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Türkei und Brasilien weisen Parallelen auf

Von Mauro Toldo *) Börsen-Zeitung, 2.6.2016 Es hat in den vergangenen Jahren viele Gemeinsamkeiten in der politischen Entwicklung der Türkei und der von Brasilien gegeben. Sowohl Erdogans AKP in der Türkei als auch die Arbeiterpartei (PT) in...

Türkei und Brasilien weisen Parallelen auf

Von Mauro Toldo *)Es hat in den vergangenen Jahren viele Gemeinsamkeiten in der politischen Entwicklung der Türkei und der von Brasilien gegeben. Sowohl Erdogans AKP in der Türkei als auch die Arbeiterpartei (PT) in Brasilien sind im Jahr 2002 erstmalig gewählt worden und regieren seitdem das Land ununterbrochen. In beiden Ländern gab es eine zentrale Figur, die die Partei zusammengehalten hat. In der Türkei ist es Erdogan gewesen, in Brasilien war es Expräsident Lula. Beide Parteien kamen mit dem Versprechen an die Macht, die Korruption zu beenden und bisher vernachlässigte Bevölkerungsschichten am steigenden Wohlstand teilhaben zu lassen. Beide Länder teilten eine ursprüngliche Reformbegeisterung, die allerdings in den vergangenen Jahren unter der Amtsmüdigkeit erlahmte. Und nicht zuletzt: In beiden Ländern kam es im Mai zu einer Regierungskrise, die allerdings einen ganz unterschiedlichen Ausgang hatte. In Brasilien kam es mit der Suspendierung von Präsidentin Dilma Rousseff zu einem Machtwechsel, zumindest bis das Amtsenthebungsverfahren abgeschlossen ist. In der Türkei ist Premierminister Davutoglu zurückgetreten, und es kam zur Machtkonsolidierung um Präsident Erdogan. Rezession vermiedenUm die aktuelle Situation in den Ländern zu verstehen, muss man die Jahre vor der Krise genauer betrachten. Die türkische AKP und die brasilianische PT kamen zu Beginn der Boomphase der Emerging Markets an die Macht. Beide Regierungen profitierten von günstigen Finanzierungsbedingungen in der Zeit vor der Finanzkrise, und auch nach der Finanzkrise konnten beide Länder aufgrund der fiskalischen Polster eine lang anhaltende Rezession vermeiden. So kam es in beiden Ländern nur im Jahr 2009 zu einer Schrumpfung der wirtschaftlichen Aktivität, die schnell wieder wettgemacht wurde. Allerdings war dieses Wachstum stark von einer fiskalischen Lockerung getrieben. Beide Länder versuchten, die fehlende Nachfrage aus den Industrieländern mit einer künstlich erzeugten lokalen Nachfrage auszugleichen, was zu einem Anstieg der privaten und öffentlichen Verschuldung führte und die makroökonomische Anfälligkeit der Länder erhöhte. Rating verbessertEine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Ländern besteht darin, dass es unter der AKP- und der PT-Regierung zu großen Ratingverbesserungen kam. Als zwei der größten Emittenten trugen sie dazu bei, das Emerging-Markets-Universum insgesamt in den Investment-Grade-Bereich zu katapultieren. So kam es in Brasilien zwischen 2005 und 2011 zu einem Anstieg des durchschnittlichen Ratings um mehr als vier Stufen. Das Rating der Türkei verbesserte sich in dieser Zeit immerhin um zwei Stufen. Allerdings setzte sich die Verbesserung in der Türkei auch in den vergangenen zwei Jahren fort, während Brasilien bonitätsmäßig den Rückwärtsgang eingelegt hat. Nach dem Verlust von drei Ratingstufen in den vorigen zwei Jahren liegt die Bonität Brasiliens mittlerweile deutlich unter der der Türkei. Aktuell bewerten die Ratingagenturen Brasilien einmütig zwei Stufen unterhalb des Investment-Grade-Bereichs mit “Ba 2” (Moody’s) und “BB” (Standard & Poor’s und Fitch). Die Türkei wird von Moody’s und Fitch mit “Baa 3” und “BBB-” im Investment-Grade-Bereich gesehen, während Standard & Poor’s mit “BB+” eine Stufe darunterliegt.Was den Ratingausblick angeht, befindet sich die Türkei in einer günstigeren Ausgangsposition. Die öffentliche Verschuldung des Landes liegt unter 35 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP), etwa die Hälfte der Schulden Brasiliens, die bereits über 70 % des BIP liegen. Zudem ist die Dynamik in der Türkei auch deutlich günstiger, da das Budgetdefizit in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt bei 1,8 % des BIP lag und im vergangenen Jahr sogar nur 1,2 % des BIP betrug. In Brasilien betrug das Budgetdefizit im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre fast 4,5 % des BIP und im vergangenen Jahr sogar mehr als 10 %. Unterschiedliche DynamikDie unterschiedliche fiskalische Dynamik ist zum Teil auf einen der großen Unterschiede zwischen den Ländern zurückzuführen: die Rohstoffe. Während Brasilien ein großer Rohstoffproduzent und -exporteur ist, ist die Türkei von Energieimporten abhängig. Der Glaube an die nicht endende Rohstoffhausse hat in Brasilien zu einer großen Verschwendung geführt, während die Türkei in der Zeit der hohen Rohstoffpreise sparsamer sein musste und aktuell von den niedrigen Rohstoffpreisen profitiert.Wie sich die Rohstoffpreisentwicklung auf die Länder ausgewirkt hat, war vor allem im vergangenen Jahr zu spüren. Während Brasilien nun die tiefste Krise seit dem vorigen Jahrhundert erlebt und im vergangenen Jahr um fast 4 % schrumpfte, verzeichnete die Türkei im Jahr 2015 ein Wachstum von 4 %.Die Rohstoffe machen aber nur einen Teil der Geschichte aus. Brasilien befindet sich seit Jahren in einer politischen Krise, die mit dem größten Korruptionsskandal der Geschichte des Landes – die Schmiergeldaffäre durch den teilstaatlichen Energieriesen Petrobras – ihren Höhepunkt erreicht hat. In Brasilien hat das politische System ein fragmentiertes Parlament mit wechselnden Mehrheiten hervorgebracht, in dem ein Kuhhandel die Politik beherrscht. Die Führungsschwäche von Präsidentin Rousseff trug in den vergangenen Jahren zu einer politischen Lähmung mit dramatischen Folgen bei. Ob der neuen Regierung unter dem Übergangspräsidenten Michel Temer ein Befreiungsschlag gelingt, ist noch fraglich, denn er hat ebenfalls mit dem fragmentierten Parlament zu kämpfen. Keine der Parteien will für die schmerzhaften Einsparungen verantwortlich gemacht werden. Temer hat zumindest ins neue Kabinett wichtige Persönlichkeiten berufen, um die Glaubwürdigkeit der Regierung zu stärken.Das politische System in der Türkei – mit einer 10-Prozent-Hürde für den Beitritt ins Parlament – hat der AKP eine absolute Mehrheit beschert, was die Entscheidungen der Regierung vereinfacht hat. Präsident Erdogan hat bei den Wahlerfolgen der AKP eine zentrale Rolle gespielt, ist die unangefochtene Führungspersönlichkeit in der Partei und hat seine Machtposition stetig konsolidiert. Die jüngste Regierungskrise war die Folge eines Machtkampfes zwischen Premierminister Davutoglu und Präsident Erdogan, die zu Gunsten von Erdogan entschieden wurde. Nun soll der neue Premierminister Binali Yildirim, ein treuer Anhänger von Erdogan, die Verfassungsänderung für ein präsidiales System vorantreiben. Die Machtzentralisierung um Präsident Erdogan stellt aber eine zunehmende Gefahr für die Türkei dar, weil die Institutionen geschwächt werden und die Gefahr des Machtmissbrauchs steigt. In Brasilien stellt das Fehlen einer zentralen Figur mit der Macht und dem Mut, Reformen durchzusetzen, hingegen die größte Gefahr dar.—-*) Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets/Länderrisikoanalyse im Makro-Research der DekaBank.