DevisenfokusTürkische Lira

Türkei wieder im Fokus der Investoren

Jahrelang war die Türkei für Investoren ein Markt, den es aufgrund unorthodoxer Geldpolitik und hoher Inflation zu meiden galt. Doch im Juni vergangenen Jahres erfolgte eine Kehrtwende. Nun wird für die Türkei vieles davon abhängen, wie sich die globale Lage verändern wird.

Türkei wieder im Fokus der Investoren

Jahrelang war die Türkei für Investoren ein Markt, den es aufgrund unorthodoxer Geldpolitik und hoher Inflation zu meiden galt. Doch im Juni vergangenen Jahres erfolgte eine Kehrtwende: Bei ihrem ersten Treffen nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan haben die Notenbanker den Leitzins nahezu verdoppelt und somit eine neue Ära bei der Geldpolitik eingeläutet. Aktuell steht der Leitzins bei 50%.

Ein aus Investorensicht längst fälliger Schritt, denn es war bereits absehbar, dass diese komplett auf Wirtschaftswachstum fokussierte Geldpolitik nicht funktionieren wird und sogar zu Marktverwerfungen führen könnte. Gemeinsam mit dem neu ernannten und hoch angesehenen Finanzminister Mehmet Simsek hat die Zentralbank daher zügig Maßnahmen ergriffen, um der umstrittenen Geld- und Finanzpolitik der Türkei wieder eine neue Richtung zu geben. Zunehmend war absehbar geworden, dass gegenzusteuern unumgänglich war, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Währung schwand und mittelfristig die Zahlungsfähigkeit des Staates in Frage gestellt werden würde. Anderthalb Jahre später kann diese Kehrtwende hin zu einer orthodoxen Geldpolitik als heilsame – und offenbar auch von Präsidenten Erdogan geduldete – Therapie betrachtet werden, die allerdings Zeit braucht und deren Nebenwirkungen – ein deutliches Abschwächen der Wirtschaft mit entsprechend negativen Effekten – derzeit aufgrund der laufenden Tourismussaison noch nicht zur Gänze spürbar sind.

Langsamer Rückgang

Die Inflation hat lange gebraucht, um zu drehen und liegt aktuell bei knapp 50% (September 2024). Im Mai war dieser Wert noch bei mehr als 75%. Für das Jahr 2024 wird eine Inflation von knapp 60% prognostiziert. Obwohl der Rückgang der Inflation langsamer als erhofft voranschreitet, sollten v.a. Basiseffekte die Inflation bis zum Jahresende weiter in Richtung 40% sinken lassen. Im nächsten Jahr werden die Preisanstiege nochmals geringer ausfallen.

Gleichzeitig hat der Druck auf die Währung stark nachgelassen. Mehr noch: Die türkische Lira hat in den vergangenen Monaten deutliche Zuflüsse gesehen. Zum einen von internationalen Investoren, zum anderen aber auch von den Türken und Türkinnen selbst, die wieder Vertrauen in ihre Währung haben und ihre Dollarbestände zurückwechseln. Mit ein Grund dafür sind die attraktiven Zinsen auf Spareinlagen aber auch das Ende des FX-Linked-Deposit-Programms der Türkei. Noch bis zum Jahreswechsel wurden Spareinlagen auf FX-Linked-Deposits indirekt gegen Wechselkursschwankungen abgesichert, aber diese Konten hatten inhärente versteckte Risiken für das Budget, so dass deren Ende beschlossen wurde. Das hatte natürlicherweise entsprechend positive Effekten auf die türkische Währung.

Auch die Tatsache, dass von einem starken Anheben der Mindestlöhne – was ebenfalls inflationstreibend ist – wieder Abstand genommen wird, wirkt unterstützend. Das ist zwar, da es kein reales Lohnwachstum mehr gibt, mit dem Risiko einer nachvollziehbaren Unzufriedenheit der Bevölkerung verbunden, gleichzeitig ist es aber ein wichtiger Faktor, die Inflation zu dämpfen.

Fiskalisch auf der Bremse

Budgetseitig – lässt man die Rekonstruktion, den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete aufgrund des Erdbebens einmal außen vor – steht die Regierung fiskalisch auf der Bremse. Auch das ist ein klares Zeichen für eine klassisch orthodoxe Geldpolitik.

Auch wenn die Wirkung der Medizin, die sich die Türkei verabreicht hat, etwas länger braucht als gedacht, sind erste positive Effekte bereits deutlich zu erkennen. Das zeigen die massiven Kapitalzuflüsse internationaler Investoren.  Die Notenbank war phasenweise sogar genötigt, gegen die eigene Währung zu intervenieren und damit weiter Devisen aufzubauen. Dadurch stiegen die Netto-Devisenreserven wieder an, die schon in den negativen Bereich gerutscht waren und sind nun wieder positiv, wenn auch noch immer auf niedrigem Niveau.

Kreditboom abrupt beendet

Aktuell steht der Leitzins bei 50%. Mit dem Zulassen von Kredit- und Einlagenzinsen, die über dieses Niveau hinausgehen, ist der Kreditboom abrupt beendet worden. Gleichzeitig wird verhindert, dass die hohe Inflation sämtliche Ersparnisse auffrisst. Auch wenn bei Banken die Zahl der notleidenden Kredite nun etwas nach oben geht, sind die Maßnahmen unterm Strich effektiv und haben zu einer Stabilisierung und phasenweise sogar zu einer Aufwertung der Währung geführt.

Die bei hoher Inflation relativ stabile Währung betrifft natürlich die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Derzeit erscheinen die negativen Effekte auf die Exporte noch moderat, die Leistungsbilanz hat, unterstützt von einer guten Tourismussaison, eine günstige Dynamik. Sollte sich dies gegen Ende des Jahres drehen, wenn höhere Energieimporte anstehen und die Notenbank aufgrund der gesunkenen Inflation die Zinsen senken dürfte, könnte die Währung wieder zunehmend unter Druck geraten.

Richtiger Schritt

Dennoch hat die Türkei mit der Rückkehr zu einer orthodoxen Wirtschaftspolitik die richtigen Schritte gesetzt. Das hat auch dazu geführt, dass Moody’s die Türkei im Juli neuerlich hochgestuft hat: von B3 auf B1, mit weiterhin positivem Ausblick. Die Türkei ist somit definitiv wieder im Fokus der Investoren. Natürlich sind die Bondmärkte immer attraktiv, wenn die Zinsen gesenkt werden, aber die Kehrtwende hat sich auch positiv auf den Aktienmarkt niedergeschlagen.

Nun wird für die Türkei vieles davon abhängen, wie sich die globale Lage verändern wird: wie die Wahlen in den USA ausgehen, wie sich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine weiterentwickelt und mit welcher Dynamik die Auseinandersetzungen im Nahen Osten fortgesetzt werden. Die Türkei ist in dieser geopolitischen Gemengelage jedenfalls ein gewichtiger Faktor, was das Land politisch und wirtschaftlich auch zu nutzen weiß. Sollte Donald Trump bei den Wahlen in den USA als Sieger hervorgehen, wäre das für einige Emerging Markets – darunter Mexiko und China – aus wirtschaftlicher Sicht keine gute Nachricht. Das könnte Investoren dazu veranlassen, dort investierte Gelder abzuziehen und diese dann beispielsweise in der Türkei oder in Südafrika zu investieren.

Ronald Schneider ist Leiter „Anleihen, CEE & Global Emerging Markets“ bei Raiffeisen Capital Management.