"Risiko-Assets haben noch etwas Aufwärtspotenzial"
Nach Meinung von David Lafferty, Chief U.S. Market Strategist von Natixis Investment Managers, ist es noch zu früh, aus Risiko-Assets auszusteigen. Allerdings beurteilt er die Aussichten für die Aktienmärkte weniger zuversichtlich als zum Jahreswechsel. Im Interview begründet er das u. a. mit dem Handelsstreit.- Herr Lafferty, die Stimmung an den Aktienmärkten ist nicht mehr ganz so optimistisch wir noch zu Jahresbeginn. Wie beurteilen Sie die Aussichten?Im Vergleich zu Ende 2017 hat es aus Sicht der Aktienmärkte zwei signifikante Veränderungen gegeben. So scheinen die Zentralbanken etwas ihre Politik der “Normalisierung” stetiger und fester zu verfolgen, als wir vor einigen Monaten erwarteten. Selbst die Europäische Zentralbank ist tendenziell etwas restriktiver geworden. Als etwa Italien mit seiner Regierungsbildung kämpfte, hat der Präsident der Notenbank, Mario Draghi, erklärt, dass dies keinen Einfluss auf die Geldpolitik der EZB habe. Mit einer Leitzinsanhebung ist zwar so schnell nicht zu rechnen, aber wir denken, dass der Einstieg in die Bilanzreduzierung wie avisiert am Ende dieses Jahres erfolgen wird.- Inwieweit hat sich denn der geldpolitische Ausblick der USA verändert? Immerhin reduziert die Fed ihre Bilanz bereits.Die Äußerungen und die Situation des Chairman Jerome Powell zeigen durchaus einen Unterschied zu seinen Vorgängern Ben Bernanke und Janet Yellen. Letztere achteten sehr auf die Daten und machten Zinserhöhungen von einer starken wirtschaftlichen Entwicklung abhängig. Powell ist nun mit einer starken Wirtschaft konfrontiert, die im zweiten Quartal um 4,1 % gewachsen ist. Zudem steigt die Inflation, wenn auch mit moderatem Tempo. Die Hürden für eine Verlangsamung der Zinserhöhungsschritte sind deutlich höher geworden. Es bräuchte schon deutlichere Anzeichen für eine Abschwächung der Wirtschaft, als wir zur Jahreswende noch gedacht haben, um die Zentralbanken von einem Anziehen der Zügel abzubringen.- Welche ist die zweite große Veränderung?Der Handelskonflikt. Wir gingen seinerzeit davon aus, dass Trump Rhetorik nutzt, um zu drohen, letztlich aber wirtschaftsorientiert eingestellt ist. Nun sind wir für die Aussichten bezüglich des Handelsstreits etwas pessimistischer. Die Spirale von Zöllen und Gegenzöllen hat sich stärker gedreht als erwartet. Trump hat nicht nur das Volumen der mit Zöllen belegten Importe stark erhöht, sondern auch die Höhe der Zölle. Zudem ist keine Bereitschaft Chinas nachzugeben zu sehen. Vor diesem Hintergrund sind wir für den Welthandel etwas mehr besorgt als zuvor.- Ist der “Deal” zwischen Trump und der EU nicht ein Anlass zur Hoffnung?Europa wäre von signifikanten Zöllen auf Autoimporte besonders stark betroffen, stärker als Japan. Daher sind die Europäer geneigter zu verhandeln, was ein gutes Zeichen ist. Es entsprach unseren Erwartungen, dass Trump droht und dann rhetorisch abrüstet, sobald er Zugeständnisse sieht. Vielleicht ist das ein Vorbild für den Disput mit China. Derzeit gibt es aber keinerlei Anzeichen, dass es auch hier zu einem Deal kommen wird.- Hat sich auch Ihr Wachstumsausblick verändert?Das ist so. Ursprünglich dachten wir, 2018 würde, was das Wachstum betrifft, ein solides Jahr. Wir rechneten auch für dieses Jahr mit einem global synchronen Wachstum. Nun sehen die Aussichten für das zweite Halbjahr und 2019 nicht mehr so gut aus, wie wir uns das im vierten Quartal 2017 noch vorgestellt haben. Damals liefen die USA sehr gut, Europa sah sehr gut aus, und interessanterweise gab Japan Lebenszeichen von sich. Tatsächlich hat sich die US-Wirtschaft im ersten Quartal schwächer entwickelt. In Europa und Japan ist das Wachstum zurückgegangen, und auch China verlangsamt sich. Der Ausblick sieht nicht mehr so rosig aus wie zum Jahresbeginn, als jeder von einem starken Wachstum überzeugt war.- Was bedeutet das für die Aktienmärkte?Wir sind angesichts der von uns erwarteten Wachstumsverlangsamung in den Jahren 2019 und 2020 für die globalen Aktienmärkte mittlerweile eher neutral eingestellt. Risiko-Assets, neben Aktien etwa auch Unternehmens- und Hochzinsanleihen, letztlich alles, was zyklisch ist, haben in den kommenden sechs bis zwölf Monaten noch etwas Aufwärtspotenzial. Wenn die Wirtschaft wie von uns erwartet noch einigermaßen gut wächst, ist es noch zu früh um auszusteigen. Aber es ist jetzt auch keine gute Zeit, sich sehr aggressiv zu positionieren. Viele der defensiven, abgesicherten und unkorrelierten Strategien haben nach dem Wahlsieg Trumps underperformt. Wir glauben, dass die Leute den Wert dieser Strategien bald zu schätzen wissen werden. Es ist nicht ratsam, den Schutz des Schirms zu verlassen, wenn ein Sturm kommt.- Wie sehen Ihre Sektorpräferenzen aus?Wir mögen nach wie vor Technologie- und Finanzwerte. In einer Welt mit nur noch wenigen billigen Bereichen zählen diese Sektoren noch zu den billigen. Mit Technologieaktien setzen wir einen Schwerpunkt in den USA, mit Finanzwerten einen in Europa, da sie in den Indizes der Region ein höheres Gewicht haben. Der große Treiber des globalen Wachstums sind die Technologieunternehmen. Sie weisen bei sehr starkem Wachstum nur einen kleinen Aufschlag auf den gesamten US-Markt auf. Mit unseren Präferenzen ergibt sich wie von selbst auch ein Stilmix: Die Technologiewerte sind Growth-Aktien, die Finanzwerte Value-Aktien. Allerdings denken wir, dass Sektordiversifizierung mittlerweile wichtiger ist als noch vor einem Jahr. Vor einem Jahr hielten wir von defensiven Bereichen wie Konsum- und Versorgeraktien sowie von zinssensitiven Titeln gar nichts. Mittlerweile sind die defensiven und zinssensitiven Bereiche nicht mehr so unattraktiv wie noch vor einem Jahr. Kurzum: Wir halten jetzt eine ausbalancierte Sektorgewichtung für angebracht.- Emerging Markets haben sich deutlich unterdurchschnittlich entwickelt und werden derzeit von vielen Investoren gemieden. Bieten sich hier nun Einstiegsgelegenheiten?Wir mögen Emerging Markets als Möglichkeit, zu diversifizieren und höhere Erträge zu generieren. Langfristig sind wir nach wie vor sehr zuversichtlich. Kurzfristig sehen wir jedoch Probleme aufgrund des etwas langsameren chinesischen Wachstums. Prinzipiell gefällt es uns, dass die Kurse an den Emerging Markets nach ihrem starken Lauf etwas zurückgekommen sind. Derzeit besteht aber neben China auch das Problem, dass noch unklar ist, wie der Handelskrieg ausgehen wird. Aus langfristiger strategischer Sicht sind wir zuversichtlich, derzeit würden wir die Schwellenländer aber nicht übergewichten.- Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach die Ansteckungsgefahr, die von der Türkei-Krise auf andere Emerging Markets ausgeht?Das Risiko geht von der Stimmung aus und ist nicht fundamental. Die Türkei hat nur begrenzte Handels- und wirtschaftliche Verbindungen zu anderen Schwellenländern. Allerdings können Marktreaktionen das Kind mit dem Bad ausschütten, wie wir bei anderen fragilen Emerging Markets wie Argentinien und Ungarn sehen können, die zeitgleich mit dem Lira-Fall ebenfalls deutliche Währungskursverluste gesehen haben.- Wie stehen Sie zu Staatsanleihen?Als langfristig orientierte Asset-Allokatoren sind wir keine Fans von europäischen Staatsanleihen. Selbst in Italien liegt die zehnjährige laufende Verzinsung noch unter Treasury-Niveau. Wir halten nichts von Wetten, die zum Beispiel auf einen Rückgang der zehnjährigen Bundrendite von 40 auf 20 Basispunkte im Falle einer Wachstumsverlangsamung setzen. Man kriegt nicht genug bezahlt, was die Kupons betrifft. Wir würden angesichts des Beginns der Normalisierung der Geldpolitik der EZB gerne eher eine zehnjährige Bundrendite von 1 bis 1,5 % statt nur von 40 Basispunkten sehen.- Was halten Sie von Treasuries?Hier gilt Vergleichbares zu dem, was ich über defensivere Sektoren gesagt habe. Bei einer zehnjährigen Treasury-Verzinsung von 2 % waren wir vor einem Jahr zögerlich. Wir wissen zwar nicht, ob wir bei 3 % mittlerweile das Hoch gesehen haben. Mit einer Rendite um 3 % sind Treasuries aber kein so fürchterliches Asset mehr. Unserer Auffassung nach befinden wir uns bereits ziemlich nahe am zyklischen Hoch, das vielleicht bei 3,25 % liegen wird. Vor dem Hintergrund der erwarteten Wachstumsverlangsamung sind Treasuries nun wesentlich attraktiver, als das vor einem Jahr der Fall war.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.