DEVISENWOCHE

Stark, stärker, zu stark?

Von Sonja Marten *) Börsen-Zeitung, 15.4.2014 Die jüngste Korrektur im Euro/Dollar-Segment war klar der Spekulation über die zukünftige geldpolitische Ausrichtung der EZB geschuldet. Kaum hatte man sich an den Gedanken gewöhnt, dass die lang...

Stark, stärker, zu stark?

Von Sonja Marten *)Die jüngste Korrektur im Euro/Dollar-Segment war klar der Spekulation über die zukünftige geldpolitische Ausrichtung der EZB geschuldet. Kaum hatte man sich an den Gedanken gewöhnt, dass die lang ersehnte Dollaraufwertung weiter auf sich warten lassen und der Euro vorerst gut unterstützt in Richtung 1,40 Dollar wandern würde, machte die Europäische Zentralbank (EZB) den Euro-Bullen eine Strich durch die Rechnung. Was Janet Yellens Hinweise auf eine mögliche Zinserhöhung der Fed Mitte 2015 nicht vermochten, haben Draghi, Weidmann und Co. scheinbar mühelos geschafft. Doch wie lange wird sich der Markt von der EZB zurückhalten lassen? Denn davon, dass die EZB tatsächlich weitere unkonventionelle Maßnahmen beschließt, gehen wir nach wie vor nicht aus. Weder die derzeitigen Deflationssorgen und schon gar nicht die Ängste vor einem angeblich übermäßig starken Euro liefern völlig überzeugende Argumente für einen solchen Schritt.Die Deutlichkeit mit der diverse EZB-Offizielle in den vergangenen Wochen auf die Risiken eines starken Euro hingewiesen haben, hat viele Marktteilnehmer überrascht. Auch wir hatten mit solch konkreter Gegenwehr seitens der EZB nicht gerechnet. Aber ist die Sorge der EZB berechtigt? Ist der Euro bei Wechselkursen um 1,40 Dollar tatsächlich zu hoch? Oder ist der Euro nur ein willkommener Sündenbock, der herhalten muss für die augenscheinliche Unfähigkeit der EZB, die disinflationären Tendenzen in der Eurozone zu bekämpfen (soweit dies überhaupt notwendig ist)? Nüchtern betrachtet ist die Aufwertung des Euros jedenfalls weit davon entfernt, extrem zu sein. Der Euro hat zwar gegenüber dem Dollar im Vergleich zum Vorjahr 5,9 % zugelegt, der handelsgewichtete Index konnte hingegen nur Gewinne von 3,3 % verbuchen. Weder ersteres noch letzteres fällt historisch aus dem Rahmen: Seit Beginn des Jahrhunderts lag die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate im Euro/Dollar-Bereich bei 9,7 %, für den handelsgewichteten Index lag die Rate bei 5 %. Die Dimension der derzeitigen Aufwertung des Euro entspricht also durchaus der Norm. Und auch die nominalen Wechselkursniveaus sind weit von Extremszenarien entfernt. Euro/Dollar befindet sich mit Kursen um die 1,38 Dollar zwar nahe seinen höchsten Ständen seit Ende 2011, liegt aber weiterhin gute 13 % unter seinen Rekordniveaus bei 1,60 Dollar (2008). Ganz ähnlich verhält es sich beim handelsgewichteten Index, der immerhin 10 % unter seinen Rekordständen von 2008 liegt. Einfluss auf das PreisniveauDies bedeutet indes nicht, dass die Aufwertung des Euro keinen Einfluss auf das Preisniveau Europas hatte und auch weiterhin hat. Die Frage ist vielmehr, ob dieser Einfluss so signifikant ist, wie uns die EZB derzeit suggeriert. Hier lohnt es sich einen Blick auf den monatlichen Verlauf der Euro-Aufwertung zu werfen, oder auf das Profil der J/J-Veränderungen im handelsgewichteten Euro-Index. Denn es sind diese Veränderungen, die nicht nur in die Inflationsrate des jeweiligen Monats einfließen, sondern sogar noch mehrere Monate danach Effekte zeigen. So hat die deutliche J/J-Aufwertung des Euros gegen Ende des vergangenen Jahres ohne Frage zu sinkenden Preissteigerungen in der Eurozone beigetragen und zusammen mit den fallenden Rohstoffpreisen für fallende Inflationsraten gesorgt. Doch dieser Effekt lässt bereits nach. Der Euro trägt zwar ohne Frage weiterhin zu nachlassendem Preisdruck bei, dieser Beitrag ist aber schon jetzt deutlich schwächer als er in der Vergangenheit war. Und auch in Zukunft sollten die Währungseffekte eher ab- als zunehmen: Laut unserer Euro-Prognose werden die J/J-Veränderungen im handelsgewichteten Euro-Index auf Sicht von drei Monaten zwar noch mal leicht ansteigen, die 5-Prozent-Marke aber nicht übersteigen.Somit stellt sich die Frage, inwiefern der Wechselkurs eine tatsächliche Bedrohung für das Preisniveau der Eurozone darstellt. Das nominale Wechselkursniveau ist weit von historischen Rekordständen entfernt. Die Aufwertung des Euro befindet sich im historischen Rahmen und die de(disin)flationären Effekte, die sich aus dieser Aufwertung ergeben, lassen bereits nach. Dass der EZB ein fallender Wechselkurs im momentanen Umfeld gelegen käme, daran gibt es keinen Zweifel, aber das allein rechtfertigt die Schärfe jüngster Kommentare zum Wechselkurs unsere Meinung nach nicht.Nicht unerwähnt sollten an dieser Stelle auch die durchaus positiven fundamentalen Entwicklungen in der Eurozone bleiben, die die Aufwertung des Euro mit gefördert haben. Die europäische Schuldenkrise mag unterschwellig weiterleben, hat aber für die meisten Investoren deutlich an Relevanz verloren. Die Bondmärkte der Peripherie erfreuen sich erneuter Beliebtheit, eine Entwicklung, die sich in massiven Spread-Einengungen niedergeschlagen hat. Zwar bleibt das Wachstum der Eurozone anämisch, die Verbesserung im Vergleich zu den Vorjahren ist jedoch signifikant. Und auch wenn die jüngsten Leistungsbilanzdaten aus Deutschland nicht ganz so gut ausgefallen sind, wie der Markt erwartet hatte, so steht der Leistungsbilanzsaldo der Eurozone dennoch mit einem Überschuss von 3,5 % des Bruttoinlandsproduktes auf Rekordständen. Angesichts einer solch beeindruckenden Außenhandelsbilanz erscheint der derzeitige Wechselkurs kaum “zu hoch”.All dies sollten Investoren im Hinterkopf behalten, wenn sich die EZB das nächste Mal über den “zu starken” Euro beschwert. Denn auch wenn dessen Aufwertung zu sinkenden Preisniveaus in der Eurozone beiträgt, sind wir weit von kritischen Niveaus entfernt. Es ist wohl eigentlich nicht so sehr die Aufwertung des Euros, die der EZB Kopfzerbrechen bereitet, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie trotz einer langen Liste möglicher Optionen bisher keinen Weg gefunden hat, effektiv gegen die disinflationären Tendenzen in der Eurozone vorzugehen (die im Übrigen auch schon als unausweichlicher Nebeneffekt der gewünschten Adjustierungsprozesse innerhalb Europas gesehen wurden, was heute gerne vergessen wird). Die EZB wäre natürlich nicht die erste Zentralbank, die in einer solch scheinbar ausweglosen Situation ihr Glück in einer schwächeren Währung sucht. Doch auch hier steht die EZB potenziell vor einem Problem: Verbale Intervention allein wird nicht ausreichen und tatsächliche Intervention ist zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu rechtfertigen (man erinnere sich: die EZB hat kein Wechselkursmandat). Bleibt die Möglichkeit weiterer unkonventioneller Maßnahmen, die sich sicherlich erst mal negativ auf den Wechselkurs auswirken würden. Aber auch hier gäbe es keine Garantie eines dauerhaft niedrigeren Euro.—-*) Sonja Marten ist Leiterin des Devisenresearch der DZ Bank.