MARKTCHANCEN 2017

Stimmung am britischen Markt hellt sich spürbar auf

FTSE 100 wird am Jahresende 2017 bei 7 150 Punkten erwartet - Pfund erholt sich nach Entscheidung des High Court zum EU-Austrittsverfahren

Stimmung am britischen Markt hellt sich spürbar auf

Von Andreas Hippin, LondonDas EU-Referendum hat sich nur kurzfristig am britischen Aktienmarkt bemerkbar gemacht. Mit zunehmender Hoffnung auf einen sogenannten Soft Brexit werden die Erwartungen an die Kursentwicklung optimistischer. “Die Performance der britischen Wirtschaft wird während der Verhandlungen über den EU-Austritt und danach nicht so schlecht sein wie von manchen befürchtet”, sagt etwa John Higgins, Chief Markets Economist von Capital Economics, und begründet das mit der Schwäche des Pfund.Der Schnitt der von der Börsen-Zeitung zusammengetragenen Schätzungen von Aktienstrategen von Banken und Vermögensverwaltern besagt, dass der FTSE 100 (“Footsie”) das neue Jahr auf einem Zählerstand von 7 150 Punkten beenden wird (siehe Tabelle). Eine früher durchgeführte Reuters-Umfrage kam noch auf 7 065 Punkte. Higgins gehört mit 7 500 Punkten zu den optimistischsten Beobachtern. Zwar sind immer weniger Institute angesichts der hohen Volatilität der Finanzmärkte bereit, überhaupt Schätzungen abzugeben. Es gibt aber offenbar wichtige Kunden, die Wert auf so einen Zählerstand legen.Auch Kleinanleger erwarten weitere Kursgewinne. Das von Hargreaves Lansdown erhobene Anlegervertrauen hat sich im Dezember etwas vom im November erreichten Tiefststand erholt. In einer Umfrage, die von Interactive Investor Ende November unter mehr als 9 000 Anlegern durchgeführt wurde, rechneten knapp drei Viertel (72 %) damit, dass der FTSE 100 im kommenden Jahr weiter steigen wird. Knapp ein Viertel (23 %) verortet den Jahresendstand 2017 zwischen 7 100 und 7 400 Punkten. Besonders gute Chancen räumen sie Banken und Finanzdienstleistern, Pharma- und Industrieunternehmen ein. Besonders unbeliebt sind dagegen Versorger.Der Londoner Leitindex FTSE 100 ist kein gutes Abbild der britischen Volkswirtschaft, sondern ähnelt eher dem MSCI World. Die in ihm enthaltenen Firmen berichten größtenteils in Dollar und machen drei Viertel ihres Geschäfts jenseits des Vereinigten Königreichs. Die Abwertung des Pfund sorgt bei ihnen für steigende Gewinne – zumindest auf dem Papier. Die Strategen von J.P. Morgan halten die Vorteile des schwachen Pfund für weitgehend eingepreist. Sie haben ihre Anlageempfehlung für britische Aktien (währungsgesichert) im Schlussquartal von “Übergewichten” auf “Neutral” gesenkt. Zuletzt stuften sie die Titel auf “Untergewichten” herunter. Sie gehen davon aus, dass sich die Wirtschaftsaktivität 2017 wegen der Unsicherheit rund um den Brexit deutlich abschwächen wird.Zuletzt hat sich das Pfund wieder erholt. Simon Derrick, Chief Markets Strategist von BNY Mellon, weist darauf hin, dass Anleger mehr auf politische Entwicklungen als auf das unterschiedliche Zinsniveau achteten, nachdem sie sowohl vom Brexit-Votum der Briten als auch von der Wahl Donald Trumps auf dem falschen Fuß erwischt worden waren. Zuerst wertete das Pfund ungeachtet steigender Gilt-Renditen stark gegen den Euro ab, als Premierministerin Theresa May auf dem Parteitag der Konservativen im Oktober ankündigte, bis Ende März 2017 Artikel 50 des Vertrags von Lissabon in Anspruch nehmen zu wollen. Als der High Court Anfang November entschied, vor einem Austritt aus der EU müsse das Parlament angehört werden, begann der Kurs anzuziehen. Nach der Wahl Donald Trumps beschleunigte sich die Aufwärtsbewegung. Dabei hatte sich der Renditeabstand bei zweijährigen Staatsanleihen zu Ungunsten der britischen Titel entwickelt.Negative Nachrichten aus der Politik könnten das Pfund erneut unter Druck setzen, warnt der Devisenexperte der US-Großbank. Das hohe Leistungsbilanzdefizit Großbritanniens dürfte sich aus Sicht von Credit Suisse etwas stärker verringern als allgemein erwartet. “Es ist bereits von 7 % auf 6 % des Bruttoinlandsprodukts geschrumpft, aber mit 90 % der Assets und 60 % der Verbindlichkeiten in Fremdwährungen ergibt sich so etwas wie eine automatische Verbesserung, wenn das Pfund schwächer wird”, heißt es im Jahresausblick der Strategen der Schweizer Großbank. Dank George Osbornes Schuldenbremse hat sein Nachfolger Philip Hammond wenig Spielraum, um die Wirtschaft durch öffentliche Ausgabenprogramme anzukurbeln. Entsprechend gering sind die Inflationserwartungen, wenn man einmal die Abwertung des Pfund und die Erholung der Ölpreise unberücksichtigt lässt. Allerdings mahnt die Bank of England zunehmend an, dass die Konjunktur nicht nur durch die Geldpolitik, sondern in zunehmendem Maße auch von der Fiskalpolitik stimuliert werden sollte. “Meine Sorge ist, dass Quantitative Easing wieder im Notfallkoffer verschwinden wird”, sagt Mitul Patel, Head of Interest Rates bei Henderson Global Investors. “Für mich war sehr überraschend, dass sich Großbritannien in diesem Maße der Sparpolitik verschrieben hat”, kommentiert er die Politik Osbornes. “Es gab überhaupt keinen Druck seitens des Markts, der das erforderlich gemacht hätte.” In der Tat zeigen die Gilt-Renditen, dass das Schatzamt keine Absatzprobleme hätte, wenn es das niedrige Zinsniveau zur Kapitalbeschaffung für Zukunftsinvestitionen nutzen wollte.