IM INTERVIEW: ANGELIKA MILLENDORFER, RAIFFEISEN CAPITAL MANAGEMENT

"Russland wächst unter Potenzial"

Fondsmanagerin wünscht mehr Reformen - Land profitiert von lockerer Geldpolitik - Gas-Aktien bevorzugt

"Russland wächst unter Potenzial"

Angelika Millendorfer glaubt, dass vom Angriff auf saudische Ölverarbeitungsanlagen allenfalls kurzfristige Impulse auf den stark von Ölwerten geprägten russischen Aktienmarkt ausgehen. Ohnehin gibt sie den Aktien von Gasförderern den Vorzug vor Ölaktien. Frau Millendorfer, gehen vom Angriff auf saudi-arabische Ölverarbeitungsanlagen positive Impulse auf den russischen Aktienmarkt aus?Die höheren Ölpreise haben unserer Meinung nach nur einen kurzfristigen positiven Einfluss. Insgesamt ist das Umfeld für die Ölpreise nicht so toll. Die weltweiten Lagerbestände sind sehr hoch. Die USA haben ihre Produktion in den zurückliegenden Jahren massiv ausgeweitet und sind zum Ölexporteur mutiert. Dadurch hat sich die globale Angebots-Nachfrage-Balance stark verändert und wurden Länder wie Russland zur Reduktion der Förderung gezwungen. Zudem schwächt sich die globale Nachfrage derzeit ab. Es ist bezeichnend, dass Angebotsausfälle des Iran und Venezuelas kaum Einfluss auf die Preise haben. Wir rechnen damit, dass sich der Brent-Preis um 65 Dollar einpendeln wird und erwarten ab 2021 um 70 Dollar. Allerdings wurde diese Prognose vor dem Angriff erstellt. Wie positionieren Sie sich im russischen Ölsektor?Wir sind untergewichtet, in der Gasbranche aber übergewichtet. Gazprom hat sich sehr stark entwickelt, was uns angesichts des sehr hohen Gewichts dieser Aktie zugutegekommen ist. Das Unternehmen hat mit einer deutlichen Dividendenanhebung überrascht. Das bedeutete zum Zeitpunkt der Ankündigung eine Dividendenrendite von rund 10 %. Bislang hatte es sich den von der Regierung gewünschten höheren Ausschüttungen widersetzt. Konkret will Gazprom in drei Jahren eine Ausschüttungsquote von 50 % erreichen. Gibt es weitere Gastitel, die Ihnen gefallen?Uns gefällt Novatek. Dieses Unternehmen setzt stark auf Flüssiggas. Drei große Flüssiggasprojekte sind derzeit im Anlauf, was dem Unternehmen weiteres Ertragswachstumspotenzial beschert. Wie schätzen Sie die Aussichten der russischen Wirtschaft ein?Die russische Wirtschaft wächst unter Potenzial. Nach 2 % im zurückliegenden Jahr erwarten wir für 2019 ein Wachstum von 1,2 %, für nächstes Jahr etwas mehr. Von einem Land wie Russland würde man ein höheres Wachstum erwarten, aber die Sanktionen fordern ihren Tribut. Russland könnte mehr machen, was Reformen betrifft. Derzeit verfolgt die Regierung – Putins Popularität leidet unter der unbefriedigenden wirtschaftlichen Entwicklung – Investitionspläne, sogenannte “nationale Projekte”. Dabei geht es um Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Hier ist einiges möglich. Wenn das entschieden angegangen wird, könnte das einen positiven Schub für die Wirtschaft bedeuten. Welche Bereiche des russischen Aktienmarktes könnten davon profitieren?Direkt nur Stahlunternehmen, weil die Nachfrage nach Stahl stark steigen würde. Tendenziell würden inlandsorientierte Werte profitieren, etwa Konsumaktien. Derzeit ist das Konsumklima schwach. Mehr Wachstum würde etwa den Einzelhandelstiteln zugutekommen. Welche Werte gefallen Ihnen in dieser Branche?Uns gefällt X5 Retail besser als Magnit. Magnit war in der Vergangenheit das bessere Unternehmen, aber das hat sich umgekehrt. X5 hat schönere Läden, arbeitet mehr mit Sonderaktionen und hat im zurückliegenden Jahr 2 000 neue Filialen eröffnet. Das Umsatzwachstum betrug 18 %. Magnit ist etwas durch den Eigentümer- und Managementwechsel beeinträchtigt. Was halten Sie vom Internet-Suchmaschinenbetreiber Yandex?Yandex ist das russische Google und hat einen Marktanteil in Russland von 60 %. Es ist ein gutes Unternehmen, das in weitere digitale Bereiche expandiert hat. Dazu zählen die in Kooperation mit Uber gestartete Yandex Taxi, ein Car-Sharing-Geschäft sowie der in Kooperation mit Hyundai erfolgte Einstieg in den Bereich autonomes Fahren. Das KGV liegt bei 27, was zum Teil mit den Anlaufverlusten im Taxi-Geschäft zusammenhängt. Wenn dieser Effekt wieder rausgeht, wird es sinken. Wie beurteilen Sie die Bankaktien?Wir sind in der Branche übergewichtet, unter anderem in Sberbank. Anfang September gab es eine erneute Leitzinssenkung. Mittelfristig erwarten wir einen Rückgang des russischen Leitzinses auf einen Bereich um 6,5 %. Die Banken profitieren über die Kurssteigerungen russischer Anleihen sowie in Form einer anziehenden Kreditvergabe. Sberbank hat ein KGV von lediglich 5. VTB ist nicht ganz so gut wie Sberbank, unter anderem was die Kapitalausstattung betrifft. Das Institut ist mit einem etwas niedrigeren KGV als bei Sberbank aber attraktiv bewertet. Zuletzt haben zudem seine Ergebnisse positiv überrascht. Emerging Markets und damit auch Russland gelten als Profiteure der lockeren Geldpolitik in den Industrienationen. Teilen Sie diese Meinung?Russland profitiert eindeutig. Ablesbar ist dies an den Dollar-Anleihen des Landes, deren Verzinsung nur noch bei 3 % liegt. Insgesamt sehen seine Daten sehr solide aus. Die öffentliche Verschuldung liegt bei 13 % des BIP. Die Auslandsverschuldung liegt bei 30 %, wobei die Währungsreserven höher sind als die Auslandsverschuldung. Russland hat, anders als Argentinien, aus den Krisen gelernt. Welche weiteren Aktienmärkte der Regionen gefallen Ihnen?Wir haben zuletzt in der Türkei zugekauft. Die Konjunkturdaten haben jüngst positiv überrascht, die Währung ist stabiler geworden. Die Leitzinssenkungen haben den Aktienmarkt beflügelt, vor allem die Bankenbranche. Das sieht im Moment sehr gut aus. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.