DEVISENWOCHE

Spendierhosen statt Schlankheitsgürtel

Von Christian Lenk *) Börsen-Zeitung, 26.5.2020 Die Corona-Pandemie hat innerhalb kürzester Zeit das Leben vieler auf den Kopf gestellt - Pläne, die zu Jahresbeginn aufgestellt worden waren, wurden bereits zu Beginn des zweiten Quartals Makulatur....

Spendierhosen statt Schlankheitsgürtel

Von Christian Lenk *)Die Corona-Pandemie hat innerhalb kürzester Zeit das Leben vieler auf den Kopf gestellt – Pläne, die zu Jahresbeginn aufgestellt worden waren, wurden bereits zu Beginn des zweiten Quartals Makulatur. Dies gilt auch für die Entwürfe von zahlreichen Staatshaushalten und die Finanzpläne staatsnaher Emittenten. Angesichts des historischen Rückgangs des EWU-BIP um 9,1 % im laufenden Jahr dürfte das Budgetdefizit im Aggregat des Währungsraumes auf 8,3 % katapultiert werden und auch 2021 mit 3,8 % über der Maastricht-Schwelle liegen (DZ Bank-Prognosen). Kurz vor der Corona-Pandemie war man noch von nahezu ausgeglichenen Haushalten ausgegangen.In absoluten Zahlen lesen sich diese Schätzungen noch etwas eindrucksvoller: Dürfte das Gesamt-EWU-Defizit im Jahr 2019 bei gut 70 Mrd. Euro gelegen haben, könnte es 2020 an der 1 000-Mrd.-Euro-Grenze kratzen. Hierzu kommen allein bei den EWU-11-Staaten noch gut 700 Mrd. Euro an Fälligkeiten von Kapitalmarktpapieren, die zusätzlich refinanziert werden wollen.Trotz allgegenwärtiger Rufe nach mehr oder weniger innovativen Wegen, diese fast schon astronomischen Summen aufzubringen, bleibt die “klassische” Refinanzierung dieser Defizite am Kapitalmarkt über die jeweilige nationale Funding-Agentur vorerst das zentrale Mittel der Wahl. Auch wenn eine stärkere zukünftige (Teil-)Vergemeinschaftung der Kreditaufnahme über “Corona-Bonds” weiterhin diskutiert wird, dürften diese Mittel frühestens mittelfristig zur Verfügung stehen: Ihnen käme dann wohl eine größere Rolle beim Wiederaufbau zu, während die einzelnen EWU-Staaten die kurzfristigen Feuerwehr-Maßnahmen selbst refinanzieren müssen.Hierzu greifen zahlreiche EWU-Staaten zunächst auf eine stärkere Nutzung von Geldmarktpapieren zurück. Diese Bills mit unterjährigen Fälligkeiten werden regelmäßig rolliert und stellen sowohl für Emittent als auch Investor eine relativ einfache und flexible Möglichkeit zur Liquiditätssteuerung dar. Als hochstandardisiertes und risikoarmes Produkt erfolgt der Abverkauf über Primary Dealer im Auktionsverfahren. So hat beispielsweise die französische Finanzierungsagentur AFT angekündigt, das Volumen ihres Geldmarktprogramms im laufenden Jahr um 54 Mrd. Euro zu erhöhen. Auch die Deutsche Finanzagentur (DFA) hat eine Anpassung in ähnlicher Größenordnung angekündigt – jedoch allein für das zweite Quartal. Bessere PlanbarkeitBei den Emissionen von Kapitalmarktpapieren (Anleihen mit Laufzeiten von mehr als einem Jahr) hat die Corona-Pandemie ebenso für massive Planänderungen gesorgt. Mit längeren Laufzeiten geht für den Emittenten eine bessere Planbarkeit einher (das fortwährende Rollierungsrisiko wie am Geldmarkt sinkt), wobei sich der Investor durch eine entsprechende Laufzeitenprämie das höhere Durationsrisiko entlohnen lässt. Letzteres sorgt jedoch auch dafür, dass die Aufnahmefähigkeit für Langläufer nicht unbegrenzt ist: Während am Geldmarkt relativ problemlos zusätzliche Emissionen in zweifacher Milliardenhöhe platziert werden können, wäre dies beispielsweise bei 30-jährigen Anleihen schon deutlich schwieriger.Im Aggregat der EWU-11-Staaten könnte der Kapitalmarkt-Funding-Bedarf (ohne Geldmarkt) im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen zum Jahresanfang um mehr als 400 Mrd. Euro auf gut 1 250 Mrd. Euro ansteigen. Eine solch große Anpassung in weniger als zwei Monaten ist eindeutig als historisch einzuordnen und reflektiert die Wucht der Corona-Pandemie. Mit Blick auf die absoluten Änderungen ragen, wenig überraschend, große EWU-Staaten wie Deutschland und Italien heraus.Herausragend ist auch die Tatsache, dass die Deutsche Finanzagentur, die üblicherweise eine sehr langfristig überschaubare Fundingstrategie fährt, innerhalb weniger Wochen massive Planänderungen verkündete. So könnte sich das Kapitalmarktfundingvolumen von den ursprünglich geplanten gut 150 Mrd. Euro aus fast verdoppeln. Auch hier gilt angesichts der eingangs erwähnten Prognoseunsicherheit, dass insbesondere die Schätzungen für die zweite Jahreshälfte noch lange nicht in Stein gemeißelt sind. Umfangreiche GarantienIm Vergleich zu Deutschland hinkt Italien beim Aufsetzen der Fiskalprogramme und ihrer Refinanzierung noch deutlich hinterher. Neben umfangreichen Kreditgarantien hat Italien bis dato nur zwei relativ kleine Programme von 25 und 55 Mrd. Euro auf den Weg gebracht. Nichtsdestotrotz erwarten wir angesichts eines Einbruchs der Wirtschaftsleistung von 10 % oder mehr in diesem Jahr einen zusätzlichen Refinanzierungsbedarf von bis zu 150 Mrd. Euro. Das Gesamtrefinanzierungsvolumen würde dann auf etwa 400 Mrd. Euro in die Höhe schnellen. Über die Refinanzierungsmodalitäten im Detail hat Italien bislang wenig bekanntgegeben. Die Daten seit April zeigen aber, dass das Tesoro auch über syndizierte Emissionen sein Anleiheangebot bereits deutlich steigert. Neben einem größeren Volumen an Kapitalmarktemissionen für Institutionelle soll auch das Angebot für inländische Privatinvestoren erhöht werden.Neben den Staaten selbst werden die Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie auch von zahlreichen staatsnahen Emittenten flankiert. In Deutschland spielt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als größte staatliche Förderbank eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der staatlichen Rettungsmaßnahmen. Dank einer bis zum Jahresende 2021 geltenden Refinanzierungsfazilität bei der DFA ist das Fundingziel der KfW für das laufende Jahr jedoch unverändert geblieben. Anders dürfte sich dies beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Europäischen Union (EU) als Emittent darstellen. Ersterer stellt den EWU-Staaten bald vorbeugende Kreditlinien in Höhe von bis zu 240 Mrd. Euro zur Verfügung, während die EU mit ihrem Kurzarbeits-Finanzierungsprogramm SURE-Mittel bis zu 100 Mrd. Euro bereithält. Entsprechend kann bei diesen Emittenten ein zusätzlicher Fundingbedarf im dreistelligen Milliardenbereich nicht ausgeschlossen werden, gesetzt sind diese Zahlen jedoch auch nicht. So ist, insbesondere in Italien, der Gang zum ESM innenpolitisch umstritten – vor allem die Fünf-Sterne-Bewegung lehnt ESM-Hilfskredite weiter ab.Wäre auch nur ein Teil der bislang genannten Änderungen am Fundingplan zu einer anderen Zeit als der heutigen publik geworden, hätte es wohl deutliche Verwerfungen an den EWU-Anleihemärkten gegeben. Der Dank der EWU-Finanzminister darf daher vor allem ins Frankfurter Ostend gehen, von wo aus die EZB mit schützender Hand waltet. Zwar darf das Eurosystem bei Staatsanleihen bekanntlich nicht am Primärmarkt als Käufer auftreten, das Risiko für Zwischenhändler erscheint jedoch überschaubar. Die umfangreichen Anleihekaufprogramme der EZB, die in Summe rund 1 100 Mrd. Euro allein in diesem Jahr betragen, sorgen zumindest bislang für ausreichend Nachfrage. *) Christian Lenk ist Analyst bei der DZ Bank.