Risk on, risk off
Erfahrene Börsianer haben Vorteile. Denn sie haben schon öfters Pferde kotzen sehen, sprich massive Einbrüche des Aktienmarkts erlebt. Und dies insbesondere im Spätsommer und Herbst, also in den Monaten September, August und Oktober. So zum Beispiel auch beim Crash 1987, der wie der aktuelle Einbruch anscheinend für etliche Marktteilnehmer aus dem Nichts kam.Doch stellt sich stets eine ähnliche Gemengelage ein. Erst senken die “Götter” der Märkte, die heute Jerome Powell oder Mario Draghi heißen, die Leitzinsen und pumpen massiv Liquidität in die Wirtschaft, die natürlich auch in die Aktienmärkte fließt. Wenn dann die Pferde saufen, die Konjunktur anspringt, klettern auch die Unternehmensgewinne. Die Börse ist im “Risk-on-Modus”, gefragt sind vor allem Wachstumswerte. Dies geht bis hin zu Preisen für einzelne Titel, die jenseits von Gut und Böse sind.Erhöhen dann die Götter die Zinsen und kommen verstärkt Zinserhöhungserwartungen auf, neigt sich also die Liquiditätsparty ihrem Ende zu, kommt es regelmäßig zu massiven Einbrüchen. Das Dumme ist nur: Wann bestimmte Segmente deutlich korrigieren, das lässt sich nicht exakt vorhersagen. Dass es aber, wenn die Zinserhöhungserwartungen stark ansteigen und die Konjunkturprognosen abflauen, zu einer Anpassung exzessiv bewerteter Aktienmärkte kommt, das ist stets sicher. Wobei in der aktuellen Situation noch die Gefahr einer Ausweitung des Handelskriegs zwischen den USA und China zusätzlich belasten dürfte.”Nun hat es auch die unverwundbaren US-Aktien getroffen”, stellt Stratege Markus Reinwand von der Helaba fest. Zu Recht bewertet er den jüngsten Einbruch als “Korrektur mit Ansage”. Der US-Markt hat nicht nur andere Aktienmärkte in diesem Jahr noch deutlicher als in früheren Zyklen outperformt. Reinwand weist zudem darauf hin, dass der Anstieg der US-Titel nicht allein auf steigenden Unternehmensgewinnen, sondern auf einer “markanten Bewertungsexpansion” beruht. So hatte deren Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) im Vergleich zu dem der restlichen Welt “historische Spitzenwerte erreicht”.Insbesondere im Technologiebereich ist es infolge der Liquiditätsflut zu Exzessen bei einzelnen Titeln gekommen. Und noch immer werden Netflix oder Amazon mit KGVs für die im Geschäftsjahr 2018 erwarteten Gewinne von 120 oder 98 bewertet. Wer die Dot.com-Blase erlebt hat, weiß um die Gefahren einer solchen Bewertung.Doch nicht nur in Amerika, auch bei einzelnen im TecDax vertretenen Aktien hierzulande hatten sich die Bewertungen im Verlauf dieses Jahres massiv ausgeweitet. Bestes Beispiel dafür ist Dax-Aufsteiger Wirecard, der auch nach der jüngsten Korrektur mit einem KGV von mehr als 50 (2018 erwartet) teuer ist. Die vom Unternehmen verkündete Vision 2025 hört sich gut an, doch handelt es sich dabei zunächst um Zukunftsfantasie. Und etliche Gewinnwarnungen von Unternehmen in diesem Jahr haben gezeigt, dass verkünden nicht per se gleich liefern ist. Apple und SAP preiswertBefindet sich die Börse im Risk-off-Modus, trifft dies – nicht zuletzt über Gewinnmitnahmen – besonders die sehr hoch bewerteten Titel. Dies zumal nicht alle Technologiewerte teuer sind. Mit KGVs von 18 oder 23 (jeweils 2018 erwartet) werden zum Beispiel Apple oder SAP wesentlich niedriger bewertet. Und diese etablierten Titel verfügen auch über Wachstumsperspektiven. Anlegern, die auf Substanz und attraktive Dividenden setzen, bieten BASF oder Allianz aufgrund der jüngsten Kursrückschläge bereits Einstiegskurse.Doch wie geht es weiter an den Aktienmärkten? Wenn ausgehend von den USA die Kapitalmarktzinsen steigen, wird es zwar insgesamt schwieriger für Dividendentitel. Zudem lehrt die Erfahrung, dass eine Korrektur meist nicht sofort ausgestanden ist. “Es kann einige Wochen dauern, bis wir eine Bodenbildung an den Aktienmärkten sehen”, sagt Frank Fischer von Shareholder Value. Und auch nach Meinung von Helaba-Stratege Reinwand dürfte es zunächst noch “etwas ungemütlich bleiben”.Doch eröffnen der Kursrückgang und mögliche weitere Verbilligungen durchaus Chancen. Nach Einschätzung von Helaba und DZ Bank sind Dax und europäische Aktien inzwischen fair bewertet. Auch fallen ab November Belastungsfaktoren wie die US-Kongresswahlen weg und es beginnt eine saisonal gute Phase für Aktien. Fischer ist zuversichtlich: “Das Potenzial für eine Jahresendrally ist gegeben.”