IM INTERVIEW: INGO MAINERT, ALLIANZ GLOBAL INVESTORS

"Staatsanleihen können zur Absicherung dienen"

Trotz Niedrigzinsen sind Bonds im Portfolio wichtig - Bei Aktien bietet Value mehr Chancen als Growth - Wirtschaft im globalen Abschwung

"Staatsanleihen können zur Absicherung dienen"

Nach Einschätzung von Ingo Mainert, CIO Multi Asset bei Allianz Global Investors, befindet sich die Wirtschaft in einem globalen Abschwung. Der Investmentstratege sieht bestenfalls die Chance für eine Bodenbildung. Interessant seien in diesem Umfeld Schwellenländeranleihen und Value-Aktien. Herr Mainert, der Klimawandel prägt die öffentliche Diskussion. Was wird sich bei dem Thema im kommenden Jahr tun, und wie reagieren die Assetmanager auf die Herausforderungen?Wir sehen mehrere Facetten. Zum einen ist die Frage, was regulatorisch passiert. Stichwort Taxonomie. Hier werden wir im Laufe des nächsten Jahres viele neue Vorgaben erhalten. Zum anderen ist das Thema stärker in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt, was wichtig und gut ist. Auch wir als Assetmanager beschäftigen uns intensiv mit nachhaltiger Kapitalanlage und Klimawandel. Das Thema spielt besonders für institutionelle Kunden eine immer wichtigere Rolle. Und neuerdings auch bei Publikumsfonds. Das ist die eine Seite. Allerdings sollte man sich darüber hinaus auch im Klaren sein, dass Klimawandel und der Transformationsprozess volkswirtschaftlich zunächst Geld kosten. Es ist eine Art negativer Angebotsschock, der das Trendwachstum reduziert. Das ist im Markt bisher nicht eingepreist. Nichtstun ist jedoch keine Alternative. Was bedeutet das für einen Anleger? Die Investoreninitiative Principles for Responsible Investment (PRI) sagt, dass viele große Unternehmen Bewertungsabschläge von bis zu 4,5 % hinnehmen müssen. Was halten Sie davon?Ob das dann in der Größenordnung ausfällt oder nicht, wissen wir heute nicht. In der Tendenz dürfte diese Aussage aber richtig sein. Konjunkturindikatoren und die Wirtschaftsdaten zum Jahresende waren besser als erwartet. Hat sich dadurch etwas an Ihrer zurückhaltenden Einschätzung geändert?Nein. Wir gehen in das nächste Jahr mit der These, dass wir uns unverändert noch in einem übergeordneten globalen Abschwung befinden. Bezogen auf die jüngste Stabilisierung dürfen wir nicht vergessen, dass seit fast 24 Monaten schlechte konjunkturelle Nachrichten berichtet werden. Augenblicklich sehen wir nicht mehr als die Chance einer Bodenbildung auf niedrigem Niveau. Dass sich daraus ein neuer dynamischer Aufschwung entwickeln kann, ist eher unwahrscheinlich. Die meisten Analysten und Volkswirte sprechen von einer Zwischenerholung, die Märkte laufen weiter. Warum sind Sie so viel skeptischer als der Konsens?Wir haben eine sehr gute Entwicklung der Aktienkurse im Jahr 2019 gesehen – aber auf welcher Basis? Auf Dauer können Aktienkurse bei schrumpfenden Gewinnen nicht steigen. Stand heute lässt das nicht mehr viel Spielraum nach oben. Für ein optimistischeres Szenario bräuchte man klarere Beweise, etwa dass die Investitionen wieder anspringen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, muss man zu der Erkenntnis kommen, dass das Wachstum ein Problem der Industrie ist. Lässt sich diese Schwäche kompensieren?Auf der Industrieseite kann man mit Fug und Recht das “R”-Wort benutzen. Das verarbeitende Gewerbe ist seit längerer Zeit in der Rezession. Und wie heißt es so schön: Die Konjunktur wird in der Industrie gemacht. Das stimmt für den Dienstleistungssektor vorsichtig. Die Arbeitsmärkte befinden sich zwar in einer sehr guten Verfassung, das positive Momentum fängt aber an auszulaufen. Sie haben die politischen Störfaktoren angesprochen. Im Jahr 2019 haben das Thema Brexit sowie der Handelsstreit zwischen den USA und China die Märkte in Atem gehalten. Werden wir weiterhin derart politisch beeinflusste Märkte sehen?Beides, Brexit und Handelskonflikt, sind sichtbare Folgen eines zunehmenden Protektionismus. Das heißt Deglobalisierung. Beim Konflikt zwischen den USA und China geht es aber um noch mehr. Das ist ein hegemoniales Thema, bei dem es um die Vormachtstellung in der Welt für die nächsten Dekaden geht. Das wird uns auf mittlere und längere Sicht erhalten bleiben. Und beim Brexit wissen wir jetzt mit Sicherheit, dass wir ein schlechtes Ergebnis haben: Großbritannien verlässt endgültig die EU. Klingt wenig charmant: Wir haben die Sicherheit, dass ein schlechtes Ergebnis eintritt. Aber immerhin liegen jetzt die Karten auf dem Tisch. Ergeben sich dadurch Chancen für Anleger?Internationale Investoren rücken den britischen Aktienmarkt wieder stärker in den Vordergrund. Allerdings kann im nächsten Jahr der jeweilige Verhandlungsstand für das notwendige Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU zu einer regelmäßigen Belastung für die Märkte werden. Welche Regionen sind aus Ihrer Sicht im nächsten Jahr besonders chancenreich?Wir glauben, dass die Schwellenländer besser laufen können – auch weil sie in diesem Jahr wieder schwächer waren als die Industrieländer. Hinzu kommt, dass in den Schwellenländern noch die fast schon ausgestorbene Spezies namens Zins zu finden ist. Wenn Sie als Anleger auf der Risikoleiter nach oben klettern wollen, wird man bei den anhaltenden Null- und Negativzinsen in den Industrieländern an Schwellenländeranleihen kaum vorbeikommen. In den USA bekommt man immerhin auch noch ein paar Prozent für Staatsanleihen. Ist das keine Alternative? Wie sehen Sie die USA?Eher kritisch. In Amerika laufen wir in ein Wahljahr hinein, und das schafft Unsicherheit – auch abhängig davon, wer der Kandidat der Demokraten wird. Aber es geht nicht nur um die Wahl, sondern auch um Wachstum. Die USA wachsen nächstes Jahr unter 2 %, und das fühlt sich in dem Land traditionell fast wie Stagnation an. Die Impulse der großen Steuerreform von Trump laufen aus, die Verschuldung beginnt bereits stark zu steigen. Geht es der anderen großen Weltmacht besser?In China sieht das Wachstum im internationalen Vergleich mit 5 bis 6 % natürlich optisch besser aus. Aber: Für China bedeutet das eine Art Wachstumsrezession. Was wiederum für den Rest der Welt heißt, dass die Impulse aus China weiter abnehmen. Und schließlich noch ein Wort zur alten Welt: In Euroland läuft die vorherige konjunkturelle Lokomotive Deutschland immer langsamer und bremst damit den europäischen Wachstumszug. Was halten Sie davon, durch fiskalische Maßnahmen einzuheizen, also dass Berlin ein paar Kohlen nachlegt?Die finanziellen Möglichkeiten haben wir, aber die Frage ist: Wie bringen wir das Geld in die Wirtschaft? Immerhin wird fiskalpolitisch in Euroland bereits seit zwölf Monaten wieder unterstützend gegengehalten. Doch wir haben zum Teil massive Kapazitätsengpässe, die Gelder werden nicht abgerufen. Die Forderung, dass fiskalpolitisch noch mehr getan werden soll, geht somit schlicht an den Tatsachen vorbei. Jeder, der privat versucht, einen Handwerker zu bekommen, weiß davon ein Liedchen zu singen. Wo setzten Sie innerhalb der Aktien Schwerpunkte?Zuerst ein Blick auf die Geldpolitik. 2019 gab es durch die Zentralbanken positives Störfeuer an den Märkten. Die überraschenden Kurswechsel bei der Fed und der EZB befeuerten die Märkte. Bei der Fed sehen wir im nächsten Jahr die Möglichkeit, noch einen Schritt nach unten zu machen. Im Wahljahr mag das pikant sein, aber die Fed wird versuchen, sich politisch neutral zu verhalten. Bei der EZB ist der Eindruck entstanden, dass sie nach dem großen Paket im September mit Autopilot fährt. Aber auch hier ist noch die eine oder andere Lockerungsmaßnahme vorstellbar. Auch künftig werden die Aktienmärkte also über die Diskontierungsfaktoren, die Niedrigzinsen, unterstützt. Dennoch sehen wir für den Dax im kommenden Jahr nur eine Seitwärtsentwicklung in Richtung 14 000 Punkte, in einem Schwankungsband von etwa 10 000 bis 15 000 Punkten. Wir hatten 2019 eine Situation, dass die Gewinnerwartungen um 15 % nach unten korrigiert wurden, die Märkte aber um rund 25 % nach oben gelaufen sind. Da hat sich eine große Lücke aufgetan, die sich irgendwie schließen muss. Trotzdem halten Sie Aktien für alternativlos?Grundsätzlich und längerfristig ja. Und wenn Sie fragen, welche, dann nicht nur die Wachstumsaktien. Die Abweichung der Performance zu Value ist historisch. Die Abschläge haben eine Größenordnung wie um die Jahrtausendwende erreicht, als nur noch Growth zählte. Das verheißt für nächstes Jahr möglicherweise eine relative Stabilisierung von Value. Das klingt alles sehr verhalten. Was stimmt Sie dennoch verhalten optimistisch?Für eine massive Ermüdung auf der Aktienseite brauchen Sie erfahrungsgemäß eine signifikante Überperformance der Large Caps. Das ist derzeit nicht zu beobachten, da die Nebenwerte 2019 teilweise sogar kräftiger zulegten. Wir sind also wohl noch nicht am Höhepunkt der Aktienmärkte, und es wäre etwas zu früh, auf eine zu starke Korrektur zu setzen. Schauen wir auf die Anleihen: Die Zinsen liegen hierzulande bei 0 %, in den USA bei 2 %. Was soll ein Investor tun, der in Anleihen investieren muss?Investitionen in Staatsanleihen können zur Absicherung gegen Extremereignisse dienen. In einem Worst-Case-Szenario kann der Markt testen, wie tief Staatsanleiherenditen noch fallen können. Die andere Frage ist, wo Anleiheinvestoren Rendite herbekommen. Die Antwort hierauf sind – bei höheren Risikobudgets – Schwellenländeranleihen und mit einer gewissen Vorsicht Hochzinsanleihen. So oder so: Die Renditen bei Festverzinslichen werden 2020 überschaubar bleiben – auch weil es 2019 bei den Bonds wider Erwarten so gut gelaufen ist. Hier gilt die Kraft des Faktischen im Nullzinsumfeld. Staatsanleihen zur Absicherung? Gibt es da nicht andere Instrumente?Gold ist ein klassisches Absicherungsinstrument. Durch den Wegfall des Zinses als Opportunitätskosten hat es einen höheren Stellenwert bekommen. Aus Sicht von Gold haben Nullzinsen damit auch etwas Gutes. Das Interview führte Wolf Brandes.