Russlands Aktienmarkt im Aufwind

Trump und Ölpreis sorgen für positive Impulse - Fehlende Reformen das Hauptmanko

Russlands Aktienmarkt im Aufwind

Während andere Schwellenländer unter den US-Zinsanhebungen und Donald Trumps wirtschaftspolitischen Abenteuern leiden werden, scheint Russland zu profitieren. Der Ölpreis flößt zusätzlich Optimismus ein. Putins Reformresistenz jedoch nicht.Von Eduard Steiner, MoskauTotgesagte leben bekanntlich länger. Und wenn gleich mehrere positive Faktoren zusammentreffen, so können sie nach einem Durchhänger sogar wieder zur Hochform auflaufen. Konkret Russland. Nach zwei Jahren Rezession und einer Kontraktion des Bruttoinlandsprodukts von insgesamt etwa 4 % Prozent hat das Land die Talsohle durchschritten und wird dieses Jahr immerhin 1 % – Optimisten meinen 2 % – Wachstum erzielen. Gewiss, von alten Höhenflügen ist man damit noch weit entfernt, und weil vor den Präsidentenwahlen 2018 auch keine nennenswerten wachstumstreibenden Reformen mehr in Angriff genommen werden, kann sich das Wettmachen der Rezession noch bis 2019, wenn nicht gar bis 2020 hinziehen, geht aus den Prognosen des Wirtschaftsministeriums hervor. Mangelndes VertrauenSo gesehen bleiben die Diskurse über innerrussische Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft vorerst ziemlich akademisch ohne viel praktische Auswirkung. Die Befunde, was ist und was zu tun wäre, wiederholen sich, wie dieser Tage auf dem berühmten Moskauer Gajdar-Wirtschaftsforum einmal mehr klar wurde. Abgesehen von anderen Detailproblemen sei die Hauptbremse das mangelnde Vertrauen in die staatlichen Institutionen, konstatierte Alexej Kudrin, den sich Kremlchef Wladimir Putin immer noch als Ratgeber und Joker für mögliche Regierungswechsel hält. Das große Vertrauen in Putin allein helfe nicht, wenn Umfragen zufolge bis zu 85 % der Bürger und natürlich Investoren den Institutionen misstrauten. Unter diesen Umständen “ist es schwer, Reformen durchzuführen”.Eine umso größere Rolle kommt äußeren Faktoren zu – die in den vergangenen zweieinhalb Monaten positiv waren. Da ist zum einen die gerade durch Russlands Engagement bei der Durchsetzung und bislang auch Einhaltung internationaler Förderkürzungen bewirkte Erholung des Ölpreises, die allerdings den lange niedergedrückten Rubel selbst gegenüber dem erstarkenden Dollar derart signifikant aufwertete, dass die Regierung bereits über Gegenmaßnahmen nachdenkt, weil eine weitere Aufwertung die Konkurrenzfähigkeit der Industrie einschränke, wie Finanzminister Anton Siluanow sagte. Und da ist zum anderen der positive Effekt der US-Präsidentenwahlen, deren Ausgang in Russland Euphorie ausgelöst hat, wird doch mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump eine Entspannung im bilateralen Verhältnis und ein Tauwetter mit Europa erwartet. Micex auf AllzeithochDie Börse, die sich seit ihrem Mehrjahrestief von Ende Januar 2016 sukzessive erholte, quittierte die beiden genannten Momente bereits im November und Dezember mit beschleunigtem Wachstum und markierte im Falle des Rubel-Index Micex kürzlich sogar ein Allzeithoch, ehe in den vergangenen beiden Wochen eine leichte Korrektur folgte. Die Erwartungen an 2017 bleiben dennoch hoch. Dies wohlgemerkt vor dem Hintergrund, dass sich Investoren aus den anderen Emerging Markets wieder zurückzuziehen beginnen, wie die Januar-Umfrage von BoA Merrill Lynch unter 215 Portfoliomanagern zeigte. Einzige Ausnahme vom neuen Trend bleibe Russland. Daten des US-Branchendienstes EPFR Global (Emerging Portfolio Fund Research) zufolge haben ausländische Investoren in den vergangenen neun Wochen über 1,6 Mrd. Dollar in russische Aktienfonds investiert. Nicht zufällig also hat das Gros der Investmentbanken in ihren Prognosen für 2017 Russland als attraktivstes Schwellenland ausgemacht. Daran ändere auch nichts, dass der Investitionszufluss in den vergangenen Tagen an Geschwindigkeit verloren hat, so dass die Indizes ihre vorjährigen Höchststände bislang nicht übertreffen, so Wjatscheslaw Smoljaninow, Chefanalyst von BCS Prime. Russland kämen nicht nur die günstige Bewertung des Marktes und die hohe Dividendenrendite zugute, Russland profitiere eben auch von der Erholung der Rohstoffmärkte und von einer möglichen Entspannung mit dem Westen nach der Trump-Inauguration, so Andrej Lobanow, Portfoliomanager bei Region Asset Management. Dabei ist die reale Art und Weise der Annäherung mit Trump im Konkreten und mit dem Westen im Allgemeinen alles andere als klar. ZinssenkungsfantasieDie Fantasie greift dennoch um sich. So hat Morgan Stanley in der Vorwoche in einer Analyse bereits das Szenario einer Lockerung der westlichen Sanktionen gegenüber Russland durchgespielt. Die Auswirkungen auf das BIP-Wachstum wären zwar mit 0,5 Prozentpunkten beschränkt, aber der – zuletzt übrigens ohnehin stark reduzierte – Kapitalabfluss würde weiter zurückgehen, was den Rubel stärke, so die US-Bank. Außerdem würde das von der Zentralbank angepeilte Inflationsziel von 4 % tatsächlich 2017 erreicht, so dass sie den Leitzins, den sie zuletzt bei 10 % belassen hat, bis Ende 2018 sukzessive auf 7,25 bis 7,50 % senken könnte.HSBC lässt sich in ihrem Januar-Bericht zu den Emerging Markets auf solch hypothetische Sanktionsaufhebungsszenarien nicht ein, bezieht ihren Optimismus aber daraus, dass Putin aufgrund seines hohen Ratings zu keiner populistischen Politik bis zur Wahl 2018 gezwungen sei. Gewiss, HSBC schließt unerwartete Wendungen in der Fiskalpolitik und geopolitische Risiken nicht aus. Jedenfalls sieht sie Spielraum, dass die Zentralbank den Leitzins schon bis Ende 2017 auf 8 % und ein Jahr später auf 7 % senkt.Generell bleibt HSBC bullish für russische Staatsanleihen. Was den Rubel betrifft, der im Vorjahr um ein Fünftel zugelegt hat und nun bei 59,23 Rubel je Dollar steht, so erwartet HSBC für das erste Halbjahr eine weitere Aufwertung auf 57 Rubel, während die meisten anderen Schwellenländerwährungen eher abwerten dürften. Gegen Jahresende freilich werde auch der Rubel wieder auf 65 Rubel je Dollar fallen. UBS hingegen sieht für 2017 die Chance, mittels Rubel-Carry-Trades 26 % zu erzielen.Bei Aktien empfiehlt HSBC überzugewichten. Komme es zu Sanktionserleichterungen, werden laut Morgan Stanley der Bankensektor und dabei besonders die Favoriten Sberbank und Tinkoff Bank (TCS) – beide bereits Top-Performer im Vorjahr – profitieren. Morgan Stanley bleibt daher für die Sberbank, die derzeit bei 170 Rubel notiert, wie auch für TCS, die bei 10,10 Dollar steht, bei “Kaufen” und erhöhte das Kursziel von 195 auf 223 Rubel bzw. im Fall TCS von zwölf auf 14,10 Dollar. Auch HSBC sagt bei der Sberbank “Buy” und erhöhte das Kursziel von 177 auf 216 Rubel.Im Rohstoffsektor wären laut Morgan Stanley der Ölbranchenprimus Rosneft und die zweitgrößte Gasgesellschaft Novatek die Profiteure einer Sanktionslockerung, da sie wieder leichteren Zugang zu westlicher Fördertechnologie erhielten. Die Deutsche Bank hat etwa Rosneft, den größten Newsmaker der jüngsten Privatisierungen, bereits auf “Kaufen” hochgestuft und sieht das Kursziel nun bei 430 Rubel. Als indirekten Gewinner einer Annäherung mit den USA und einer wirtschaftlichen Erholung hebt Morgan Stanley die russische Internetsuchmaschine Yandex, die derzeit bei 22,83 Dollar notiert, hervor und verleiht ihr ein Kursziel von 31 Dollar. Unsicherer KonsumausblickSberbank, Rosneft, Novatek und die größte Handelskette Magnit – genau diese Aktien waren zuletzt tatsächlich am meisten nachgefragt. Was übrigens den Konsum betrifft, so sind sich Experten nicht einig, wie schnell er nach dem Rezessionsdämpfer wieder an Fahrt gewinnen wird. Die Sberbank-CIB ihrerseits hat die Handelsbranchenführer Magnit und X5 auf der Kaufliste und hat kürzlich die Kursziele von 45 auf 47 bzw. von 35 auf 40 Dollar angehoben. Magnit steht derzeit bei 38,87, X5 bei 31,72 Dollar. BCS Prime empfiehlt im Übrigen noch Unternehmen des Immobiliensektors und rät stattdessen bei Düngemittel- und Telekommunikationskonzernen zum Verkauf.