IM INTERVIEW: LEIGH INNES, T. ROWE PRICE

Schwellenländer gelten heute als widerstandsfähiger

Portfoliospezialistin: US-Zinsanstieg aktuell weniger gefährlich für die Emerging Markets - Verbesserte Fundamentaldaten - Von Trump Pragmatismus erwartet

Schwellenländer gelten heute als widerstandsfähiger

Nach der Erholung der Preise von Assets aus den Emerging Markets im vergangenen Jahr spüren die Schwellenländer seit dem Wahlsieg Donald Trumps wieder deutlichen Gegenwind. Leigh Innes, Portfolio Specialist in der Equity Division des US-Assetmanagers T. Rowe Price, erläutert, wie groß die Gefahren wirklich sind.- Frau Innes, wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung von Assets aus den Emerging Markets?Nun, wir hatten jetzt sechs Jahre lang eine schlechtere Performance von Assets aus den Emerging Markets im Vergleich zu Anlagen aus den entwickelten Märkten. Erst im vergangenen Jahr ging diese Phase zu Ende, und die Schwellenländer entwickelten sich wieder deutlich besser. Der Gegenwind, den diese Märkte spürten, ließ deutlich nach. Die Lage in den Schwellenländern und das globale Umfeld haben sich stabilisiert, was es den erfolgreichen Unternehmen aus diesen Ländern ermöglicht, sich besser zu entwickeln.- Woran machen Sie die Verbesserungen fest?Es hat sich beispielsweise das Wachstum des aggregierten Bruttoinlandsprodukts der Schwellenländer relativ zu demjenigen der Industrieländer verbessert, obwohl sich die konjunkturelle Verlangsamung in China noch weiter fortsetzt. Ferner sind die großen Korrekturen, die es an den Märkten für Devisen aus den Schwellenländern so wie bei Rohstoffen gegeben hat, mittlerweile beendet. Zudem hatte es ja in den vergangenen fünf Jahren einen deutlichen Rückgang der Gewinnmargen bei Unternehmen aus dem Emerging Markets gegeben. Im Jahr 2016 haben viele Unternehmen dann mit Gegenmaßnahmen aus eigener Kraft begonnen, beispielsweise mit umfangreichen Kostensenkungsmaßnahmen. Es ist nämlich vielen Unternehmensführungen klar geworden, dass sie sich nicht länger auf ein günstiges konjunkturelles Umfeld verlassen können. Als ein Ergebnis dieser Entwicklung nimmt die Produktivität in den Schwellenländern nun erstmals seit einer ganzen Reihe von Jahren wieder schneller zu als die Löhne und Gehälter. Das schlägt sich mittlerweile in steigenden Gewinnmargen sowie deutlich verbesserten Ergebnissen der Unternehmen nieder, so dass die Enttäuschungen der vergangenen Jahre hinter uns liegen.- Wie sehr haben sich die Gewinnmargen bereits erholt?Über die gesamten Emerging Markets hinweg kann man für das Jahr 2016 von einem Gewinnwachstum von rund 8 % ausgehen. Mittlerweile beobachten wir auch wieder nach oben gerichtete Anpassungen der Gewinnprognosen durch die Analysten. Auch das gab es in den vergangenen fünf Jahren praktisch nicht. Für 2017 haben sich die fundamentalen Aussichten noch weiter aufgehellt. Im Rahmen eines aktiven Assetmanagements finden sich daher derzeit viele attraktive Unternehmen als Investitionsziele. Insgesamt präsentieren sich die Schwellenländer damit in einem deutlich besseren Zustand als in den vergangenen Jahren – insbesondere, wenn wir dies mit 2013 vergleichen, als alle Welt von den “Fragile Five” gesprochen hat und als die Sorge vorherrschte, dass US-Investoren ihre Mittel in großem Umfang abziehen könnten.- Besteht also nicht mehr die Gefahr einer Währungskrise der Schwellenländer?In den meisten Ländern hat sich das Niveau der Währungsreserven bezogen auf die externen Schulden deutlich verbessert. Dies betrifft insbesondere Länder, die in der Vergangenheit unter den Währungskrisen litten. Insofern kommen diese Länder jetzt auch besser mit steigenden Zinsen in den USA zurecht. Mit Blick auf den Einflussfaktor der US-Zinspolitik gilt es zudem, die Differenz der jeweiligen realen Zinsniveaus der Schwellenländer und der USA zu vergleichen. Derzeit sind die realen Zinsen in den Emerging Markets um rund 400 Basispunkte höher als in den USA. Damit besteht ein ausreichend großer Sicherheitsabstand, zumal auch die Geldpolitik in vielen Schwellenländern deutlich disziplinierter geworden ist. So kommt beispielsweise Brasilien von einem Leitzinsniveau von mehr als 14 %. Dieses wurde bereits von der Notenbank auf 13 % heruntergesetzt. Aktuell beträgt die Inflationsrate in Brasilien 6 %, wobei die Erwartungen noch weiter nach unten weisen. Dieses hohe reale Zinsniveau gibt Brasilien eine gewisse Absicherung gegenüber US-Zinserhöhungen. Es hat sich übrigens in der Vergangenheit gezeigt, dass sich die Schwellenländer in Zeiten steigender US-Zinsen gar nicht so schlecht entwickelt haben, weil dies oft auch Phasen eines zunehmenden Wirtschaftswachstums waren. Negative Reaktionen gegenüber Assets aus den Schwellenländern gab es zumeist nur dann, wenn die US-Zinsen überraschend oder überraschend schnell gestiegen sind.- Nun ergeben sich aber für dieses grundsätzlich positive Bild durch den Wahlsieg von Donald Trump signifikante Änderungen. Wo sehen sie Gefahren?Die Frage ist, ob die Schwellenländer an dem stärkeren globalen Wirtschaftswachstum noch weiter teilhaben können, wenn der Protektionismus zunimmt. Die Sorgen konzentrieren sich in dieser Hinsicht auf stark vom Export abhängige Nationen wie Mexiko und die größeren asiatischen Länder wie China, Taiwan und Südkorea. Wir gehen allerdings weiterhin davon aus, dass Trump letztlich hinsichtlich seiner Handelspolitik pragmatischer sein wird, als es seine Wahlkampfäußerungen erwarten lassen. So kann Trump zwar mit einem Federstrich erreichen, dass sich die USA aus der amerikanischen Freihandelszone Nafta zurückziehen. Allerdings würde es den USA mehr schaden als nützen, wenn sie auf ein System von Zöllen auf Basis der Regelungen der Welthandelsorganisation WTO zurückkehren. Insofern halten wir es für wahrscheinlich, dass es zwar eine Neuverhandlung der Nafta-Regeln geben wird, was aber nicht unbedingt eine schlechte Lösung sein muss. Allerdings liefe das auf zwölf bis 18 Monate Unsicherheit hinaus.- Was würde das insbesondere für Mexiko bedeuten?Dies wäre vor allem für Mexiko schädlich, weil es das Land in einer Phase wirtschaftlichen Abschwungs trifft. So hat das Verbrauchervertrauen in Mexiko nachgelassen, und es stehen im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen an, die schon für sich genommen Risiken bergen. Wir glauben zwar nicht, dass der tatsächliche Schaden für Mexiko aus dem Handelsstreit die maximal mögliche Höhe erreichen wird. Dennoch ergibt sich für den mexikanischen Aktienmarkt ein deutlich herausfordernderes Umfeld.- Wie sehr ist denn die mexikanische Volkswirtschaft von den USA abhängig?Ungefähr 40 % der mexikanischen Exporte gehen in die USA. Man kann davon ausgehen, dass ungefähr ein Viertel des mexikanischen Bruttoinlandsproduktes von den USA abhängig ist. Der US-Anteil ist damit deutlich höher als in den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern. So handelt es sich beispielsweise im Fall Brasiliens um eine deutlich stärker nach innen ausgerichtete Volkswirtschaft. Zudem exportieren die meisten Länder der Region stärker nach Asien.Nach dem Wahlsieg Trumps hatten wir damit gerechnet, dass sowohl der Peso wie auch der mexikanische Aktienmarkt stark unter Druck geraten würden. Während die mexikanische Währung durchaus stark nachgegeben hat, zeigte sich der Aktienmarkt aber überraschend robust. So liegen die Bewertungen nach wie vor oberhalb des Fünfjahresdurchschnitts. Wir raten bei mexikanischen Assets nach wie vor zum Untergewichten – dies aber nicht nur wegen der politischen Risiken, sondern auch wegen des weit fortgeschrittenen Konjunkturzyklus. Wir raten demgegenüber seit längerem zu einem deutlichen Übergewichten brasilianischer Aktien. Damit haben wir die kräftige Erholung des brasilianischen Aktienmarktes im vergangenen Jahr mitnehmen können. Es gibt nach wie vor viele hochwertige brasilianische Aktien – von Unternehmen, die sich auch im derzeit sehr schwachen brasilianischen Konsumumfeld gut schlagen.- Hängt die Rally am brasilianischen Aktienmarkt auch mit dem umstrittenen Regierungswechsel in dem Land zusammen?Zweifellos. Anfang 2016 waren die Bewertungen am brasilianischen Aktienmarkt sehr niedrig. Damit wurde quasi ein Worst-Case-Szenario eingepreist. Wir rechneten damit, dass es spätestens im Rahmen der Wahlen des Jahres 2018 zu einem Regierungswechsel kommen würde, schlossen aber nicht aus, dass schon früher etwas geschehen könnte. Dazu ist es ja dann auch gekommen.- Wie beurteilen Sie die Lage in Brasilien unter dem neuen Präsidenten Michel Temer aus Investorensicht?Temer hat von vornherein zu erkennen gegeben, dass er nicht anstrebt, 2018 für eine weitere Amtszeit gewählt werden. Dies gibt ihm die Freiheit, unangenehme, aber notwendige Reformen auf den Weg zu bringen. Dies betrifft beispielsweise das Verschuldungsverbot, das in der Verfassung verankert werden soll, sowie die unpopuläre Reform des Sozialsystems. Auch dies ist für uns ein Grund zum Übergewichten brasilianische Aktien. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Reformen ausgebremst werden könnten, weil auch gegen Temer und seine Regierung Ermittlungen wegen möglicher Korruption laufen.- Wie beurteilen Sie die konjunkturelle Entwicklung in Brasilien?Binnen drei Jahren ist das brasilianische Bruttoinlandsprodukt um insgesamt rund 10 % zurückgegangen. Die Binnenkonjunktur scheint sich jetzt aber zu stabilisieren. Das Land dürfte damit zu Wirtschaftswachstum zurückkehren. Allerdings sehen wir noch keine starke wirtschaftliche Dynamik.- Kommen wir zu Indien. Wie sind die Aussichten für indische Aktien vor dem Hintergrund der dortigen Bargeldreform?Indien weist ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum auf als beispielsweise Brasilien. Die indische Regierung führt auch für nötig gehaltene Reformen durch, auch wenn es jetzt durch die Bargeldreform zumindest kurzfristig zu erheblichen Störungen im indischen Wirtschaftssystem gekommen ist. Längerfristig wird die Bargeldreform aber zweifellos eine positive Wirkung entfalten. Wenn man dem Schwarzgeldsektor den Boden entziehen will, muss man dies offensichtlich wohl mit einem gewissen Überraschungseffekt tun.- Kommen wir zu China als dem wichtigsten Schwellenland. Wie beurteilen Sie die Aussichten für ausländische Anleger, und wie hoch ist das Risiko, dass es dort zu einer harten Landung beziehungsweise einer Krise kommt?Unserer Meinung nach ist das Risiko einer tiefen Krise von Konjunktur und Währung gering. Die chinesische Regierung verfügt über genügend Spielraum, so dass ihr die geplante Umgestaltung der Wirtschaft auch gelingen dürfte. Daher hat sich auch der Yuan mit Blick auf die Dollar-Stärke besser gehalten als die Währungen der asiatischen Nachbarstaaten Chinas. Allerdings ist es für die chinesische Regierung von kritischer Bedeutung, dass sie die Kapitalflucht ins Ausland unter Kontrolle bringt. Generell raten wir bei chinesischen Aktien mit Blick auf die Herausforderungen aktuell zum Untergewichten.- Welche Sektoren am chinesischen Aktienmarkt halten sie dennoch für attraktiv und welche meiden sie?Derzeit halten wir in China Internetaktien und ausgesuchte Werte aus dem Konsumsektor für interessant. Wir mischen auch einige Werte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien bei, meiden aber die Banken. Wir sind auch deutlich unterdurchschnittlich im Bereich der mehrheitlich staatlichen Industriewerte engagiert.- Was sind die Gründe dafür, dass sie chinesischen Bankaktien aus dem Weg gehen?Es geht vor allem um die Qualität der von den chinesischen Banken gehaltenen Assets. Deren Transparenz lässt aus unserer Sicht zu wünschen übrig. Zudem lässt sich auch nicht ausschließen, dass sich die jetzt absehbaren handelspolitischen Auseinandersetzungen auch im chinesischen Bankensystem niederschlagen. Obwohl wir die Bankaktien derzeit meiden, rechnen wir aber nicht damit, dass sich die beschriebenen Probleme zu einer systemischen Krise ausweiten werden. So sind die chinesischen Banken hinsichtlich ihrer Refinanzierung nicht auf ausländische Mittel angewiesen. Auch hinsichtlich China rechnen wir damit, dass Präsident Trump letztlich pragmatischer handeln wird, als es jetzt absehbar ist, da auch viele amerikanische Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel stehen.—-Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.