Russische Aktien nur für Waghalsige
Die ölpreisbedingte Währungskrise hat Russland wieder fest im Griff. Die Rezession hält an. Die Inflation lässt der Zentralbank wenig Spielraum. Alles in allem kein Umfeld für gute Stimmung an der Börse. Nur Waghalsige kaufen zu.Von Eduard Steiner, MoskauDer August begann dieses Jahr in Russland schon im Juli. Gemeinhin gilt im Land an der Wolga ja der achte Monat als Katastrophenmonat. Auf dem Wirtschafts- und Finanzsektor freilich ging es dieses Mal bereits Ende Juli los. Der Rubel, der sich nach seiner vorjährigen Talfahrt zwischenzeitlich immerhin im Bereich von 55 bis 60 Rubel je Euro eingependelt hatte, schnellte mitten im Sommer bis zuletzt auf über 70 Rubel je Euro hoch. So billig war er zuletzt im Februar gewesen.Als Hauptgrund für den Ausverkauf gilt der abermals gesunkene Ölpreis. Der für Russland maßgebliche Preis der Nordseesorte Brent war binnen der vergangenen drei Wochen um 17 % auf unter 50 Dollar je Barrel gefallen, was nur halb so viel ist wie noch im September des Vorjahres. Für den größten Rohstoffexporteur unter den Schwellenländern in der Tat ein schwerer Schlag.Entsprechend hat der Rubel die schlechteste Dynamik unter 24 Schwellenländerwährungen gezeigt, schreibt Bloomberg. Die Zentralbank beruhigte am Montag verbal mit der Mitteilung, dass sie durch die bevorstehende Bedienung der Auslandsschulden keinen starken Druck auf den Rubel erwarte: Nur etwa 35 der 61 Mrd. Dollar, die Banken und Firmen zwischen September und Dezember 2015 zu bedienen hätten, müssten tatsächlich bezahlt werden, schrieb sie. Eigentlich sei der Rubel schon etwas überverkauft, hält Dmitri Savtschenko, Analyst der Nordea Bank, fest. Aber in diesem Zustand könnte er noch lange verharren.Die Volatilität des Rubel schränkt den Spielraum der Zentralbank ein. Um weiteren Druck auf den Rubel zu vermeiden, hat sie ab Ende Juli die Fremdwährungskäufe zur Aufstockung der Devisenreserven ausgesetzt. Am meisten zu schaffen macht ihr freilich die Inflation, die im Juli knapp 16 % im Jahresvergleich erreicht hat, weshalb das Ziel, im Gesamtjahr auf unter 4 % zu gelangen, auf 2017 verschoben wurde. Ließ sie im Dezember des Vorjahres den Leitzinssatz auf 17 % hochschnellen, um den Verfall der Währung zu stoppen, so nahm sie Ende Juli nun immerhin eine weitere Senkung um einen halben Prozentpunkt auf 11 % vor. Mehr ist momentan zum Leidwesen der Firmen, die teils wegen der Sanktionen vom westlichen Kapitalmarkt abgeschnitten sind, nicht drin. Der als Reaktion auf die Sanktionen verfügte Importstopp für westliche Agrarprodukte nämlich treibt die Preise zusätzlich an.Vor diesem Hintergrund hat der Internationale Währungsfonds (IWF) soeben seine Prognose bestätigt, dass Russlands BIP in diesem Jahr um 3,4 % schrumpfen wird, ehe 2016 ein Mini-Wachstum von 0,2 % folgen könnte.All das geht nicht spurlos an der Börse vorbei. Während der in Rubel notierende Leitindex Micex seit Ende Juli um 7 % zugelegt hat und nun mit knapp 1 700 Punkten den oberen Grenzbereich des seit April laufenden Seitwärtskanals testet, hat der in Dollar notierende Leitindex RTS in den vergangenen drei Monaten 9 % auf 839 Punkte verloren. Damit sind die bis Ende April erzielten 70 % Zuwachs seit dem mehrjährigen Tiefststand bei 629,15 Punkten von Mitte Dezember wieder zur Hälfte vernichtet. Wie sehr Russlands Börse den westlichen hinterherhinkt, zeigt ein Blick auf das Allzeithoch von 2 487 Punkten im Jahr 2008. Anzeichen für BärenmarktDer Index der meistgehandelten russischen ADR-Scheine in New York weist laut Bloomberg ein Minus von 24 % seit dem diesjährigen Höchststand vom April auf – Anzeichen für einen Bärenmarkt. “Bedenkt man die hohe Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von den Einnahmen aus dem Ölverkauf, so führt der Verfall des Preises für Brent und des Rubelkurses zu einer negativen Bewertung des Marktes seitens ausländischer Investoren”, meint Sergej Pigarev, Analyst bei Rye, Man & Gor.Allemal auffällig, dass vor diesem Hintergrund die börsennotierte Moskauer Börse selbst zu den profitabelsten Unternehmen gehört und im zweiten Quartal ein Gewinnplus von 73 % erzielte. Citi bleibt daher bei der Empfehlung “Kaufen” und erhöhte dieser Tage das Kursziel leicht auf 92 Rubel. Auch die Analysten von KIT Finance halten die Börse selbst, die im Moment bei 74 Rubel notiert, für ein attraktives Langfristinvestment: Das Potenzial sei groß, da bisher gerade mal 1 % der Bevölkerung in Wertpapiere investiere.Was nun die einzelnen Sektoren betrifft, deren Aktien seit Jahren als chronisch unterbewertet gelten, so dürften die exportierenden Metallurgie- und Bergbautitel mehr als die Ölwerte von der Rubelabwertung profitieren. Gefragt waren zuletzt Papiere des weltweit größten Nickelproduzenten Norilsk Nickel, der ein Aktienrückkaufprogramm gestartet hat und sich zur Auszahlung einer Zwischendividende bereiterklärt hat.Aber auch der russische Ölsektor erweise sich als durchaus widerstandsfähig gegenüber dem Ölpreisverfall und sei profitabler als die globale Konkurrenz, betont die Ratingagentur Moody’s in einer Analyse: Dies verdanke sich dem neuen, exportfreundlicheren Steuersystem und auch dem schwachen Rubel, da die operativen Ausgaben vor allem in Rubel anfallen.Am meisten Profitabilität gesteigert hätten die exportorientierten Branchenführer Rosneft und Lukoil, wobei die den Sanktionen unterworfene und hoch verschuldete Rosneft am meisten unter den Finanzsanktionen des Westens leidet. Die Investoren bleiben vorsichtig. Seit dem Frühjahr hält der Abwärtstrend der Rosneft-Aktie an, auch Lukoil hat seit Mai ein Viertel ihres Wertes verloren.Nicht überzeugen kann im Moment auch der Gasriese Gazprom. Die Aktie, die nach einem Zehnjahrestief Ende Januar binnen weniger Monate um 50 % zugelegt hatte, ist mittlerweile fast schon wieder bei ihrem Ausgangstief gelandet. Dabei fiel auch hier währungsbedingt das erste Quartal mit 71 % Gewinnplus durchaus erfreulich aus. Weil aber der vorjährige Ölpreisverfall mit mehrmonatiger Verspätung erst jetzt richtig auf den Gaspreis durchschlägt, bleiben die Aussichten verhalten. Zudem geht die Story mit der neuen Turkish-Stream-Pipeline nicht auf, und auch der Ausbau der Exportinfrastruktur nach China gestaltet sich zäh.Was den Bankensektor betrifft, so lautet der Befund von Moody’s, dass 2015 ein verlustreiches Jahr bleibt: Der binnen eines halben Jahres von 17 % auf 11 % gesunkene Leitzinssatz könne die steigenden Kosten der Rückstellungen für notleidende Kredite nicht wettmachen. Der staatliche Platzhirsch Sberbank gilt immer noch als Favorit. Aber auch hier sah es seit Mai nicht gut aus. KIT Finance gibt dem Papier jedoch langfristig 20 % Wachstumspotenzial.Ein Paradigmenwechsel hat auf dem Einzelhandelssektor stattgefunden. Weil in diesem Jahr die Realeinkommen erstmals seit über einem Jahrzehnt zurückgingen, bremst auch der Handelssektor beim Ausbau seines Geschäfts. Vom Importembargo profitieren kann indes etwa der Branchenprimus Magnit, der längst in der einheimischen Lebensmittelproduktion investiert ist. Hier winken gute Dividendenrenditen.Wer nach all diesen Titeln im Internet in Russland sucht, tut dies vorwiegend über die Suchmaschine Yandex, die in Russland weit vor dem internationalen Konkurrenten Google liegt. Die Gazprombank hat dem Titel soeben eine Kaufempfehlung verpasst.