IM INTERVIEW: KRISTINA HOOPER

Risikofaktor Protektionismus

Invescos Chief Global Market Strategist zu Handelskriegen, Schulden und Normalisierung der Geldpolitik

Risikofaktor Protektionismus

Die Invesco-Strategin Kristina Hooper rät Anlegern, sich nicht an eine Strategie zu ketten. Für die US-Wirtschaft ist sie dabei noch vergleichsweise optimistisch. Aber auch dort steigt aus ihrer Sicht die Anfälligkeit und die Risiken nehmen zu.- Frau Hooper, was bereitet Ihnen derzeit schlaflose Nächte?Ich würde das in zwei Kategorien von Themen einteilen: solche, die Folgen für die Wirtschaft haben, und solche, die sich auf die Finanzmärkte auswirken. Natürlich gibt es Wechselwirkungen, aber bei den Themen, die sich auf die Wirtschaft auswirken, steht Protektionismus an allererster Stelle. Davor warne ich seit über einem Jahr. Wir wissen, was für negative Effekte das in den zwanziger und dreißiger Jahren auf die Weltwirtschaft gehabt hat. Heute befinden wir uns an einem Punkt, von dem wir uns in eine sehr ähnliche Situation begeben könnten. – Ist das nicht etwas viel Alarm?Wir sind noch nicht so weit, wenn es um Handelskriege geht. Aber jeden Tag geht es ein bisschen weiter in diese Richtung. Das Problem ist, dass Protektionismus die Wirtschaft auf vielerlei Weise trifft. Da sind zuerst einmal steigende Input-Kosten. Wir sehen bereits Anzeichen dafür, dass sie stärker steigen, als man mit Blick auf den Anteil, den Zölle am Preis von Aluminium oder Stahl haben, erwarten würde. Das drückt auf die Gewinnmargen und zerstört Nachfrage für Produkte, die Unternehmen und Verbraucher nicht unbedingt kaufen müssen. – Haben Sie dafür ein Beispiel?Sehen wir uns einmal den Markt für Waschmaschinen an. Die Vereinigten Staaten haben Waschmaschinen im Januar mit einem Einfuhrzoll belegt. Wir sehen bereits einen Absatzrückgang, weil die Preise deutlich nach oben gegangen sind. Das ist die Zerstörung von Nachfrage, die ich meine. Steigende Input-Kosten treffen vor allem Branchen, die von Rohmaterialien abhängig sind. Es gibt aber noch einen Aspekt des Protektionismus, über den so gut wie nicht gesprochen wird.- Und der wäre?Die damit verbundene wirtschaftspolitische Unsicherheit. Wenn sie zugenommen hat, sind die Unternehmensinvestitionen in der Vergangenheit zurückgegangen. Wenn Firmen keine Klarheit darüber haben, was passiert – und in so einer Situation befinden wir uns gerade sowohl beim Thema Handelskriege als auch beim Thema Brexit – stellen sie Investitionen zurück.- Findet das in den USA tatsächlich statt, oder ist das eher eine Sorge von Ihnen?Ich hätte vor dem Hintergrund der Steuerreform ein höheres Niveau der Unternehmensinvestitionen erwartet, als derzeit zu verzeichnen ist. Für mich ist das bereits ein Anzeichen dafür, dass die Investitionen zurückgefahren werden. Anekdotische Beweise zeigen, dass Firmen abwarten wollen, wie sich das alles entwickelt. – Es wird ja viel vom Revival von Main Street America erzählt. Übersehen wir vielleicht, dass es eigentlich sehr gut läuft?Dieses Revival hat es mit Sicherheit gegeben. Die Steuersenkungen haben dafür die Stimuli geliefert. Aber der Protektionismus ist die dunkle Seite der Agenda der Regierung. Er wirkt als Kraft, durch die die Steuerreform wieder ausgeglichen wird. – Sind nicht viele Firmen im Dienstleistungsgewerbe tätig und wären kaum betroffen?Wenn man das Beige Book der Notenbank durchgeht, finden sich dort Fallbeispiele. Es handelt sich um anekdotische Beweise, aber diese Firmen sagen, dass sie sich wegen der Zölle Sorgen um steigende Preise machen und dass sie bereits Preiserhöhungen beobachten können. Bislang geht es zwar nur um Aluminium und Stahl. Aber das sind Rohmaterialien, auf die eine ganze Reihe von Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes zurückgreifen. Ein Teil davon wird selbst erzeugt, aber in den USA, wo ja viel von einer Renaissance der heimischen Industrie die Rede ist, wird einfach nicht genug produziert. Also wird Stahl als direkte Folge der Einfuhrzölle teurer. – Protektionismus ist also Ihre Hauptsorge . . .Kurzfristig ja, aber auf längere Zeit macht mir die Verschuldung Sorgen. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass im zurückliegenden Jahrzehnt weltweit Schulden abgebaut worden sind. Ganz allgemein gesprochen haben Staaten ihre Verschuldung erhöht, Unternehmen haben neue Schulden aufgenommen, in bestimmten Branchen mehr als in anderen. Auch die privaten Haushalte haben mehr Kredite aufgenommen. Das ist natürlich grob verallgemeinert. – Gibt es denn Beispiele dafür?Die Verschuldung der kanadischen Haushalte ist zum Beispiel in den vergangenen Jahren ganz wesentlich gestiegen und beläuft sich jetzt auf 100 % des BIP. Das ist das Niveau, das in den Vereinigten Staaten vor der Finanzkrise erreicht worden war. So etwas ist immer ein Problem, aber ganz besonders dann, wenn die Zinsen steigen. Die kanadischen Verbraucher kommen unter Druck, weil ein guter Teil der Schulden mit variablen Zinsen ausgestattet ist, selbst bei den Hypotheken. Das macht das Problem etwas dringender. Aber wir sehen solche Entwicklungen rund um den Erdball.- Wo noch?China macht Anstrengungen zum Schuldenabbau. Langfristig ist das die absolut richtige Vorgehensweise, aber sie schafft kurzfristig Probleme. – Sind wir denn wirklich am Wendepunkt angelangt, ab dem die Zinsen steigen, oder ist das ein US-Phänomen?Ich halte es mehr für ein US-Phänomen. Aber wahrscheinlich wird die Federal Reserve in Führung gehen und die anderen Zentralbanken mitschleifen. – Weil sie mitgezogen werden . . .Es ist ein typisches Phänomen in Zinserhöhungszyklen, dass die Zentralbanken relativ eng miteinander verbunden vorgehen. Aus meiner Sicht muss sich die EZB fast schon gezwungen gefühlt haben, das Ende von QE anzukündigen, um anzudeuten, dass sie zumindest etwas auf dem Wege der geldpolitischen Normalisierung vorankommt. Das dürfte zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass die Federal Reserve schon so weit vorangeschritten ist. – Jetzt, wo sich die Wirtschaft wieder verlangsamt, will sie sich vielleicht auch etwas Spielraum für den nächsten Abschwung verschaffen, oder?Zentralbanken denken mit Sicherheit darüber nach, wie sie sich etwas Feuerkraft verschaffen können, ohne kurzfristig für Gegenwind zu sorgen. Es ist ein schwieriger Balanceakt. Wenn man sich die Fed ansieht, hat sie vergleichsweise wenig Werkzeuge zur Verfügung. Zu Beginn der Finanzkrise belief sich die Bilanzsumme der Fed auf rund 800 Mrd. Dollar und die Fed Funds Rate lag bei um die 5 %. Sie hatte also eine Menge Spielraum, um dem Abschwung entgegenzuwirken. Heute ist das nicht so. Beim derzeitigen Zinsniveau und mit einer derart aufgeblähten Bilanz müsste die Fed an noch unorthodoxere Wege der Geldpolitik denken, sollte die US-Wirtschaft in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Wenn sich die Situation in Sachen Handelskriege verschärfen würde und die Investitionen stark zurückgehen sollten, könnte die Fed gezwungen sein, den Leitzins zu senken.- Koppelt sich die US-Wirtschaft derzeit vom Rest der Welt ab?Nach einem schwachen Jahresauftakt gibt es klare Anzeichen dafür, dass die US-Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt. Der Ausdruck ,weltweite gleichzeitige Erholung` hat mir nie besonders gefallen, weil die USA weit vor jedem anderen Land in die Erholung eingetreten sind. Aus meiner Sicht verläuft der Aufschwung auch jetzt nicht besonders synchron. Die positiven Zeichen, die von den USA nun gesendet werden, hat es in den Daten anderer Länder bislang nicht gegeben. Zumindest kurzfristig wird die US-Wirtschaft stärker wachsen als andere Volkswirtschaften. Das könnte aber schnell umschlagen, wenn Protektionismus oder steigende Zinsen für Druck sorgen. – Lässt sich das genauer sagen?Ich bin für den Rest des Jahres optimistisch, was die US-Wirtschaft angeht. Wir werden 2018 wohl um die 3 % Wachstum erreichen. Aber die Anfälligkeit steigt, die Risiken nehmen zu. Für die zweite Jahreshälfte 2019 wächst das Risiko einer ernsthaften Verlangsamung, sogar einer Rezession.- Und die Eurozone?Die Wirtschaft der Eurozone könnte vielleicht auch weiterhin nur niedrige Wachstumsraten liefern, dürfte aber keine wesentliche Entschleunigung erfahren.- Könnte der Grund für den schwachen Dollar sein, dass man am Markt die Wachstumsstory nicht so richtig glauben will?Wenn man sich die historische Entwicklung ansieht, hat es unterschiedliche Treiber für die Wechselkursentwicklung gegeben. Aber in den vergangenen Jahren waren die Erwartungen an die Entwicklung der Fed Funds Rate der wichtigste Faktor für den Dollarkurs. Und die Märkte waren sehr skeptisch, dass es zu einer wesentlichen Normalisierung der Geldpolitik kommen würde. Aber mit Jay Powell an der Spitze hat sich das geändert. Langsam glaubt man der Fed an den Märkten, wenn sie sagt, dass sie die Zinsen erhöhen wird. Die jüngste Dollarstärke ist darauf zurückzuführen. – Wenn der Dollar steigt, wird das den Schwellenländern schaden?Ja, wenn der Dollar weiter zulegt, wird das die Emerging Markets unter Druck setzen. Und dabei geht es nicht nur um steigende Zinsen. Wie der Gouverneur der Reserve Bank of India ausgeführt hat, handelt es sich auch um ein Liquiditätsproblem. Zumindest aus seiner Perspektive ist es so. Die Kombination aus fortschreitender Normalisierung der Notenbankbilanz und verstärkter Emission von Schuldentiteln in den USA, um das steigende Defizit zu finanzieren, saugt die Liquidität aus dem System und belastet die Volkswirtschaften der Schwellenländer.- Wie sehen denn Ihre Sorgen mit Bezug auf die Märkte aus?Da ist zum einen das Risiko eines Irrtums der Notenbanker. Im vergangenen Jahrzehnt hatte die Geldpolitik größere Folgen für Vermögenswerte als für die Wirtschaft. Sie ist ein stumpfes Instrument, kein chirurgisches Werkzeug. Die größten Auswirkungen hatte sie auf das Rendite-Risiko-Profil bei den verschiedenen Assetklassen. Kommt es zu einer Rückführung, besteht potenziell die Gefahr, dass es zu Verwerfungen an den Kapitalmärkten kommt. Die Normalisierung der Geldpolitik könnte eine Normalisierung an den Kapitalmärkten zur Folge haben. Das bedeutet höhere Volatilität, geringere Korrelationen und ein Ende des “Bernanke Put” und “Yellen Put” für Aktien – nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in gewissem Maße weltweit. Ich glaube zwar, dass die Aktienmärkte in Europa und Japan auch weiterhin etwas Unterstützung von der lockeren Geldpolitik ihrer Zentralbanken bekommen werden, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es ein Risiko geldpolitischer Fehlentscheidungen gibt.- Haben sich die Notenbanken so darauf versteift, jetzt die Zügel wieder anzuziehen, dass sie Anzeichen für einen Abschwung ignorieren könnten?Es hängt alles davon ab, wer die Zügel in der Hand hat. Mario Draghi hat die Risiken sehr stark im Blick, aber er bekommt mehr Druck von den Falken bei der EZB. Deshalb hat er das Tapering angekündigt. Er weiß auch, was für eine wichtige Rolle er dabei spielt, systemischen Stress zu mildern. In den USA war der von Janet Yellen geführte Offenmarktausschuss stärker auf Risiken fokussiert. Unter Powell scheint er daran weniger interessiert zu sein, aber nur solange sich die Risiken nicht wirklich auf die Wirtschaft auswirken. – Womit können Anleger denn noch Rendite erwirtschaften?Wir befinden uns in einer Zeit, in der es sehr schwierig ist, mit Blick auf eine bestimmte Region große Zuversicht zu entwickeln. Es kann schnell zu Umschichtungen kommen. In so einem Umfeld halte ich Diversifikation und Selektion für die besten Strategien. In Schwellenländer sollte man selektiv investieren, nicht durch einen Index. Wir befinden uns vermutlich in einer Phase, in der sich die Aktienkurse in einer breiten Spanne auf und ab bewegen werden. Für die meisten Aktienmärkte war es ein enttäuschendes Jahr. Ich erwarte, dass die meisten mit einem Plus aus dem Jahr gehen, aber die Renditen können sehr gering ausfallen. Mit Blick auf die Kursschwankungen, die wir beobachten, müssten Anleger dafür wesentliche Risiken in Kauf nehmen. Man sollte sich nicht an eine Strategie ketten, sondern sich möglichst breit aufstellen.—-Das Interview führte Andreas Hippin.