Suse braucht einen Neustart
Geld oder Brief
Softwareunternehmen Suse braucht einen Neustart
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Seit dem Frühjahr 2021 ist der Open-Source-Spezialist Suse börsennotiert, doch aus Sicht der Aktionäre ist die Bilanz zweieinhalb Jahre später verheerend. Die Aktie, die im Mai 2021 mit einem Erstpreis von 29,50 Euro in den Handel im Prime Standard an der Frankfurter Wertpapierbörse startete und zum Jahresende 2021 zeitweise rund 40 Euro wert war, stürzte zuletzt von einem Negativrekord zum nächsten.
Mitte August stand die Aktie nur noch bei 10 Euro. Allein seit dem Beginn des laufenden Jahres hat das Suse-Investment mehr als 40% an Wert verloren. Wer seit dem IPO an Bord ist, musste einen Wertverlust von rund zwei Dritteln hinnehmen.
Wachstum stagniert
Das in Nürnberg gegründete Unternehmen, das seinen Hauptsitz inzwischen in Luxemburg hat, verstärkte die Talfahrt zuletzt durch eine Prognosesenkung im Mai und eine für die Softwarebranche eklatante Wachstumsschwäche: Der bereinigte Umsatz legte im zweiten Quartal, das am 30. April endete, nur noch um magere 1% auf 162 Mill. Dollar zu. Das Quartal endete mit einem Periodenverlust von 31,6 Mill. Dollar.
Für das gesamte Geschäftsjahr 2022/23, das am 31. Oktober enden wird, reduzierte Suse seine Erwartung an das Umsatzwachstum auf den mittleren einstelligen Prozentbereich, nachdem ursprünglich ein dynamischeres Wachstum von 11 bis 13% in Aussicht gestellt worden war.
EQT hält große Mehrheit
Die Kursschwäche bekommt auch der Hauptinvestor zu spüren. Mehrheitlich gehört Suse nach wie vor dem Finanzinvestor EQT, der im Sommer 2018 seinen Einstieg für rund 2,5 Mrd. Dollar angekündigt hatte. EQT übernahm Suse von dem britischen Softwareunternehmen Micro Focus, das wiederum seit Jahresanfang zu Open Text gehört. Am Markt machen regelmäßig Gerüchte die Runde, dass EQT das Suse-Paket an einen neuen Investor weiterreichen könnte. Im Frühjahr 2022 meldete Bloomberg, Gespräche mit dem Technologieinvestor Thoma Bravo seien weit fortgeschritten gewesen, es sei jedoch zu keiner Einigung gekommen.
Stattdessen kündigte EQT einige Wochen später an, für bis zu 100 Mill. Euro Suse-Aktien nachkaufen zu wollen – das Gegenteil der vorherrschenden Private-Equity-Strategie, bei der nach einem Börsengang üblicherweise nach und nach Anteile abgestoßen werden. Für potenzielle Kaufinteressenten jedoch könnte das Suse-Paket durch weitere Aufstockungen durch EQT attraktiver werden. Gemäß den Angaben im Geschäftsbericht hielt EQT zum Jahresende 2022 einen Anteil von rund 79% der damals ausstehenden Aktien. Damit wäre ein Käufer schon nah an der Schwelle, mit der nach einem Erwerb ein Delisting möglich wäre.
Operativer Großtausch
Suse versucht unterdessen, mit Hilfe drastischer Veränderungen operativ wieder auf den Wachstumspfad zurückzufinden. Im Management ist in den vergangenen Monaten kein Stein auf dem anderen geblieben: Im Frühjahr verabschiedete sich CEO Melissa Di Donato, die Suse 2021 an die Börse geführt hat. Nur rund drei Monate später gab CFO Andy Myers seinen Ausstieg bekannt.
Die Nachfolgersuche hat Suse in dieser Woche immerhin erfolgreich abgeschlossen. Nach einer Übergabephase soll Ian Halifax im Dezember den CFO-Posten übernehmen. Halifax wurde im September 2021 CFO des Cybersicherheitsanbieters Trellix, zuvor war er knapp zwei Jahre Finanzchef des Technologiedienstleisters Riverbed Technology.
Mit Frank Feldmann hat Suse zudem einen Chief Strategy Officer verpflichtet. Feldmann hat insgesamt mehr als 15 Jahre in führenden Positionen für Suses Rivalen Red Hat gearbeitet. Das Führungspersonal des ebenfalls auf Open-Source-Software spezialisierten Unternehmens aus den USA scheint bei Suse als möglicher Rekrutierungskanal zurzeit weit oben auf dem Radar zu stehen. Auch auf anderen leitenden Positionen hat Suse sich kürzlich mit Neuzugängen verstärkt, die bereits umfassende Branchenexpertise bei dem Wettbewerber gesammelt haben.
Der neue Vorstandschef Dirk-Peter van Leeuwen arbeitete mehr als 18 Jahre in verschiedenen Positionen für Red Hat, zuletzt als Senior Vice President & General Manager von Red Hat North America. Der frisch berufene Chief Revenue Officer Werner Knoblich hat ebenfalls eine lange Station bei dem inzwischen zu IBM gehörenden Wettbewerber in seiner Vita.
Analysten senken Kursziel
Auf der Habenseite stehen bei Suse die nach wie vor soliden Margen und ein kontinuierlicher Cashflow. Die bereinigte Ebitda-Marge des Softwareunternehmens lag selbst im schwachen zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres noch bei 32% (Vorjahr: 36%). Unter sieben von Bloomberg befragten Analysten empfehlen vier die Aktie zum Kauf, drei raten dazu, sie zu halten.
Allerdings haben einige Analysten ihre Kursziele teils deutlich heruntergesetzt. J.P. Morgan senkte es Anfang Juli von 20 auf 14 Euro, Goldman Sachs stufte das Kursziel von 17,50 auf 13 Euro ab. Im Schnitt erwarten die Analysten einen Zwölfmonats-Zielkurs von 14,50 Euro.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt, so lange EQT an Bord ist. Der Großaktionär könnte bei einem gelingenden Turnaround Teile seiner Beteiligung über die Börse abstoßen und damit den Kurs direkt wieder drücken. Dafür müsste sich die Aktie von ihrem aktuellen Tief jedoch erst einmal deutlich nach oben vorarbeiten.
Schwachstelle Vertrieb
Suse krempelt derweil nicht nur das Management um, sondern auch den Vertrieb. Dessen Neuordnung dürfte Zeit und Ressourcen binden. Die Vertriebsstruktur gilt seit längerem als Schwachstelle, auch das vorherige Management versuchte sich bereits an einer effizienteren Aufstellung. Ein erster Umbau unter Vorgängerin Di Donato brachte jedoch nicht die gewünschten positiven Effekte, wie Suse unlängst einräumen musste. Das eingeworbene Vertragsvolumen (annualisierter Vertragswert, ACV) ging im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6% auf 131 Mill. Dollar zurück, zudem wählten Kunden kürzere Vertragslaufzeiten.
Profitieren könnte Suse nun ausgerechnet von einer Entscheidung des Rivalen Red Hat, die Ende Juni für Wirbel in der Open-Source-Community gesorgt hat: Der US-Konzern verkündete, die Quelltexte von Red Hat Enterprise Linux (RHEL) sollten künftig nicht mehr öffentlich bereitgestellt werden.
Prompt kündigte Suse an, eine RHEL-kompatible Distribution entwickeln und pflegen zu wollen. Mehr als 10 Mill. Dollar sollen in den kommenden Jahren in das Projekt fließen. CEO van Leeuwen kann diese unverhoffte Starthilfe vom Erzrivalen vermutlich gut gebrauchen.