risiko für das Pfund

Von Sonja Marten *) Börsen-Zeitung, 10.3.2020 Es ist endlich so weit: Die lang erwarteten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (FTA) zwischen der Europäischen Union und Großbritannien haben begonnen. Und selbst der übermächtigen Corona-Krise...

Ringen um Brexit Risiko für das Pfund

Von Sonja Marten *)Es ist endlich so weit: Die lang erwarteten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (FTA) zwischen der Europäischen Union und Großbritannien haben begonnen. Und selbst der übermächtigen Corona-Krise ist es nicht gelungen, die Schlagzeilen über den vorgelagerten Schlagabtausch zwischen Michel Barnier und Boris Johnson vollkommen aus dem Rampenlicht zu verdrängen. Wie so oft in den vergangenen Jahren ist vor allem die britische Seite hauptsächlich damit beschäftigt, sich taktisch in Stellung zu bringen. Konstruktive inhaltliche Vorschläge sind bislang Mangelware. Langer WunschzettelTatsächlich liest sich das britische Verhandlungsmandat wie ein Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Die britische Regierung hofft auf ein “ambitioniertes Freihandelsabkommen” mit einem weitestgehend barrierefreien Zugang zum Binnenmarkt (für Güter). Auch die britischen Banken sollen geschützt und in ihren Aktivitäten in der EU nicht eingeschränkt werden. Was Kooperationen in Sachen Sicherheit und Kriminalität betrifft, möchten die Briten in Zukunft ebenfalls gerne weiter von dem Apparat der EU profitieren. Gleichzeitig sind sie jedoch nicht bereit, die aus Sicht der EU mit diesen Forderungen verbundenen Obligationen einzugehen. Weder ist man bereit, eine Anpassung britischer Gesetze an die Regeln der EU zu akzeptieren, noch soll der Europäische Gerichtshof Rechtsprechung in Großbritannien ausüben können. Auch die Fischereirechte bleiben ein hart umkämpftes Terrain: Die britische Regierung besteht auf einer Regelung, die es ihr erlauben würde, den Zugang von EU-Booten zu britischen Gewässern jedes Jahr aufs Neue zu bestimmen – dies wiederum möchte die EU nicht akzeptieren. Kein RosinenpickenMan mag geneigt sein zu glauben, dass es einfacher sein sollte, eine bestehende, enge Handelsbeziehung aufzulockern, als zwei Länder, die bislang keinerlei Abkommen hatten, zusammenzubringen. Hier verhält es sich jedoch ähnlich wie bei der Konfiguration eines Neuwagens, bei der einzelne Elemente oft nur im Paket wählbar sind und nicht individuell selektiert werden können. Die EU wird den Briten kein Rosinenpicken erlauben bzw. erlauben können. Premierminister Boris Johnson muss hingegen beweisen, dass er mit seiner harten Linie Erfolge erzielen kann. Extrem enger ZeitplanAls wären die Verhandlungen über ein FTA angesichts dieser immensen Hürden nicht schon schwierig genug, erhöht der extrem enge Zeitrahmen den Druck zusätzlich. Bis Ende des Jahres muss das FTA nicht nur verhandelt, sondern auch ratifiziert sein. Bis Oktober, so die Annahme, müssten die Verhandlungen abgeschlossen sein, um diesen Zeitplan einzuhalten. Boris Johnson, nie darum verlegen, eine schwierige Situation noch schwieriger zu machen, hat vor kurzem angekündigt, dass seine Regierung bereit sei, die Verhandlungen bereits im Juni abzubrechen, sollte sich bis dahin keine Einigung angebahnt haben. Denkbar schlechte Voraussetzungen für den Verhandlungsstart.Derzeit sind mehrere Szenarien vorstellbar. Im besten Fall können sich die EU und Großbritannien bis zum Herbst auf ein Grundgerüst für ein Freihandelsabkommen einigen. Unter diesen Umständen sollte die britische Regierung dann auch bereit sein, einer “technischen Verlängerung” der Übergangsfrist zuzustimmen. Diese würde die notwendige Zeit für die Klärung der Detailfragen und den Ratifizierungsprozess erlauben. Wir halten dieses Szenario weiterhin für wahrscheinlich – nicht zuletzt, weil es für beide Seiten eine gesichtswahrende Lösung wäre und verhindern würde, dass es zum Jahresende zu einem “No-FTA-Brexit”, also einem Austritt ohne bestehendes Freihandelsabkommen, kommt, der schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben würde. Tiefe Rezession drohtIm schlimmsten Fall scheitern die Verhandlungen bzw. es gelingt nicht, bis Ende des Jahres auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Scheitert er mit seinen Forderungen, könnte es für Boris Johnson politisch unmöglich werden, eine Verlängerung der Übergangsfrist, die er derzeit vehement ablehnt, zu beantragen. In diesem Fall wäre ein harter Schnitt mit Brüssel das “default setting”. Großbritannien würde in eine tiefe Rezession stürzen und auch die Eurozone signifikante Einbußen verbuchen.Für das Pfund stellt das Ringen um die künftige Ausgestaltung der Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU einen massiven Unsicherheitsfaktor dar. Dies hatte sich in den letzten Wochen zwar bereits in niedrigeren Kursen bemerkbar gemacht (vor allem gegenüber dem Dollar), gemessen an den Dimensionen der Risiken, die im Raum stehen, erachten wir die bisherige Abwertung des Pfunds jedoch als äußerst moderat. Auffällig ist auch, wie niedrig die Volatilität der Währung derzeit ist. Die implizite Dreimonatsvolatilität sowohl von Euro/Pfund als auch von Pfund/Dollar handelte noch vor wenigen Wochen auf den tiefsten Ständen seit Juni 2014 und ist seither vor allem aufgrund der Corona-Krise angestiegen. Markt wiegt sich in SicherheitWas den Brexit betrifft, wiegt sich der Markt also weiterhin in Sicherheit und setzt darauf, dass eine gütliche Lösung gefunden wird. Hiervon gehen zwar auch wir in unserem Basisszenario aus, allerdings wird sich der Markt über weite Strecken des Jahres mit dem sehr realen Risiko auseinandersetzen müssen, dass die Briten am 1. Januar 2021 auf WTO-Status zurückfallen. Die erste Welle echter Angst dürfte spätestens zur Mitte des Jahres auf uns zurollen, läuft doch am 30. Juni offiziell die Frist für die Verlängerung der Übergangsphase aus. Gibt es bis dahin keine konkreten Erfolgsmeldungen aus Brüssel, wird die Angst vor einem No-FTA-Brexit deutlich ansteigen und sich sowohl in steigenden Volatilitäten als auch in fallenden Pfundnotierungen niederschlagen. Je länger sich das Tauziehen um ein Freihandelsabkommen hinzieht, desto schwächer wird auch das Pfund werden. Es fällt nicht weiter schwer, sich hierbei Euro/Pfund-Kurse von 0,90 Pfund vorzustellen. Erst auf Sicht von neun bis zwölf Monaten trauen wir dem Pfund dann erneute dynamische Gewinne zu, nämlich dann, wenn klar wird, dass ein harter Schnitt zwischen der EU und Großbritannien vermieden werden kann. *) Sonja Marten ist Leiterin Devisenresearch der DZ Bank.