IM INTERVIEW: JAMES CLUNIE, JUPITER ASSET MANAGEMENT

"Shortseller sind wie Schneeleoparden"

Der britische Fondsmanager über die jüngste Marktkorrektur, Schwierigkeiten von Leerverkäufern und reizvolle Value-Aktien

"Shortseller sind wie Schneeleoparden"

James Clunie gehört zu einer seltenen Spezies von Marktakteuren. In seinem Fonds hat er sich unter anderem auf Leerverkäufe spezialisiert. Das Umfeld für Shortseller war in den vergangenen Jahren sehr schwierig. Clunie ist im Gespräch mit der Börsen-Zeitung vorsichtig, was die jüngste Marktkorrektur anbelangt: Es sei noch zu früh zu sagen, ob es sich um ein neues Marktregime handelt, in dem auch die Volatilität höher sein wird.- Herr Clunie, wie ist Ihr Fonds derzeit positioniert?Wir haben ein negatives Beta und eine negative Duration sowie ein leichtes Long-Exposure gegenüber Volatilität. Steigende Zinsen und Volatilität würden der Performance des Fonds entgegenkommen. Langfristig erwarten wir, damit rund 4 bis 5 % Rendite im Jahr zu erzielen.- Während die Aktienmärkte von Rekord zu Rekord geeilt sind, war die Wertentwicklung Ihres Fonds enttäuschend. Obwohl der Fonds an Wert verloren hat, haben Anleger mehr Mittel investiert. Ich glaube, sie haben den Fonds aus den richtigen Überlegungen heraus gekauft. Er hat ein anderes Risikoprofil und kann als Teil eines diversifizierten Gesamtportfolios helfen, Risiken zu mindern. Wir haben eine Expertise im Leerverkauf von Aktien. In den vergangenen Jahren war es aber sehr schwierig, mit einer Leerverkaufsstrategie Geld zu verdienen. – Wie schätzen Sie die jüngste Korrektur und den Flash Crash in New York ein?Kursbewegungen und Volatilitätsausschläge wie die in jüngster Zeit haben die globalen Märkte in dieser Form seit Jahren nicht mehr erlebt. Vergleichbare Entwicklungen haben sich in der jüngeren Vergangenheit allerdings immer wieder egalisiert, insofern ist es noch zu früh zu sagen, ob wir uns in einem neuen Marktregime befinden. Bislang reagierte unser Fonds in den ersten volatilen Februartagen relativ robust. Aber sein volles Potenzial wird er erst dann ausschöpfen, wenn sich diese Momentaufnahme in etwas Größeres und Übleres für die globalen Märkte verwandeln sollte. – Welche Folgen der lockeren Geldpolitik sehen Sie auf den Märkten?Ich habe in den vergangenen fünf Jahren keine offensichtliche Marktanomalie wahrgenommen. Zwar sind die Märkte teuer, aber alle sind teuer. Es gibt keine besonderen Ausreißer wie etwa in der Finanzkrise, als Wandelanleihen gegenüber Aktien fehlgepreist waren. Damals gab es Zwangsverkäufe von Wandelanleihe-Arbitrageuren. Und 2011 waren Bankanleihen in Europa unter dem Eindruck der Eurozone-Krise viel zu niedrig gepreist.- Wie gehen Sie mit der allgemein hohen Bewertung um?Ich versuche dagegenzuhalten und wähle Titel aus, die besonders anfällig für eine Korrektur sein könnten, etwa durch eine zu hohe Verschuldung oder aggressive Bilanzierung. Umgekehrt kaufe ich Value-Aktien, die eine vernünftige Bilanz haben. Diese Strategie macht Sinn, hat sich aber in den vergangenen eineinhalb Jahren als sehr schwierig herausgestellt. Funktioniert hat Beta und Momentum sowie Leverage. – Erwarten Sie einen stärkeren Zinsanstieg und eine Baisse am Anleihenmarkt?Derzeit wäre ich vorsichtig. Ich könnte die Möglichkeiten mehr ausreizen, aber ich bin nicht sicher, ob es wirklich zu einem starken Zinsanstieg an den Märkten kommt.- Für Leerverkäufe müssen Sie Leihgebühren zahlen. Sind die für Aktien gestiegen?Nein, sie betragen für allgemeines Collateral unverändert um 0,3 Prozentpunkte pro Jahr. Rund 10 % unserer Leerverkäufe gehen in Specials, die rund 1 % pro Jahr kosten. Im vergangenen Jahr musste ich für Snap-Aktien etwa rund 15 % für einige Tage bezahlen. Derzeit habe ich die Titel des Spieleanbieters Rovio leerverkauft, das kostet rund 9 % im Jahr.- In Deutschland ist Wirecard lange eine Aktie mit sehr hohen Leihkosten gewesen – der Titel ist im Januar wieder Ziel einer Leerverkäufer-Attacke geworden.Wirecard habe ich weder leerverkauft noch gekauft. Aber dies ist ein sehr interessanter Fall. Einer meiner Jupiter-Kollegen hat Wirecard für seinen Fonds gekauft. Ich habe die Vorwürfe der Bilanztrickserei gelesen und fand sie interessant, aber sie scheinen mir keinen Beweis zu liefern. Ich bin heute nicht sicher, ob ich kaufen oder verkaufen soll – ich verstehe den Short-Fall noch nicht ganz. Es ist eine sehr polarisierte Situation hier.- Folgen Sie anderen Leerverkäufern?Es gibt wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass stark leerverkaufte Aktien im Mittel etwas schlechter als der Markt abschneiden. Das Problem ist, dass es zu einem Gedränge und zu raschen Gegenbewegungen kommen kann, wobei hohe Verluste für Leerverkäufer auftreten können. Ich setze darum auf Situationen, die etwas weniger polarisiert aussehen und weniger Spekulation anziehen.- Warum sind die Aktivitäten der Shortseller derzeit so niedrig – zumindest im Dax, wo nur rund 1 % der Aktien laut dem Finanzdatendienstleister Markit leerverkauft sind?Vielleicht sind die Shortseller alle tot (lacht). Es handelt sich um eine seltene Spezies, wie Schneeleoparden. Man sieht sie fast nie, aber denkt, dass sie existieren. Sie sind eine bedrohte Art. Es ist sehr schwer, als Shortseller zu überleben. Hedge Fund Research – HFR – macht Hedgefonds-Indizes, und im Short-Basket gibt es dort nur noch acht Hedgefonds weltweit. Es ist heute kaum möglich, mit Leerverkäufen auf Aktien von Unternehmen Geld zu verdienen, die eine zu hohe Schuldenlast auf der Bilanz tragen oder sonst Mängel haben. Das Umfeld ist derzeit extrem schwierig. – Es geht dabei nicht um die Regulierung, sondern um das Marktumfeld?Genau. Tatsächlich ist es so, dass der Job für einen Leerverkäufer einfacher wird, wenn die Regulierung verschärft würde. Die Zahlen zur Aktienleihe haben Signalwirkung. Leerverkäufe sind risikoreich und kostspielig, also müssen Shortseller sehr motiviert sein, ihre Wette einzugehen, und gut informiert sein. Durch eine schärfere Regulierung wären also nur die Marktteilnehmer bereit, die diese sehr hohe Hürde überspringen wollen – und wenn sie dies tun, wären die Short-Daten noch viel wertvoller, weil sie sehr starke Signale für andere Marktteilnehmer geben. – Klingt nachvollziehbar.In Großbritannien ist es umgekehrt: Dort sind Leerverkäufe lax reguliert, und die Informationen aus den zur Verfügung stehenden Shortseller-Daten sind dementsprechend weniger wertvoll. Der Schlüssel zum Erfolg ist, selbst informiert zu sein und zugleich andere Shortseller zu beobachten, was sie tun. Nur von der Seitenlinie her Shortseller zu verfolgen genügt nicht.- Wie ist mit dem Thema des Frontrunning umzugehen? In dem Sinn wie bei dem US-Leerverkäufer Carson Block, der mit Muddy Waters Ströer-Aktien leerverkauft hat und dann seine Position an dem Tag, als er die Nachricht publik gemacht hat, weitgehend wieder geschlossen hat?Wir machen das nicht. Shortseller haben aber ein Interesse, sich zu koordinieren, da sie ja zahlenmäßig gegenüber den Optimisten meist in der Unterzahl sind. Durch ein koordiniertes Vorgehen könnte ein genügend großer Verkaufsdruck aufgebaut werden. Aber Muddy Waters ist sehr extrem auch in seinen Einschätzungen, so dass dessen Vorgehen Kontroversen auslöst. Ich lese die Veröffentlichungen von Muddy Waters und nehme sie zur Kenntnis, wir gehen aber nicht vorab an die Öffentlichkeit. – Wie ist es in einem effizienten Markt überhaupt möglich, eine so starke Kursreaktion durch Leerverkäufer zu provozieren wie in einem MDax-Wert?Der Leerverkäufer könnte eine Art Insiderinformation verbreiten oder verschiedene Informationen zusammentragen und sie einem Publikum vorsetzen, das diesen bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Das machen ja auch Broker. Manchmal gelingt es, manchmal nicht.- Gibt es deutsche Aktien, die Sie leerverkaufen?Ich nenne lieber Beispiele aus anderen Märkten. In Deutschland habe ich zudem nur drei kleine Shortpositionen, dafür aber auch einige Long-Positionen. Große Short-Positionen hat der Fonds vor allem in den USA, dort, wo die Fragilitäten und die Exzesse sind. Wir halten dort 80 Shortpositionen. Tesla gehört dazu, dann Middleby Corp. und Ball Corp., die Aludosen sowie Luft- und Raumfahrttechnik herstellen. Letztere sind hoch verschuldete Unternehmen, die ihre Ergebniserwartungen verfehlt haben und aggressive Bilanzierung betreiben.- Welche Long-Positionen haben Sie in Deutschland?Wir sind an der Deutschen Börse beteiligt, und dies seit bereits fünf Jahren. Das Unternehmen dürfte von steigenden Zinsen und höherer Volatilität an den Märkten profitieren. Den Versorger Uniper haben wir auch gekauft, sind aber inzwischen wieder draußen.- Wo sind Sie sonst noch long?Die größte Position haben wir in den USA. Sonst sind wir netto vor allem in Großbritannien auf der Long-Seite, aber auch in Japan, wo die Unternehmen weniger verschuldet sind, hohe Cash-flows zeigen und sich die Corporate Governance verbessert. Zudem haben wir einige Positionen in Russland. In Europa sind wir etwa in AP Míller-Mærsk und Novo Nordisk long.- Als Absicherung hält Ihr Fonds auch Gold.Ja, einen Gold-Indexfonds sowie einige Derivate in geringem Umfang. Wir haben rund 75 Long- und rund 135 Short-Positionen, netto sind wir neutral, aber wir haben durch die vielen Short-Positionen ein negatives Beta.- Wird das Umfeld Ihnen in diesem Jahr in die Hände spielen?Ich hoffe, dass es einfacher wird. Es kann auch zu einer Manie in risikoreichen Assets kommen. Das Wachstum der Weltwirtschaft hat sich verbessert. So dürfte es zu einer Rotation von Wachstums- in Valueaktien kommen. Davon bin ich überzeugt. Einen deflationären Schock erwarte ich nicht mehr. – Welches sind die Value-Werte?Sie sind typischerweise im Energiesektor mit Statoil und BP sowie im Minensektor zu finden. Viele Value-Aktien gibt es derzeit in Großbritannien, vor allem in auf den Heimatmarkt ausgerichteten Unternehmen wie Capita. Diese Aktien fallen, unter anderem auch wegen Sorgen um die Bilanz – im Nachgang zur Carillion-Pleite. Value ist auch in russischen Aktien zu finden.- Welche Rolle spielen politische Risiken?Wir achten darauf. Die Lage in der Türkei sieht sehr unübersichtlich aus. Auch die ganze Situation im Nahen Osten erscheint sehr fragil. Zudem gibt es nun einen rapiden Wandel in Saudi-Arabien, einem Land, wo die vergangenen vierzig Jahre wenig passiert ist. Es besteht hier über den Ölpreis ein gewisses Risiko für die Finanzmärkte, aber mit unseren Energietiteln sind wir hier gut positioniert. Auch das hohe Kreditwachstum in China weckt Sorgen. Momentan bin ich aber in einigen chinesischen Aktien noch long. – Was ist von der Volatilität noch zu erwarten?Im Mittel ist der Fonds wie gesagt long auf Volatilität. Wir haben einige Optionen, die Volatilität mögen, und unsere Shortpositionen sind einige Glamour-Aktien wie Tesla oder Salesforce. Wenn es eine Korrektur gibt, müssten diese Glamour-Aktien überproportional fallen. Was sonst Volatilitätsprodukte anbelangt: Das Wachstum im Exchange-Traded-Product-Markt ist stark und neu, und es handelt sich um sehr abgeleitete Produkte, erscheint also sehr fragil. Es kann sein, dass Vola-Investoren gezwungenermaßen in unruhigen Marktphasen zu Tradern werden, was systemische Folgen haben könnte. Indexfonds könnten gezwungen sein zu handeln, ebenso Risk-Parity-Fonds. Und Indexfonds – ETF – sind auch zunehmend aktiv und mit Fremdkapitaleinsatz gemanagt. Das könnte zu Überraschungen im Markt führen. —-Das Interview führte Dietegen Müller.