Türkische Politik verschreckt Anleger

Neuwahlen und Kämpfe mit PKK belasten - Lira auf Rekordtief - Konjunktureller Hoffnungsschimmer

Türkische Politik verschreckt Anleger

In kaum einem Schwellenland gerieten die Finanzmärkte zuletzt derart unter Druck wie in der Türkei. Insbesondere die politische Unsicherheit verschreckt Investoren, wie der Sturz der Lira auf ein Rekordtief am Donnerstag zeigte. Erst 2016 könnte sich die Lage stabilisieren – wenn alles gutgeht. Dafür gab es am Donnerstag zumindest Anzeichen.Von Stefan Schaaf, FrankfurtFür einen Dollar mussten die Türken am Donnerstag 3,0605 Lira zahlen, so viel wie noch nie zuvor. Auch im Euro bewegte sich die Landeswährung mit einem Kurs von 3,4418 Lira in der Nähe ihres Tiefststandes. “Die Verschlechterung der Investorenstimmung scheint eine Kombination sich verschärfender innenpolitischer Probleme und die anhaltende Volatilität der Finanzmärkte zu reflektieren”, kommentiert Lubomir Mitov, Chefvolkswirt für Mittel- und Osteuropa bei Unicredit.Offiziell wurden die Marktverwerfungen in der Hauptstadt Ankara lange externen Faktoren zugeschrieben, unter anderem dem Bürgerkrieg in der Ukraine und der Furcht vor einer Abkühlung der chinesischen Konjunktur. Inzwischen räumt die Politik allerdings die internen Schwierigkeiten ein. Finanzminister Mehmet Simsek erklärte jüngst, die politische Instabilität sei die größte Gefahr für die türkische Wirtschaft und die Staatsfinanzen.Die Unsicherheit stieg auch wegen der neuen Kämpfe zwischen türkischer Armee und kurdischer PKK sowie der Invasion im Nordirak. Sie verschärften aus Marktsicht noch die Instabilität vor den für 1. November geplanten Wahlen. Erdogans islamische Partei AKP hatte bei der jüngsten Wahl ihre absolute Mehrheit verloren, die Bildung einer Koalitionsregierung war gescheitert. “Dieser Hintergrund politischer Unsicherheit hat der Wirtschaft nicht geholfen”, betont Georgina Hellyer, Portfoliomanagerin für Schwellenländer-Aktien bei Columbia Threadneedle. “Das Verbrauchervertrauen ist auf dem niedrigsten Stand seit Anfang 2009, und die Arbeitslosigkeit hat begonnen zu steigen.” Warnung von Moody’sErst kürzlich hatte die Ratingagentur Moody’s Alarm geschlagen: Wichtige Reformen würden vor der Wahl nicht angepackt. Das Vertrauen der Investoren könne weiter schwinden, sollte die Wahl zu einer instabilen Minderheitsregierung oder Koalition führen. Beim Konkurrenten S & P lautet der Ausblick auf “negativ”. Moody’s erwartet für dieses Jahr nur noch ein Wachstum von 2,5 % nach 2,9 % in 2014 und damit unterhalb des Potenzials. Jüngste Daten deuteten jedoch auf eine etwas bessere Entwicklung hin. Offiziellen türkischen Angaben vom Donnerstag zufolge legte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um 3,8 % zu und übertraf damit den Konsens.Doch selbst wenn sich die politische Situation entspannt, so dürfte der Gegenwind für die Lira hoch bleiben. Der Reuters-Konsens rechnet erst im ersten Quartal 2016 mit einer Trendwende, wobei der Kurs nach der jüngsten Abwertung der Lira bereits jetzt über die Marktprognose von rund 3 Lira je Dollar für Februar hinausgeschossen ist. So rechnet die DZ Bank nicht mit einem kräftigen Wachstum. “Die Unsicherheit unter den Verbrauchern und Unternehmern hat in den vergangenen Monaten angesichts der Vielzahl an bestehenden Problemen spürbar zugenommen hat”, schreibt die Bank, die eine weitere Abwertung erwartet. Vom Ölpreisverfall konnte die Türkei bislang nicht recht profitieren. Dieser stärkt zwar die chronisch defizitäre Leistungsbilanz, doch zugleich brachen die wichtigen Exporte in Ölförderländer wie Russland und die Golfstaaten ein.Ein Risiko für die Lira ist zudem die erwartete US-Zinswende, die zu Kapitalabflüssen führen dürfte. Verschärft sich die Abwertung, so erschwert dies türkischen Emittenten zudem die Rückzahlung von in Fremdwährung aufgenommenen Schulden. Die Staatsschulden sind nach Berechnungen von Morgan Stanley zu rund einem Drittel in ausländischer Währung aufgenommen. Kein EinstiegszeitpunktDie Krise hat auch die Börse Istanbul erfasst, deren Leitindex ISE 100 seit Jahresbeginn 16 % absackte, was in Dollar gerechnet 36 % ausmacht, und sich deutlich schlechter als die Schwellenländer-Aktienmärkte entwickelte. Innerhalb der Region Emerging Europe ist die Börse Istanbul 2015 bislang sogar das Schlusslicht. Trotz der Kursverluste sieht Aktienfonds-Managerin Hellyer noch nicht den Zeitpunkt zum Einstieg in türkische Aktien gekommen. “Wir erachten es für schwierig, eine konstruktive Situation für sie zu sehen, bevor nicht eine Lösung für die inländische politische Lage gefunden ist.”