GASTBEITRAG

Spezialrenten bieten einen Ausweg im Niedrigzinsumfeld

Börsen-Zeitung, 2.8.2014 Anleihen sind seit jeher das Fundament der Geldanlage: Mithilfe verzinslicher Wertpapiere, etwa Bundesanleihen oder US-Treasuries, soll die Kaufkraft erhalten und ein realer Zusatzertrag erzielt werden. Üblich war, dass man...

Spezialrenten bieten einen Ausweg im Niedrigzinsumfeld

Anleihen sind seit jeher das Fundament der Geldanlage: Mithilfe verzinslicher Wertpapiere, etwa Bundesanleihen oder US-Treasuries, soll die Kaufkraft erhalten und ein realer Zusatzertrag erzielt werden. Üblich war, dass man mit Anleihen guter Qualität jährlich Realrenditen von drei bis vier Prozentpunkten erwirtschaften konnte. Diese Möglichkeit ist nach den massiven geldpolitischen Maßnahmen der Notenbanken im Zuge der Finanz- und Schuldenkrise verschwunden. Aktuell decken die realen Renditen von Staats- und Unternehmensanleihen guter Bonität nicht einmal mehr den Kaufkraftverlust ab. Leider ist das kein zeitweiliges Phänomen, denn die großen Notenbanken werden ihre expansive Politik nach eigenem Bekunden noch lange beibehalten. Jüngst hat dies die Europäische Zentralbank deutlich gemacht.Gleichwohl sind Rentenpapiere für jede Vermögensallokation sehr wichtig, weil sich ihre Erträge hervorragend prognostizieren lassen. Da andere Anlageklassen entweder deutlich risikoreicher oder illiquider sind, stellt sich die Frage: Gibt es innerhalb des Rentenmarktes Alternativen zu sicheren Staatsanleihen, Pfandbriefen oder Unternehmensanleihen erstklassiger Bonität? Staatsanleihen aus Peripherie- oder Schwellenländern würden wir nicht zu diesen Alternativen zählen: Sie bringen zwar teils attraktive Realrenditen, doch sind die politischen Risiken in den betreffenden Ländern nicht abzuschätzen – das Risiko wird somit nicht adäquat entlohnt. Die Renditelücke bei Zinsanlagen lässt sich mit Hilfe sogenannter Spezialrenten schließen. Darunter verstehen wir verzinsliche Wertpapiere, die aufgrund einer fehlerhaften Interpretation der Anleihebedingungen oder einer falschen Bonitätseinschätzung des Emittenten fehl- oder unterbewertet sind und daher überdurchschnittliche Renditechancen bei kalkulierbaren Risiken aufweisen. Solche Gelegenheiten bieten sich meist in noch jungen Marktsegmenten, die nur von wenigen Investoren entdeckt worden sind. Oder sie entstehen in Segmenten, die sich aufgrund von Vorgaben der Aufsichtsbehörden oder durch Anpassungen der Ratingagenturen deutlich verändern. Diese Sondersituationen werden freilich nicht auf dem Silbertablett serviert; man muss sich auf die Suche nach ihnen machen. Nachranganleihen interessantEin ideales Umfeld existiert derzeit für Hybridanleihen europäischer Banken. Diese Nachranganleihen bilden neben den Aktien das Eigenkapital von Banken. Dazu gehören Tier-1-Anleihen, die haftungstechnisch nur eine Stufe vor den Aktien rangieren, sowie Upper- und Lower-Tier-2-Anleihen, die als Ergänzungskapital eingestuft werden. Für Investoren haben vor allem Lower-Tier-2-Anleihen besondere Reize: Sie bieten höhere Renditen als normale Inhaberschuldverschreibungen, haben wie diese aber eine feste Laufzeit, und die Zinszahlung kann ebenfalls nur im Konkursfall ausfallen.In der Folge der Finanzkrise hat die Bankenaufsicht die Regeln für die Eigenkapitalausstattung der Banken durch Basel III neu definiert. Dazu gehört auch, dass die neuen nachrangigen Bankanleihen künftig andere Ausstattungsmerkmale haben müssen, um als Eigenkapital zu gelten. Konkret: Seit dem 1. Januar 2013 können Banken die Lower-Tier-2-Anleihen nicht mehr wie bisher voll als Eigenkapital werten, sondern müssen diese Einstufung Jahr um Jahr reduzieren. Damit erfüllen die höher verzinsten Anleihen den Zweck der Eigenkapitalbeschaffung immer weniger – die Banken haben daher großes Interesse, die Anleihen vorzeitig vom Markt zu nehmen bzw. zu “callen”. Banken verabschieden sichDies ist nach den neuen Regularien umso wahrscheinlicher, wenn das erste Call-Datum der Anleihe nach dem 1. Januar 2013 liegt und das Papier danach mit einem sogenannten Step-up-Kupon weiterverzinst wird. Callen die Banken, zahlen sie den Anlegern die Anleihe zum Nennwert zurück. Der Punkt ist nun: Viele dieser Anleihen notieren unter pari. Dadurch winken schnelle und zum Teil erhebliche Kursgewinne, wenn die Banken sie vom Markt nehmen. Rentenanleger haben mit Nachranganleihen von Financials also überdurchschnittliche Ertragsaussichten, während die Risiken durch die strikten Vorgaben (CRD 4) der europäischen Bankenkommission überschaubar sind.Übrigens: Wir setzen bei den Nachranganleihen fast ausschließlich auf die sogenannten “Grandfather Bonds”, die vor Basel II ausgegeben worden sind. Die neuen Instrumente (Coco-Bonds) sind dem Status der Aktie sehr nahe und somit deutlich risikoreicher als die bestehenden Anleihen. Versicherer ziehen nachVergleichbare Chancen wird es künftig bei Nachranganleihen von Versicherungen geben. Bei der Assekuranz werden die Anforderungen, wann Anleihen als Eigenkapital anrechenbar sind, unter dem Dach von Solvency II neu geregelt – und auch hier wird es Übergangsfristen für alte Anleihen geben. Zwar sind bis jetzt nur die groben Rahmenbedingungen bekannt, doch klar ist: Wer von der Anpassung profitieren will, muss sich intensiv und frühzeitig mit den regulatorischen Änderungen auseinandersetzen. Schon jetzt ist zu beobachten, dass die Versicherungsgesellschaften verstärkt Nachranganleihen mit attraktiven Kupons emittieren, um in Sachen Eigenkapital künftig bessere Bewertungen zu bekommen.Hybridanleihen sind auch außerhalb des Finanzsektors äußerst attraktiv. Vor allem große Konzerne wie Linde, Siemens, Volkswagen, OMV oder RWE nutzen diese Möglichkeit, um Eigenkapital zu gewinnen. Denn so verbessert sich die Bilanzstruktur, ohne dass die Aktionäre direkt darunter leiden bzw. die Kapitalstruktur beeinträchtigt wird. Die durchschnittlichen Gesamtfinanzierungskosten sinken. Wegen der Nachrangigkeit und komplexen Ausgestaltung müssen die Konzerne dafür höhere Zinsen zahlen als für entsprechende Senior-Anleihen. Zum Teil sind diese Risikoaufschläge äußerst attraktiv, zumal es sich bei den Emittenten häufig um Blue-Chip-Gesellschaften mit solider Bonität handelt.Auch die großen Ratingagenturen schaffen Sonderchancen bei Nachranganleihen. Sie geben vor, wie die Anleihebedingungen ausgestaltet sein müssen, damit die Emissionen eigenkapitalfähig werden. Ändern sich die Anforderungen, können manche Unternehmen ihre Anleihen nicht mehr dem Eigenkapital zurechnen und werden diese kündigen oder zurückzahlen. Eine solche Änderung gab es zuletzt Mitte 2013, was zu Kursabschlägen auch bei Papieren führte, die gar nicht betroffen waren, wie bei Nachranganleihen von Telefónica oder KPN. Eine gute Gelegenheit, um zu Unrecht abgestrafte Anleihen günstig zu erwerben und kurzfristig deutliche Kursgewinne zu erzielen.Anders als Staatsanleihen der Schwellenländer finden wir Blue-Chips-Anleihen aus den Emerging Markets attraktiv, zumal sich nach den deutlichen Kurseinbrüchen im vergangenen Jahr nun Kaufgelegenheiten bieten. Antizyklisch investieren wir insbesondere in Blue-Chip-Unternehmen aus der Türkei, Brasilien, Indien und Russland – vor allem in Emittenten mit bedeutender Marktstellung im Heimatland und diversifiziertem Geschäftsmodell, beispielsweise Petrobras oder Gazprom. Emittenten mit schwächerer Bonität, extrem zyklischem Geschäftsmodell und starker Abhängigkeit vom Export meiden wir. Bond Picking bei High-YieldSkeptischer sind wir bei Hochzinsanleihen, da uns das Chance-Risiko-Verhältnis des Gesamtmarktes unattraktiv erscheint. So sind die Risikoaufschläge gegenüber Staatsanleihen nach fünfjähriger Hausse und massiven Mittelzuflüssen auf historischen Tiefstständen; zudem sind die Ausfallraten sehr niedrig. Die Risiken, dass der Gesamtmarkt korrigiert, sind damit deutlich gestiegen. Vereinzelt gibt es noch unterbewertete Anleihen, insbesondere bei Emittenten aus den Peripheriestaaten. Hier ist Bond-Picking angesagt: Aktuell kaufen wir Anleihen von Unternehmen mit moderatem Verschuldungsgrad und überdurchschnittlichem Zinsdeckungsgrad. Auch sollte die Gesellschaft mit konstanten operativen Margen arbeiten und kein zyklisches Geschäftsmodell haben.Fazit: Auch in einem Umfeld negativer Realverzinsung bietet der Rentenmarkt attraktive Chancen, die nicht unbedingt mit erhöhten Risiken erkauft werden müssen. Der große Unterschied zu früher ist jedoch, dass die Auswahl der Anleihen deutlich komplexer geworden ist.—-Tobias Spies, Leiter Fixed Income und Fondsmanager des Arbor Invest-Spezialrenten bei der Huber, Reuss& Kollegen Vermögensverwaltung