Schweiz ist kein Markt für Sprinter
Der Schweizer Aktienmarkt läuft den Notierungen in anderen Ländern derzeit hinterher. Grund der unterdurchschnittlichen Entwicklung ist sein defensiver Charakter.Von Daniel Zulauf, ZürichDie Schweizer Aktienbörse ist definitiv kein Markt für Sprinter. Während sich die US-Börse gemessen am S & P 500 Index zurzeit nur noch wenige Prozentpunkte unterhalb ihres sechs Jahre alten Allzeithochs bewegt, notiert der Swiss Market Index (SMI) beim aktuellen Stand von knapp 6 500 noch immer beträchtliche 31 % jenseits des Rekords aus dem Jahr 2007. Auch der Dax ist weit näher an seinem bisherigen Spitzenwert dran (11 %) als das helvetische Blue-Chip-Barometer.”Wenn die Aktienmärkte boomen, bleibt die Schweiz immer zurück”, sagt Jürg Furrer, Investmentstratege von Aquila, einem Verbund von bankenunabhängigen Vermögensverwaltern in Zürich. Der Hauptgrund für dieses Phänomen ist die defensive Zusammensetzung des SMI. Rund 60 % der in dem Index vertretenen Aktien reagieren auf Marktbewegungen mit einem signifikanten Trägheitsmoment, und auch fundamental sind die Unternehmen für konjunkturelle Veränderungen vergleichsweise wenig sensibel.Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass das geld- und konjunkturpolitische Zentralbanken-Doping im Schweizer Aktienmarkt weit weniger Wirkung entfaltet als in anderen, zyklischeren Märkten. “Der SMI kann von den Zentralbankinterventionen weniger profitieren als zum Beispiel der S & P 500 oder der Dax”, bestätigt Christoph Riniker, Anlagestratege bei der Bank Julius Bär. Gültigkeit hat die Feststellung auch für die kürzlich angekündigten Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank wie auch für eine mögliche weitere quantitative Lockerungsübung, die die amerikanische Federal Reserve noch in der laufenden Woche bekannt geben könnte.Wegen seiner defensiven Zusammensetzung und ein paar anderer Gründe, die mehr bei der spezifischen Entwicklung einzelner Unternehmen zu verorten sind, steuert der SMI mit einem Plus von knapp 10 % seit Jahresbeginn auf eine im internationalen Vergleich erneut schwache Jahresperformance zu. Bemerkenswerterweise ist die Underperformance der Schweiz ein langfristiges Phänomen: “Es ist eine Tatsache, dass der Schweizer Aktienmarkt seit fünf Jahren relativ wie absolut schlechter läuft als beispielsweise der Dax oder der S & P 500″, wenn man die Währung außer Acht lässt”, stellt Riniker fest. PreisindexEine wichtige Erklärung dafür ist erstaunlich simpel und wird dennoch häufig vergessen. Der SMI ist ein sogenannter Preisindex. Er zeigt allein die Entwicklung der Aktienkurse und vernachlässigt dabei etwa im Unterschied zum Dax die Dividendenausschüttungen. Damit hat der SMI einen wesentlichen Makel. Denn just die den Leitindex dominierenden Großkonzerne wie Nestlé, Novartis und Roche zeichnen sich dadurch aus, dass sie in ihren reifen Märkten zwar relativ langsam wachsen, aber über ungemein starke Marktpositionen verfügen. Die Konzerne erwirtschaften zuverlässig hohe Gewinne, die entsprechend hohe Ausschüttungen zulassen. Im langjährigen Durchschnitt bewegen sich die Schweizer Dividendenrenditen um die 3 %. Zurzeit liegt die Zahl sogar noch höher. Von den 20 Werten im SMI weisen nicht weniger als acht eine Dividendenrendite von über 4 % bis mehr als 7 % (Zurich Insurance) auf. Nur acht Titel haben eine Rendite von unter 3 %.Der Einfluss der Dividenden auf die Performance ist beträchtlich. Der Swiss Performance Index (SPI), der zu rund 90 % aus dem SMI besteht und die Dividenden einbezieht, hat im Fünfjahresvergleich 2 % zugelegt, während der SMI 9 % verloren hat. Über sechs Jahre, also über die Dauer der ganzen Finanzkrise hinweg, beträgt der Unterschied bereits 12 Prozentpunkte zugunsten des SPI. Deshalb sagt der Anlagestratege Alfred Rölli von der Bank Pictet: “Der defensive Charakter und die hohen Dividendenrenditen machen den Schweizer Markt für uns zu einem wichtigen Element unserer Anlagestrategie.” Hinter die Zusammensetzung des SMI setzt aber auch Rölli ein großes Fragezeichen: “Die Schweiz mit ihrem SMI ist ein seltsamer Markt. Hier ist die richtige Titelauswahl das Ein und Alles.” Aktien mit einer dynamischen Kursentwicklung sind in der Tat auch in Zürich zu finden, wie die Liste der diesjährigen Top-Performer im SMI zeigt. Nur: Wer hohe Kursgewinne sucht, kann in aller Regel nicht gleichzeitig hohe Dividendenrenditen erwarten. Diese Regel gilt in der Schweiz ebenso wie im Rest der Welt.