Spanische Aktien haben Potenzial

Erholung der Konjunktur im Inland und in Lateinamerika spricht für Avancen - Politische Lähmung belastet

Spanische Aktien haben Potenzial

Der Ibex 35 hat nach dem Kursrutsch seit Jahresbeginn wieder Halt gefunden. Die Großbank BBVA schätzt, dass der Leitindex der Madrider Börse bis Jahresende 10 800 Punkte erreichen kann. Grund für den Optimismus ist die Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in Lateinamerika und vor allem die robuste Konjunktur in Spanien. Die unklare innenpolitische Lage bleibt aber ein Belastungsfaktor.Von Thilo Schäfer, MadridSpaniens Börse hat den Anlegern nach dem Absturz seit Beginn des Jahres in dieser Woche erstmals wieder eine Verschnaufpause gegönnt. Der Schwergewichtsindex Ibex 35 ist wieder über die 8 000-Punkte-Marke gestiegen. Die Bolsa leidet unter denselben globalen Faktoren wie andere Märkte, aber im Fall Spaniens kommt hinzu, dass die politische Lage weiterhin unklar ist. Zwei Monate nach den Parlamentswahlen gibt es noch keine Regierung, und Neuwahlen im Sommer werden immer wahrscheinlicher. Dennoch steht der Ibex 35 mit einem Minus von 12 % seit Jahresbeginn nur unwesentlich schlechter da als der Euro Stoxx 50 und zieht etwa mit dem Dax gleich.Viele Analysten glauben, dass die Korrektur vorbei ist und die Kurse bereits mögliche Negativszenarien, wie schlechtere Unternehmensergebnisse, enthalten. Die Experten der spanischen Großbank BBVA sehen den Ibex 35 bis Jahresende bei 10 800 Punkten, gut ein Drittel höher als zurzeit, aber weit entfernt vom Höchststand des letzten Jahres, als der Index im April 11 884 Punkte erreichte. Grund für den Optimismus ist die gute konjunkturelle Lage der spanischen Wirtschaft. Das BIP wuchs 2015 um 3,2 %, und die meisten Volkswirte erwarten für das laufende Jahr ein Wachstum zwischen 2,5 und 3 %. Gestern meldete das Wirtschaftsministerium, dass 2015 ein neuer Exportrekord erreicht wurde und die Ausfuhren gegenüber dem Vorjahr um 4,3 % zunahmen.”Wir glauben, dass der Ibex gegenüber Europa einen Mehrwert bietet”, versichert Ana Munera von BBVA Global Markets Research: “Allerdings könnten die politischen Unsicherheiten und die Sorgen über Lateinamerika die Verwirklichung dieses Wertes verhindern, bis zum zweiten Halbjahr, wenn sich die lateinamerikanischen Währungen stabilisieren könnten.” Vor allem die Krise in Brasilien macht einigen spanischen Konzernen zu schaffen, allen voran der Großbank Santander und dem Telekomriesen Telefónica, die dort zu den Marktführern zählen. Kalte GerüchtekücheIm Sturm zum Jahresauftakt sind die Anleger in Spanien in defensive Werte geflüchtet, die in einem sicheren, größtenteils regulierten Markt operieren, vor allem die Stromversorger. Der Windkraftkonzern Gamesa gehört zu den ganz wenigen Ibex-Werten, die für 2016 bislang einen Kursanstieg (3,5 %) vorweisen können. Das liegt nicht nur an der soliden Geschäftsgrundlage des baskischen Unternehmens, das Windparks in Ländern mit hohem Potenzial wie Indien baut, sondern vor allem am Interesse von Siemens an einer Übernahme. Ansonsten blieb die Gerüchteküche zu Fusionen in den vorigen Wochen eher kalt, abgesehen von einem möglichen Kaufangebot des Mexikaners Carlos Slim für den Baukonzern FCC im Zuge einer Kapitalerhöhung.Zu den großen Verlierern an der Bolsa in den ersten beiden Monaten von 2016 gehören die Banken, die das meiste Gewicht im Ibex 35 haben. Wie in anderen Ländern auch spielen dabei Bedenken über die Kapitalausstattung und die geringe Ertragskraft im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld eine Rolle. Die Gewinnanstiege von 2015 lassen sich zwar sehen, sind aber zum guten Teil auf die niedrigere Risikovorsorge zurückzuführen, da die Lasten aus der Immobilienblase weiter abgebaut werden. So fiel der Anteil fauler Kredite der Banken im letzten Jahr auf 10,12 %, wie Banco de España am Donnerstag mitteilte. Die Ankündigung von Bankia, zu fast zwei Dritteln in Staatsbesitz, die Kleinanleger des kontroversen Börsengangs vor fünf Jahren komplett zu entschädigen, um so eine Klagewelle zu vermeiden, wurde vom Markt diese Woche positiv aufgenommen. Wieder mehr BardividendenUm die Aktionäre angesichts der fallenden Kurse bei Laune zu halten, haben viele spanische Unternehmen ihre Dividendenpolitik verbessert und die Ausschüttung erhöht. Endesa, die zu 70 % der italienischen Enel gehört, will ab diesem Jahr 100 % des Gewinns an die Aktionäre zahlen. Andere, beispielsweise Santander, gehen von der Vergütung in Aktien (Scrip- oder Stock-Dividende) wieder zur Barzahlung über. Die niedrigen Kurse erhöhen die Rendite zusätzlich. Die Analysten von Bankinter rechnen für 2016 mit einer durchschnittlichen Rendite der Ibex-Werte von 4,7 %. Diesen Prognosen zufolge bietet Telefónica mit 8,5 % die attraktivste Rendite. Am unteren Ende der Skala von Bankinter steht Gamesa mit nur 1,1 %.Bleiben die Bedenken über die politische Zukunft, die sich zuletzt auf die spanischen Staatsanleihen ausgewirkt haben, deren Risikoaufschlag gegenüber den Bundesanleihen deutlich angestiegen ist. Die politischen Parteien in einem erstmals sehr zerstückelten Kräfteverhältnis im Parlament haben sich bisher noch nicht auf eine stabile Regierung einigen können. Sollte in zwei Monaten keiner der Anwärter eine Mehrheit hinter sich gebracht haben, käme es automatisch zu Neuwahlen.Doch ob dabei klare Verhältnisse geschaffen würden, wird in Spanien angezweifelt. “Die spanischen Unternehmen haben gezeigt, dass sie eine Zeit lang mit dieser Unsicherheit leben können”, versichert Munera von BBVA. “Weitere vier Monate Unsicherheit würden auch nichts großartig ändern. Aber wenn sich die Sache noch länger hinziehen sollte, dann müssten wir die Perspektiven überdenken”, so die Analystin.