TECHNISCHE ANALYSE

Sektorrotation im Seitwärtsmarkt

Von Thorsten Grisse *) Börsen-Zeitung, 23.9.2020 Der Stoxx Europe 600 umfasst die größten 600 europäischen Aktien und ist ein wichtiger europäischer Gesamtmarktindex, wobei die Musik auch aus technischer Perspektive zurzeit auf Sektorebene spielt....

Sektorrotation im Seitwärtsmarkt

Von Thorsten Grisse *)Der Stoxx Europe 600 umfasst die größten 600 europäischen Aktien und ist ein wichtiger europäischer Gesamtmarktindex, wobei die Musik auch aus technischer Perspektive zurzeit auf Sektorebene spielt. Nach der “V-Recovery” in Q2 2020 durchläuft der Gesamtmarktindex Stoxx Europe 600 eine Seitwärtspendelbewegung, die zum Wochenstart einen negativen Grundton bekommen hat. Darunter läuft eine Sektorrotation, bei der sich kurzfristige Gewinner und Verlierer regelmäßig abwechseln. Es zeigt sich, dass auch bei einer holprigen Wegstrecke des Gesamtmarktes ein gleichzeitiges Investment in den Stoxx Europe 600 Chemicals und in den Stoxx Europe 600 Health Care eine attraktive Kombination aus zyklischem und defensivem Charakter jeweils mit einer langfristigen relativen Stärke liefert.Der Sektorindex Stoxx Europe Chemicals (kurz Stoxx Chemicals) umfasst 23 Titel und wurde bei der aktuellen Sektorreform nicht verändert. Der Kursindex startete Ende 1991 bei 100 Punkten. Mit einer Gesamtperformance von +886 % ist er seitdem der beste aller Sektorindizes. Seine langfristige relative Stärke weitete der Sektor auch 2020 aus. Besonders im zweiten Halbjahr ist er von der Aufwärtsrotation erfasst worden. Diese führte den Index zurück auf neue Allzeithochs.Aus langfristiger technischer Sicht befindet sich der Stoxx Chemicals seit Oktober 2008 (Start: 263 Punkte) in einem technischen Hausse-Zyklus. Dabei etablierte sich ab 2015 unterhalb der Resistance-Zone um 1 000 Punkte eine breite Seitwärtspendelbewegung (Support-Zone um 690 Punkte). Nach einer mehrjährigen Pause arbeitete sich der Sektor Ende 2019/Anfang 2020 erstmalig über die langfristige Resistance-Zone nach oben heraus. Der Ausbruchsversuch wurde jedoch vom “Covid-19-Crash” unterbrochen. Ab Februar 2020 fiel der Stoxx Chemicals in einem Sell-off bis auf den langfristigen technischen Support um 690 Punkte. Hier schlug der Sektor in eine “V-Recovery” um. In der folgenden Aufwärtsbewegung kletterte der Index schließlich nach mehreren Kaufsignalen zurück über die langfristige Resistance um 1 000 bis 1 062 Punkte. Mit dem Sprung auf neue Allzeithochs läuft nun eine technische Neubewertungsphase. Da sich – trotz erster kurzfristiger Take-Profits – die Fortsetzung der relativen Stärke des Sektors gegenüber dem Gesamtmarkt andeutet, eignet sich der Stoxx Chemicals zum Übergewichten.Dem Stoxx Europe 600 Health Care sind 20 Titel aus dem europäischen Gesundheitssektor zugeordnet. Dazu gehören einige Mega-Caps wie Roche und Novartis aus der Schweiz, die sich in der Vergangenheit durch konjunkturunabhängige, stabile Dividenden auszeichneten. Mit einer erwarteten Dividendenrendite von 2,6 % ist der Stoxx Health Care damit ein defensiver Sektor. Daher überrascht es nicht, dass der Sektor im Umfeld des “Covid-19-Crashs” im ersten Halbjahr 2020 zu den Outperformern gehörte. Im zweiten Halbjahr 2020 durchlief der Sektor eine Konsolidierung. Aus langfristiger technischer Sicht ist der Stoxx Health Care mit einer Performance von 816 % seit Anfang 1992 der zweitbeste aller Stoxx-Sektoren. Er startete im März 2009 bei 268 Punkten den laufenden Hausse-Zyklus. Dieser machte ab April 2015 bei 879 Punkten eine mehrjährige Pause in Form einer Seitwärtspendelbewegung. Dabei bildete sich eine langfristige gestaffelte Support-Zone zwischen 655 und 690. Diese Support-Zone verteidigte der Sektor auch im “Covid-19-Crash”. Es folgte eine deutliche “V-Recovery”, welche ab Mai 2020 in einen Trading-Markt um 900 Punkte mündete. Darin ist der Sektor zuletzt wieder zurück über seine 200-Tage-Linie gestiegen. Aktuell deutet sich eine Ausweitung des Trading-Marktes an. In Summe ist der Stoxx Health Care aufgrund der hohen (Chart-)Stabilität und der langfristig intakten relativen Stärke eine gute Beimischung zum Stoxx Chemicals, um bei einer Sektorrotation gegen Risiken abgesichert zu sein. Abwärtstrend bei EnergieDer Stoxx Europe 600 Oil & Gas-Sektor wurde in der September-Indexreform in den Stoxx Europe 600 Energy-Sektor überführt. Neben der Namensänderung gibt es auf der Subsektorebene leichte Änderungen. Dadurch ergibt sich eine verbesserte Repräsentanz alternativer bzw. erneuerbarer Energieproduzenten (z. B. Wasserstoffhersteller) im Sektor. Der alte Stoxx Europe 600 Oil & Gas-Index wird nicht eingestellt, sondern als “Legacy Index” fortgeführt. Aus technischer Sicht befindet sich der Sektor seit seinem All-Time High bei 473 Punkten (Juli 2007) in einer langfristigen Mega-Baisse. Die Mega-Baisse stoppte dabei häufig an der übergeordneten Support-Zone bei 215 bis 230 Punkten. Im Rahmen des “Covid-19-Sell-off” wurde diese langfristige Support-Zone aufgegeben. Der Sektor rutschte bis auf ein Tief bei 146 Punkten (März 2020). Hier kam es zu einer Recovery. Diese mündete jedoch bereits im April in eine Seitwärtspendelbewegung um 200 Punkte. Seit Juni 2020 liegt darin ein Abwärtstrend (Trendlinie zzt. bei 207 Punkten) vor. Da sich weiterhin keine technische Bodenformation des Sektors andeutet und mit Blick auf die nächsten Jahre Themen wie Klimaschutz und nachhaltiges Investieren (ESG) gegen den Stoxx Europe 600 Energy arbeiten, dürfte sich seine langfristige relative Schwäche ausweiten. Vor diesem Hintergrund bleibt der Sektor “technisch Untergewichten” im europäischen Sektorvergleich. *) Thorsten Grisse ist bei der Commerzbank im Bereich Technische Analyse & Index Research tätig.