Trübe Stimmung an der Wall Street

Firmengewinne sollen erstmals seit 2009 zwei Quartale in Folge sinken - Investitionszurückhaltung droht

Trübe Stimmung an der Wall Street

Am US-Aktienmarkt hat die Entscheidung der Federal Reserve Bank, die Leitzinsanhebung einmal mehr aufzuschieben, diesmal keine Erleichterung ausgelöst. Zwar legten die Aktienindizes in der ersten Stunde nach der Entscheidung zu. Danach ging es an Donnerstag und Freitag aber steil bergab. Die Angst vor einer weltweiten Abwärtsspirale drückt die Stimmung an der Wall Street.Von Sebastian Schmid, New YorkKurz vor Beginn der US-Quartalssaison hat sich die Stimmung an der Wall Street wieder einmal merklich eingetrübt. Laut Factset erwarten die Analysten für den S & P 500 per saldo erneut rückläufige Ergebnisse. Im Schnitt soll das Ergebnis je Aktie im US-Leitindex um 4,4 % sinken (siehe Grafik). Mit dem 0,7-prozentigen Gewinnrückgang im zweiten Quartal wäre es das erste Aufeinanderfolgen von zwei Perioden mit rückläufigen Ergebnissen seit dem dritten Quartal 2009. Der Umsatz wird sogar bereits das dritte Quartal in Folge niedriger erwartet – ebenfalls das erste Mal binnen sechs Jahren. Dabei drücken erneut vor allem zwei Faktoren auf die Ergebnis- und Erlösentwicklung: die Krise im Energiesektor, der unter dem Ölpreisverfall leidet, und der starke Dollar, der stark international aufgestellten US-Konzernen die Gewinn-und-Verlust-Rechnung verhagelt. Für Firmen, die mehr als der Hälfte ihrer Erlöse in den USA erzielen, dürfte der Gewinn laut Unternehmensbeobachtern im Schnitt um gut 3 % steigen. Bei Unternehmen, deren Umsatz mehrheitlich im Ausland generiert wird, soll das Ergebnis je Aktie derweil um rund 14 % einbrechen, hat Factset ermittelt.Die geringen Erwartungen an die Unternehmensentwicklungen wurden in der abgelaufenen Woche von der US-Notenbank verstärkt. Die Mitglieder im Offenmarktausschuss der Fed entschieden sich mit 9 zu 1 Stimmen gegen eine Anhebung der kurzfristigen Leitzinsen. In der Vergangenheit hatte der expansive Kurs der Notenbank dem US-Aktienmarkt immer wieder Auftrieb gegeben. Mittlerweile ist die Stimmung aber gekippt. Da die Notenbank explizit die Sorge der Auswirkungen der internationalen Konjunkturprobleme auf die US-Wirtschaft als einen wesentlichen Grund gegen den ersten Zinsschritt seit mehreren Jahren anführte, wächst auch die Sorge der Aktieninvestoren vor schwachen Unternehmensdaten.Die Experten von Moody’s Analytics erwarten nicht, dass die erneute Verschiebung der Zinserhöhung, die Inflation treiben könnte. Im Gegenteil: Die Unsicherheit drohe die Schaffung von neuen Jobs zu bremsen und damit den Lohndruck zu senken. In Verbindung mit unterdurchschnittlichen Wachstumsraten bei Umsatz und Ergebnis dürften viele Firmen ihre Investitionsprogramme erst einmal zurückfahren, heißt es in einer Einschätzung vom vergangenen Freitag. Zuletzt hatten die US-Firmen das Wachstum im zweiten Quartal mit einer kräftigen Ausweitung ihrer Verbindlichkeiten vorangetrieben. Die ausstehenden Schulden von Nichtfinanzkonzernen seien um 8 % gestiegen, schreibt Moody’s. Das war die kräftigste Ausweitung seit dem zweiten Quartal 2008. Im Aufschwung von 2002 bis 2007 wurde diese Neuverschuldungsrate erst im letzten Jahr erreicht. Moody’s hatte deshalb zuletzt auch wesentlich mehr Herabstufungen als Heraufstufungen der Kreditwürdigkeit von US-Firmen vorgenommen. Ein Zinsschritt im Dezember erscheint den Experten längst nicht ausgemacht.Überrascht zeigten sich die US-Marktteilnehmer in den vergangenen Tagen vor allem davon, dass die Fed in ihrer Stellungnahme die globale Entwicklung als Entscheidungskriterium hervorgehoben habe. Natixis-Chefökonom Philippe Waechter führt die Enttäuschung im Markt darauf zurück, dass jeder ein Signal erwartet habe, das eine Rückkehr zur Normalität andeute. Dies sei ausgeblieben, womit die Fed gezeigt habe, dass sie die US-Wirtschaft noch für fragil halte.Allerdings gab es nicht nur negative Stimmen. Hank Smith, der als Chief Investment Officer von Haverford Trust mehr als 8 Mrd. Dollar verwaltet, rechnet nicht mehr mit einer Zinserhöhung 2015 und zieht sogar 2016 in Zweifel. Die globalen Sorgen würden dieses Jahr nicht mehr ausgeräumt und 2016 sei ein Wahljahr. In diesen sei die Fed meist ebenfalls weniger aktiv. “Im Vergleich zu den Alternativen sind Aktien noch immer relativ attraktiv”, glaubt er.