Twitter braucht neue Einnahmequellen
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Der bei seinen Benutzern wegen umfangreicher Zensurmaßnahmen stark in der Kritik stehende Mikronachrichtendienst Twitter hat den Aktionären zuletzt wenig Freude bereitet. Binnen eines Monats hat sich der Wert der Aktie um rund 26% reduziert. Allein in den vergangenen sechs Handelstagen büßte der Titel mehr als 19% ein. Allerdings kann man hier von einer gewissen Normalisierung sprechen, denn auf Sicht von einem Jahr ergibt sich nach wie vor ein schwindelerregender Kursanstieg von 83%. Zum Vergleich: Der amerikanische Benchmark-Index S&P500 kommt im gleichen Zeitraum nur auf einen Anstieg von rund 44%, selbst der technologielastige Nasdaq Composite nur auf ein Plus von 50%.
Positive Zahlen
Aber was hat zu der zuletzt desaströsen Kursentwicklung geführt? Die am 29. April vorgelegten Zahlen für das erste Quartal 2021 waren es jedenfalls nicht. In den drei Monaten kletterten die Erlöse im Vorjahresvergleich um 28%. Die Zahl der täglich aktiven Benutzer legte um 20% auf fast 200 Millionen zu. Sehen lassen kann sich auch das Ergebnis mit einem Gewinn von 68 Mill. Dollar, der sich mit einem Verlust im gleichen Vorjahreszeitraum von 8 Mill. Dollar vergleicht.
Was vielen Anlegern indes sauer aufstößt, ist die Prognose des Unternehmens: Das Management sagt für das zweite Quartal eine Stagnation der Erlöse im Vergleich zum ersten Quartal voraus. Auffällig ist zudem, dass das starke Wachstum der Benutzer, das sich zunächst im Rahmen der Coronavirus-Pandemie ergab, nun auch wieder ausgelaufen ist. Damit nimmt Twitter an dem explosiven Wachstum, das andere große Internetwerte derzeit vorweisen, offensichtlich nicht im gleichen Ausmaß teil. Der Anstieg der täglichen Nutzerzahl (monetizable daily active users, mDAU) soll sich im zweiten Quartal lediglich im „niedrigen zweistelligen Bereich“ abspielen. Twitter hat versprochen, die Erlöse bis 2023 zu verdoppeln. Ob das gelingt, steht in den Sternen. Unsicherheit hinsichtlich von Werbeeinnahmen hatte es auch im vergangenen Jahr gegeben, als sich zur Zeit der Black-lives-matter-Proteste und nach der Sperrung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump viele Werbekunden zurückzogen.
Enttäuschender Ausblick
So mancher Analyst sieht sich aktuell wegen des zurückhaltenden Ausblicks veranlasst, sein Anlageurteil zu überdenken. Gab es vor drei Monaten noch zwölf Kaufempfehlungen und 21 Einstufungen mit „Hold“, so sind es aktuell lediglich zehn Analysten, die zum Einstieg in die Aktie raten, während die Anzahl der „Hold“-Anlageurteile auf 27 gestiegen ist. Immerhin blieb die Zahl der Verkaufsempfehlungen mit lediglich vier konstant. Potenzial wird auch nach wie vor noch gesehen, mit einem durchschnittlichen Kursziel der Analysten von 65,94 Dollar, was einem Kursanstieg von 25% binnen zwölf Monaten entsprechen würde. Twitter kommt derzeit auf eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 43 Mrd. Dollar, was sicherlich bezogen auf die relativ kleine Zahl der aktiven Benutzer keinesfalls schlecht ist. Gegenüber den Social-Media- und Internet-Riesen wie Facebook mit einer Marktkapitalisierung von derzeit etwas mehr als 900 Mrd. Dollar oder Alphabet (Google) mit 1,56 Bill. Dollar ist Twitter allerdings ein Zwerg. Auch von der Ertragskraft her ist Twitter weit hinter den anderen Tech-Riesen zurückgeblieben. In den vergangenen fünf Jahren wurde dreimal unterm Strich ein Jahresverlust ausgewiesen, nur zweimal gab es einen Gewinn. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Ergebnis Schätzungen der Analysten für die kommenden zwölf Monate ist mit 64 anspruchsvoll.
Druck aufs Management
Anleger können möglicherweise auch darauf hoffen, dass dem Management mehr Feuer unterm Hintern gemacht wird. Nach dem Kurssturz soll nach unbestätigten Meldungen nämlich der als aktivistischer, bei manchen Kritikern aber auch als räuberischer Investor geltende Hedgefonds Elliot Investment Management des Milliardärs Paul Singer seinen Anteil an Twitter um mehr als 200 Mill. Dollar erhöht haben. Man halte den Kurseinbruch für übertrieben, soll Elliot gegenüber Wall-Street-Analysten kommuniziert haben. Wie groß der Anteil von Elliot an Twitter ist, ist derzeit nicht bekannt, im Februar 2020 setzte der Hedgefonds allerdings durch, einen Sitz im Board des Unternehmens zu erhalten. Gemäß der Übereinkunft mit Twitter muss Elliot mindestens 2% der Aktien halten, um den Sitz im Board zu behalten. Elliot strebte an, CEO Jack Dorsey abzusetzen und die Unternehmensstruktur zu überarbeiten. Letztlich kam es dann aber zu einer Vereinbarung, dass es drei neue Direktoren im Board gibt und dass sich das Unternehmen anspruchsvollere Finanzziele setzte.
Aktuell signalisiert nicht nur Elliot Optimismus hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Unternehmens, jüngst haben sich auch die Analysten von J.P. Morgan zuversichtlich geäußert. Twitter sei gut positioniert, um unter anderem von neuen Produkten angesichts des Aufschwungs der globalen Wirtschaft zu profitieren.
Twitter muss sich allerdings neue Einnahmequellen erschließen. Daran arbeitet man bereits: Während das Unternehmen bislang sein Geld praktisch ausschließlich mit Werbeeinnahmen verdient, soll bald ein auf Abonnements basierendes System hinzukommen. Offenbar wird darauf abgezielt, dass Twitter-Nutzer bestimmte Zusatzleistungen an Abonnenten verkaufen können – wobei Twitter mitverdient. Zu diesem Zweck übernimmt Twitter Scroll, eine Plattform für abonnementbasierte Dienstleistungen, die Werbung von Nachrichten-Websites gegen Zahlung entfernt. Twitter bietet nun auch als „Me too“-Produkt zu der stark gehypten App Clubhouse Audio-Funktionalitäten unter dem Produktnamen „Spaces“ an.
Neuer Schub
Das Unternehmen befindet sich damit offensichtlich auf der Suche nach Wegen, seine Plattform noch stärker zu Geld zu machen. Was sonst noch geplant ist und inwieweit dies gelingt, ist noch völlig offen. Derartige Projekte könnten aber durchaus ausreichen, um der Aktie neuen Schub zu geben.