"Schweizer Aktien sind gepreist für eine perfekte Welt"

Unternehmerische Qualität und "Safe Haven" - Label versus Exportrisiken - Finanzsektor bietet Chancen

"Schweizer Aktien sind gepreist für eine perfekte Welt"

Die Schweiz ist Wiege einer hoch spezialisierten, wettbewerbsfähigen Wirtschaft und hat eine Hartwährung. Dies spiegelt sich in der hohen Bewertung ihres Aktienmarktes. Von Neueinsteigern verlangt dies Umsicht und Geduld.Von Dietegen Müller, FrankfurtNeulich auf einer Portfoliokonferenz in der Mainmetropole. Das Auditorium findet fast unisono: Schweizer Aktien sind nebst Gold die Assets, in denen keine Bewertungsblase gesehen wird – anders als chinesische Aktien. Diese Einschätzung löst Widerspruch aus. Würde sich die chinesische Konjunktur kräftig abkühlen – wonach es gemäß jüngsten Wirtschaftsdaten nicht aussieht -, würde dies Schweizer Uhren- und Luxusgüterunternehmen durchaus treffen.Unsicherheit besteht auch in puncto Frankenstärke. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) versetzte mit der Aufhebung der Euroanbindung des Franken Mitte Januar Schweizer Aktien einen herben Schlag. Seither entwickelte sich der Swiss Market Index (SMI), der Blue Chips wie Nestlé, Novartis und UBS umfasst, aber im Einklang mit Nachbarn aus der Eurozone wie dem Dax und Euro Stoxx 50. Seit Anfang Juli – als die Griechenland-Krise wieder virulent wurde – hat sich der SMI sogar etwas besser entwickelt.Investoren nehmen damit negative Effekte aus der Frankenstärke nicht eins zu eins vorweg. Das Bild ist differenziert. Einige SMI-Titel haben sich seit Januar nicht bremsen lassen. So die Banktitel CS, Julius Bär, UBS und die Aktien des Personalvermittlers Adecco. Actelion und Syngenta stiegen getrieben von Übernahmefantasie. Auf den hinteren Plätzen liegen dagegen der Elektrokonzern ABB, der Luxusgüterkonzern Richemont, der Uhrenhersteller Swatch Group, der Warenprüfer SGS, der Sanitärspezialist Geberit sowie die Versicherer. Generell hart getroffen von der Frankenaufwertung wurden an der Börse Konsumtitel und kleinere Exportunternehmen. Frankenstärke unterschätztWer mit dem Kauf von Schweizer Titeln liebäugelt, wird sich nun fragen, ob die Wettbewerbsnachteile durch die Frankenstärke überbewertet werden oder nicht. Die Ansichten gehen weit auseinander. Anders als die Meinung im Frankfurter Auditorium, Schweizer Aktien seien relativ gesehen günstig, ist die französische Großbank Société Générale (SG) ein überzeugter Schweiz-“Bär”.SG-Aktienstratege Roland Kaloyan hält den Markt immer noch für einen der teuersten weltweit. “Schweizer Aktien sind gepreist für eine perfekte Welt”, sagt er im Gespräch. Kaloyan hat eine einfache Erklärung, warum sie trotzdem als attraktiv gelten. “Mit Blick auf die Risikoprämie erscheint der Markt sehr günstig. Dies liegt am extrem tiefen Schweizer Zinsniveau.” Ob dieses die richtigen Hinweise in Bewertungsfragen liefert, kann bezweifelt werden. Entscheidend ist die Widerstandskraft im operativen Geschäft. Das Firmendomizil – zufällig in der Schweiz – spielt eine untergeordnete Rolle.Aus Renditeüberlegungen bedeutender ist, wie groß in dem Unternehmen die Differenz zwischen den Kosten in Franken und den Erlösen in Fremdwährungen ist. In einem ungünstigen Verhältnis besteht ein Transaktionsrisiko – die Frankenaufwertung belastet das operative Ergebnis, weil mehr Kosten in der Hartwährung anfallen, als hier ein Ergebnis erzielt wird. Exponiert sind etwa Actelion, Bobst, Galenica, Lonza, Mikron, Richemont, SGS, Straumann, Sonova und Swatch Group.International diversifizierte Unternehmen bieten dagegen zwei Vorteile: Nestlés breite geografische Diversifizierung etwa schützt gegen die Frankenaufwertung. Damit eignen sich die Titel als Fluchtmöglichkeit, da sie in einer Hartwährung denominiert sind. Dies spiegelt sich in einem derzeit hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 22 (Schätzung 2015).Société-Générale-Analyst Kaloyan hält den Effekt der Frankenaufwertung aber generell für unterschätzt: “Schweizer Exporttitel werden einen längeren Wettbewerbsnachteil haben, auch wenn sie dank ihrer Produktqualität eine gewisse Preismacht haben”, sagt er. Der Analyst glaubt nicht, dass die Unternehmen zwangsweise effizienter und so wieder wettbewerbsfähiger werden. “Viele Unternehmen sind bereits sehr schlank aufgestellt und gut gemanagt, so dass es schwierig wird, hier noch Kräfte freizusetzen”, sagt Kaloyan. Vor allem Small und Mid Caps liefen in den vergangenen Jahren sehr gut. Gemäß Kaloyan sind sie damit gegenüber Alternativen aus Ländern wie Italien und Spanien, denen der Peripherie-Malus der Eurozone anhängt, im Nachteil. Gut, aber nicht günstigGeläufige Kennziffern wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) oder Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) stützen die Einschätzung eines teuren Schweizer Marktes. Gemäß Bloomberg-Daten sind Ausnahmen aber im Finanzsektor zu finden, so die Versicherer Helvetia und Zurich sowie einige Aktien von Kantonalbanken.Gemessen am KGV vergleichsweise günstig und ohne damit ein fundamentales Problem zu signalisieren sind auch einige Industriewerte. Dazu zählen der Autozulieferer Autoneum – eine Abspaltung des Textilmaschinenbauers Rieter -, die Schraubengruppe Bossard, der Maschinenbauer Bobst oder der Automatisierungsspezialist Komax. Auch der Maschinen- und Fahrzeughersteller Bucher Industries sowie der Medienkonzern Tamedia zeigen vergleichsweise moderate Bewertungen. Die Zürcher Kantonalbank stuft solche Titel grundsätzlich als attraktiv ein, ist derzeit aber in zyklischen Titeln zurückhaltend positioniert.Für langfristige, antizyklisch orientierte Investoren sind reizvolle Segmente jene, die große erwartete Gewinnrückgänge sowie tiefere Bewertungen zeigen, wie Konsum- und Finanzaktien (siehe Tabelle). Die anlaufende Berichtssaison gibt Einblick in die Folgen der anhaltenden Frankenstärke. Die Auswirkungen halten sich bisher oft in Grenzen, frohlocken die Optimisten. Das Umfeld bleibt aber schwierig.