Rohstoffsektor enttäuscht auch 2015

Steigendes Angebot bei stagnierender Nachfrage - Chinas Konjunktur als großer Unsicherheitsfaktor

Rohstoffsektor enttäuscht auch 2015

Für Rohstoffinvestoren droht auch 2015 zu einem schwierigen Jahr zu werden. In fast allen Bereichen des Commodity-Sektors gehen die Preise zurück. Die Prognosen der Analysten für 2015 und 2016 sind meist verhalten. Der Rohstoff-Superzyklus ist lange beendet.Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtFür Investoren dürfte das Jahr 2015 als eines der schwierigeren in Erinnerung bleiben – zumindest dann, wenn man die Performance des Rohstoffsektors im bisherigen Jahresverlauf zugrunde legt. Die meisten Commodities haben seit Jahresanfang entweder deutliche Preisrückgänge erlitten, oder sie bewegen sich in etwa auf dem Niveau von Ende Dezember. Rohstoffe, die mit einem deutlichen Preisanstieg glänzen, sind die große Ausnahme. Da der Sektor im zweiten Halbjahr 2014 deutlich unter die Räder gekommen ist, sieht der Vergleich der Notierungen mit ihrem Stand vor einem Jahr meist besonders schlecht aus.Für die Misere gibt es eine Reihe von Gründen. Vor allem ist es die Konjunkturentwicklung in China, die belastet. Im laufenden Jahr dürfte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nur wenig mehr als 6 % betragen. Dies ist der schwächste Wert seit rund 25 Jahren. China, das wichtigste Abnehmerland für viele industriell genutzte Rohstoffe, leidet seit 2008 unter einer spürbaren Abschwächung der Exporte. Angesichts der schwachen Binnennachfrage, die lediglich auf rund 35 % des BIP kommt, hat das Land auf einen kreditfinanzierten Boom gesetzt, wobei die diversen dabei entstandenen Blasen nun zu platzen drohen. Zumindest ist klar, dass das seit 2008 existierende chinesische Wachstumsmodell angesichts einer Gesamtverschuldung von Privaten, Unternehmen und Staat von rund 280 % des BIP nicht mehr lange in dieser Form existieren kann. Ausweichen nach VietnamDer Versuch, die Kaufkraft der breiten Massen im Reich der Mitte anzuheben und damit den Anteil des Konsums am BIP, der etwa in den USA rund 70 % beträgt, ist gescheitert. So weichen ausländische Produzenten in billigere asiatische Länder wie Vietnam, aber auch in unterentwickelte und von den Lohnkosten her billigere Regionen des Landes aus, andere wollen ihre Produktion stärker automatisieren. Damit werden Wohlstandsmehrung, Wachstum und auch steigender Rohstoffverbrauch in der zweitwichtigsten Volkswirtschaft der Welt zunehmend in Frage gestellt. Für den Rohstoffsektor heißt das, dass der Superzyklus, der auf dem rasanten Wachstum in China beruhte und der über ein Jahrzehnt für steigende Rohstoffpreise gesorgt hat, nur noch eine Erinnerung ist. Aber auch in anderen für den Rohstoffsektor wichtigen Regionen sieht es konjunkturell wenig erfreulich aus. Die USA präsentieren sich weniger dynamisch als in früheren Jahren, so dass die Mitglieder des für die Geldpolitik zuständigen Offenmarktausschusses der Notenbank Federal Reserve (Fed) über viele Monate Skrupel hatten, die erste Zinserhöhung in die Wege zu leiten. Nach der ursprünglich avisierten Jahresmitte wird nun der September-Termin anvisiert. Sollte die Fed zur Tat schreiten, wäre eine Serie von Zinserhöhungen den Rohstoffmärkten eher abträglich.In Europa ist die Lage eher noch schlechter. Ein Ende der Folgen der Schuldenkrise – durch Griechenland ins helle Rampenlicht gezerrt – ist nicht absehbar. In wichtigen Ländern wie Spanien erholt sich zwar die Konjunktur langsam, aber ausgehend von einem mittlerweile niedrigen Niveau. Die Europäische Union erweist sich als unfähig, eine Lösung für Griechenland, aber auch andere Schuldnerländer zu finden, die eine Rückkehr zu nachhaltigem und kräftigem Wachstum sicherstellt. Für Europa ist somit ein “verlorenes Jahrzehnt” kaum noch abzuwenden.Was die Angebotsseite betrifft, so war diese in den vergangenen Jahren bei vielen Rohstoffen durch einen Aufbau der Kapazitäten gekennzeichnet. Dies hat nicht nur den Rohölmarkt betroffen, sondern auch Industriemetalle und sogar Agrarrohstoffe. So ist der Lebensmittelpreisindex der Vereinten Nationen kürzlich auf ein Sechs-Jahres-Tief gefallen.Hinzu kommt, dass sich die Finanzinvestoren aus dem Sektor zurückziehen. Dazu haben sie der für sie negative Trend des Saldos aus nach oben weisendem Angebot und schwacher Nachfrage sowie das Ende des Superzyklus bewogen, aber auch neue Regulierungen für Banken als Folge der Finanzkrise. Verändertes UmfeldAm deutlichsten wird das angebotsseitig stark veränderte Umfeld bei Rohöl. Der Aufstieg der Schieferölförderung in den USA und ab 2016 die Rückkehr des iranischen Öls haben für eine starke Überversorgung des Ölmarktes gesorgt. Da sich der Markt wieder von seinem Tief im Frühjahr, das für die Nordseesorte Brent bei 42 Dollar je Barrel (159 Liter) lag, gelöst hat, weist der Ölpreis gegenüber dem Stand vom Jahresanfang nur ein leichtes Minus von 3 % auf. Gegenüber dem Niveau von vor einem Jahr beträgt der Preisrückgang jedoch fast 50 %.Was die Perspektiven für das restliche laufende Jahr und für 2016 betrifft, so sind die Aussichten für Finanzinvestoren auf eine Erholung des Ölpreises, der ja von einem Niveau von rund 115 Dollar je Barrel gekommen ist, gering. Die Rohstoffanalysten der Société Générale rechnen für die kommenden 18 Monate mit einer Seitwärtsbewegung des Ölpreises. In dieser Zeit werde es zur Ausbildung eines neuen Gleichgewichts auf dem Ölmarkt kommen. Eine Bodenbildung sei durch den scharfen Rückgang der Investitionen in die amerikanische Schieferölproduktion erreicht. In den vergangenen drei Monaten sei der Höhepunkt der Förderung erreicht worden, nun sei mit Rückgängen zu rechnen. Bei der Société Générale rechnet man bis Ende 2016 mit einem Brent-Preis von 65 Dollar je Barrel und von 60 Dollar bei der US-Benchmark-Sorte West Texas Intermediate. Allerdings seien zwischenzeitlich auch Schwankungen im Bereich zwischen 50 und 75 Dollar denkbar. Etwas optimistischer sind die Experten der italienischen Unicredit. Sie veranschlagen den Brent-Preis per Ende 2015 mit 70 Dollar und per Jahresschluss 2016 sogar mit 89 Dollar. Bei der Unicredit geht man davon aus, dass sich die Rückkehr des iranischen Öls auf den Weltmarkt nach der Einigung mit den USA im Streit um das Atomprogramm, die von dem Ergebnis der Kontrollen durch die internationale Atombehörde IAEA abhängig ist, möglicherweise sogar bis ins zweite Halbjahr 2016 hinziehen kann. Bis dann ausländische Investitionen in die iranische Ölindustrie wieder anlaufen, könne es bis ins Jahr 2017 dauern. Die Analysten sprechen von einem kurzfristig überversorgten Markt, sie glauben aber, dass es mittelfristig zu einer signifikanten Unterversorgung kommen kann.Gold hat sich für Finanzinvestoren im bisherigen Jahresverlauf ebenfalls als Enttäuschung erwiesen. Gegenüber der Notierung vom Jahresanfang ergibt sich ein Minus von 8 %. Im Vergleich zum Stand von vor einem Jahr hat der Preis um rund 15 % nachgegeben. Mitte Juli hatte es dann – ein klarer Hinweis auf das gegenüber Gold sehr negative Sentiment der Investoren – einen regelrechten Crash beim Goldpreis gegen, bei dem die Notierung aufgrund starker Verkäufe in Asien binnen Minuten um 4 % eingeknickt ist. Das negative Sentiment für Gold wird auch daran deutlich, dass der weltgrößte Goldfonds, der SPDR Gold Trust, inzwischen weniger als die Hälfte des Goldes hält, das er zu seinen besten Zeiten besaß.Die weiteren Aussichten werden von Analysten verhalten eingeschätzt. So sagen die Experten von Barclays für das vierte Quartal einen Goldpreis von 1 170 Dollar je Feinunze voraus. Für 2016 rechnen sie zwar mit einem Anstieg, der mit einer erwarteten Durchschnittsnotierung von 1 215 Dollar für das Gesamtjahr aber eher mickrig ausfällt. Der Goldpreis bewege sich im Spannungsfeld zwischen seiner Funktion als sicherer Hafen und der Konkurrenz durch Assetklassen, die Renditen erwirtschaften, wobei die Unsicherheit aufgrund der Griechenland-Krise nicht zu einem Anstieg des Goldpreises geführt habe.Dem Goldpreis macht auch die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA zu schaffen. Zudem entwickelte sich die physische Nachfrage wenig erfreulich. In China gingen zunächst hohe Mittel in die Aktienblase, nach deren Platzen wiederum sind die verfügbaren Mittel von Privatpersonen im Reich der Mitte gesunken, wozu auch die schwache Konjunkturentwicklung beiträgt. Die indische Schmucknachfrage leidet nach wie vor unter den Einfuhrabgaben auf das Edelmetall. Schwaches WachstumBei den Industriemetallen sind die Perspektiven mit Blick auf die vergleichsweise schwachen makroökonomischen Wachstumsraten rund um den Globus ebenfalls wenig gewinnversprechend. Der Preis von Kupfer ist seit der Rally vom Mai, der die Notierung auf das Jahreshoch von rund 6 482 Dollar je Tonne getrieben hat, um fast 1 000 Dollar abgestürzt. Für das Gesamtjahr 2015 ergibt sich bislang ein deutliches Minus von 17 %, binnen zwölf Monaten hat Kupfer sogar 22 % eingebüßt. Anfang Juli wurde mit rund 5 300 Dollar sogar ein Sechs-Jahres-Tief markiert. Die Analysten von Barclays sehen mit Blick auf das erwartete moderate Nachfragewachstum eine eher verhaltene Preisentwicklung voraus. Auf dem aktuell sehr niedrigen Niveau soll der Kupferpreis aber immerhin nicht bleiben. Die Experten der britischen Großbank erwarten für das laufende Jahr einen Durchschnittspreis von 6 123 Dollar und für 2016 von 6 200 Dollar.Auch bei anderen Industriemetallen ist die Preisentwicklung aus Sicht von Finanzinvestoren alles andere als zufriedenstellend. Seit Jahresanfang hat sich Nickel um 26 % verbilligt, Zinn um 23 %. Die Notierung von Aluminium hat im gleichen Zeitraum um 11 % nachgegeben, die von Zink um 9 %. Die Baisse der Industriemetalle hat aber nicht erst zum Jahresanfang begonnen. Vergleicht man die aktuellen Preise mit denen von vor einem Jahr, so sieht die Lage noch dramatischer aus: So hat der Nickelpreis um fast 40 % nachgegeben und der von Zinn um mehr als 30 %.Bei Nickel, das für die Herstellung von rostfreiem Stahl benötigt wird, ist die Hausse des Jahres 2014 schon lange Geschichte. Die Notierung war über die Marke von 20 000 Dollar pro Tonne geklettert. Inzwischen rangiert der Nickelpreis bei rund 11 430 Dollar. Die Hausse war ausgelöst worden durch das indonesische Exportverbot für Nickelerz. Die Regierung will damit die Weiterverarbeitung im eigenen Land fördern. Zwar besteht das Verbot weiterhin, inzwischen hat der Markt aber reagiert, die Nickel-Knappheit ist vorbei. Das indonesische Exportverbot könnte aber weiter Einfluss auf den Nickelpreis haben. Experten rechnen für den Fall, dass das Verbot aufgehoben wird, mit einem starken Preisrückgang. Dieses Szenario ist praktisch das Damoklesschwert für den Nickelmarkt, so dass die von manchen Analysten geäußerte Erwartung einer mittel- bis langfristig starken Erholung des Nickelpreises auf Finanzinvestoren derzeit kaum Eindruck macht.Der Preis von Eisenerz ist zuletzt dramatisch gesunken. Die Notierungen sind im Juli auf den niedrigsten Stand seit 2009 gefallen. Aktuell beträgt der Spotmarktpreis für die Tonne Eisenerz rund 50 Dollar. Gegenüber dem Hoch vom 11. Juni von 65,40 Dollar ist der Eisenerzpreis damit um 24 % abgestürzt. Vor vier Jahren hat die Tonne Erz noch 190 Dollar gekostet. Produktion hochgefahrenAnalysten führen den Preisverfall der vergangenen Monate auf die deutliche Konjunkturabschwächung in China zurück. Zudem sind große Produzenten wie Rio Tinto, BHP Billiton und Vale daran interessiert, die Auswirkungen der sinkenden Preise durch ein Hochfahren der Eisenerz-produktionsmengen in den Produktionsstätten mit niedrigen Kosten auszugleichen.Dies dürfte Auswirkungen auf die weitere Preisentwicklung haben. Die Analysten der US-Bank Goldman Sachs gehen davon aus, dass der Preis im September bei 49 Dollar liegen wird und dann in der Zeitspanne von April bis Juni 2016 auf 44 Dollar sinkt. Der chinesische Markt werde angesichts der schwachen Nachfrage der Stahlwerke gerade überschwemmt, schreiben die Analysten.Bei den Agrarrohstoffen ist die Preisentwicklung im ersten Halbjahr stark durchwachsen verlaufen. Bei den Getreiden sieht es gar nicht so schlecht aus, da die Notierungen 2014 wegen der guten Ernten in den wichtigsten Weltregionen im vergangenen Jahr kräftig unter Druck geraten waren. Seither haben sie sich erholt. Auf Sicht von zwölf Monaten ist der US-Preis von Weizen um 2 % gestiegen, der Maispreis sogar um 13 %. Gegenüber dem Stand seit Jahresanfang hat die Notierung bei Weizen aber wieder um 7 % nachgelassen. Mais kommt jedoch auf ein kleines Minus seit Anfang Januar von 1 %. Preisprognosen sind insbesondere bei Getreidesorten schwierig, weil sich der Einflussfaktor Wetter nur sehr unzureichend voraussagen lässt. Die Rohstoffanalysten der Commerzbank gehen derzeit von leichten Rückgängen bzw. einer Seitwärtsbewegung aus. Der US-Weizenpreis von derzeit rund 1,87 Dollar je Scheffel soll per Ende 2015 sowie Ende 2016 bei 5,50 Dollar liegen. Bei Mais wird ausgehend von aktuell 4,03 Dollar je Scheffel per Ende 2015 mit einem Preisniveau von 4 Dollar und per Ende 2016 von 4,50 Dollar gerechnet.Der Preis der Kaffeesorte Arabica ist seit der enormen Rally des Jahres 2014, als die Notierung wegen der Dürre im wichtigsten Anbauland Brasilien über 2 Dollar je Pfund stieg, wieder deutlich zurückgekommen. Aktuell ist die Kaffeesorte für 1,22 Dollar zu haben. Seit Jahresanfang beträgt der Preisrückgang rund 32 %, gegenüber dem Stand von vor einem Jahr liegt er bei 21 %. Nach Einschätzung der Analysten der Commerzbank sind für Anleger aber durchaus Chancen drin. So sagen die Experten der Commerzbank unter Verweis auf die nicht übermäßig gefüllten Lager in Brasilien ein Preisniveau von 1,50 Dollar per Ende 2015 und von 1,70 Dollar per Ultimo 2016 voraus.