GASTBEITRAG

Stock Picking in China wichtiger als je zuvor

Börsen-Zeitung, 12.9.2015 Wackelnde Börsen, überraschende Abwertung des Renminbi und ein Mikromanagement der Regierung, das westliche Investoren irritiert. Dabei ist es schwer, die Tagesperformance der chinesischen Märkte richtig zu interpretieren:...

Stock Picking in China wichtiger als je zuvor

Wackelnde Börsen, überraschende Abwertung des Renminbi und ein Mikromanagement der Regierung, das westliche Investoren irritiert. Dabei ist es schwer, die Tagesperformance der chinesischen Märkte richtig zu interpretieren: Zwar stimmen die Wirtschaftsdaten wenig positiv, doch sollten die fundamentalen Auswirkungen auch nicht überschätzt werden. Investoren sind in jedem Fall gut beraten, Blue Chips wie Staatsbanken oder Energieunternehmen zu meiden. Unternehmen mit privatem Management sind dagegen umso interessanter. Heftige KurskorrekturSchafsjahre – das sind traditionell ausgewogene Jahre, die im Verlauf wenig Höhen und Tiefen zeigen. So gesehen fiel das Mitte Februar 2015 eingeläutete chinesische Sternzeichen ganz und gar aus seinem kosmischen Rahmen, vor allem aus Investorensicht: Für Anleger mit chinesischen Aktien fühlte sich das Schafsjahr bislang wohl eher wie ein Ritt auf dem nicht ganz so himmlischen Drachen an. Während der chinesische Aktienmarkt bis zum 12. Juni 2015 nur eine Richtung kannte – nach oben, zum blauen Himmel -, kam es danach zu einer heftigen Kurskorrektur, die fast 4 Bill. US-Dollar aus den Büchern strich. Welche Faktoren trieben den chinesischen Aktienmarkt bis dahin in Richtung des historischen Rekordhochs von 6 000 Zählerpunkten, das er im Februar 2007 gesehen hatte? Waren es die soliden Fundamentaldaten unternehmerisch geführter Unternehmen und die Konjunkturpolitik einer reformbereiten chinesischen Regierung, die die Kursfantasien der Anleger beflügelten?Die chinesische Regierung trug sicherlich zu der positiven Entwicklung bei, das Gewinnwachstum gesunder Unternehmen dagegen mit Sicherheit nicht. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Die Kursrally war im Wesentlichen von der kommunistischen Partei finanziert. Konfrontiert mit den niedrigen Wachstumszahlen – auf bis dato unbekanntem Niveau – und der Sorge hinsichtlich eines langwierigen konjunkturellen Abschwungs, schaltete die Regierung in einen Handlungsmodus um. Durch steigende Aktienkurse versuchten die Verantwortlichen den schuldenüberladenden, maroden Staatsunternehmen den Zugang zu einer Kapitalisierung an den Aktienmärkten zu erleichtern und Fremdkapital durch Eigenkapital zu ersetzen. Der Aktienboom wurde zusätzlich durch den massiven Einsatz von Finanzierungshebeln angeheizt, da viele der oft unerfahrenen chinesischen Investoren ihre Aktienkäufe auf Pump finanziert hatten. Dass dieser Hebel in beide Richtungen wirken kann, sahen Beobachter Anfang Juni dieses Jahres – der Shanghai Stock Exchange Composite Index hatte in weniger als 20 Handelstagen 30 % seines Wertes verloren -, und Investoren riefen lauthals um Hilfe. Fragwürdige MaßnahmenGleich zu Beginn des Kursverfalls traten die chinesische Regierung und die Zentralbanker mit massiven und – für die Befürworter freier Märkte – fragwürdigen Gegenmaßnahmen auf den Plan. So dürfen aktuell unter anderem jene Anleger, die mehr als 5 % eines Unternehmens halten, ihre Anteile sechs Monate lang nicht veräußern. Ferner ließ es die Regierung zu, dass die Papiere von nahezu der Hälfte aller an der Börse gelisteten chinesischen Unternehmen vom Handel ausgesetzt wurden. Chinas Zentralbank stellte Milliarden Yuan zum Kauf von Aktien zur Verfügung, und Staatsfonds wurden zu Stützungskäufen angewiesen.Die Talfahrt schien zunächst gestoppt, doch dann fiel der Shanghai Composite Index am 27. Juli um 8,5 % – der höchste Tagesverlust des Index seit Februar 2007. Vorausgegangen war diesem Einbruch ein am gleichen Tag veröffentlichter Bericht des chinesischen Amtes für Statistik. Einerseits, so der Bericht, waren die Gewinne der großen Industrieunternehmen seit Januar um 0,7 % zurückgegangen, andererseits wurde für den Produktionssektor eine negative Geschäftsentwicklung erwartet. Investoren abgeschrecktDies zeigt, dass weitere Korrekturen oder gar ein Crash nicht auszuschließen sind, denn die bisherigen Maßnahmen der Regierung waren nichts weiter als ein Erste-Hilfe-Pflaster. Sie berühren jedoch in keiner Weise das tatsächliche der chinesischen Wirtschaftsschwäche zugrundeliegende Übel. Chinas Regierung kündigt seit langem Reformen an, doch den Politikern fehlt der Mut, diese auch in die Tat umzusetzen, Staatsunternehmen zu sanieren und Überkapazitäten abzubauen. Denn dies beträfe den Arbeitsmarkt der Volksrepublik und hätte zweifellos Entlassungen und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge.Hier liegt jedoch die Krux: China muss durch dieses “Tal der Tränen” gehen, sofern das Land seine Wirtschaft auf ein solides Fundament stellen will. Stattdessen sehen wir eine Regierung, die Chinas Aktienmärkte durch ihr Mikromanagement manipuliert, anstatt sie sich selbst zu überlassen. Dieses Vorgehen schreckt westliche Investoren zunehmend ab. Denn wer seine Anlageentscheidung auf Grund der Analyse von Fundamentaldaten trifft, fühlt sich in einem Marktumfeld, das nur auf Wachstum statt auf Profitabilität schaut, nicht zu Hause. Zwar gibt es sie, diejenigen chinesischen Unternehmen, die sich der Marge und dem Gewinnwachstum verpflichtet fühlen. Doch leider dürften auch bis auf Weiteres die maroden Schwergewichte an der Börse dominieren. Solide GeschäftsmodelleIn diesem volatilen Börsenumfeld schlug dann die scheinbar aus dem Nichts kommende Abwertung des Renminbi ein wie ein Kanonenschlag. Die ohnehin nervösen Märkte reagierten und gaben weltweit nach. Insbesondere der deutsche Dax litt unter den Maßnahmen der chinesischen Zentralbank. China ist Deutschlands größter Handelspartner für Maschinenbau, und insbesondere für die Automobilindustrie ist ein niedriger Wechselkurs im Zusammenspiel mit der schwächelnden Realwirtschaft und den sinkenden Wachstumszahlen pures Gift. Dennoch bietet China Investoren nach wie vor attraktive Anlagemöglichkeiten. Hier ist eine differenzierte Herangehensweise beim Stock Picking wichtiger als je zuvor. Wer sich bei der Anlageentscheidung auf Privatunternehmen mit soliden Geschäftsmodellen konzentriert und bei der Bewertung von Staatsunternehmen besonders kritisch vorgeht, wird auch künftig interessante Unternehmen mit Potenzial finden.—-Thomas Gerhardt, Leiter des Emerging Markets& Commodities Teams bei Edmond de Rothschild Asset Management (France)