Unter die Räder gekommen
Der deutsche Aktienmarkt befindet sich seit dem Erreichen seines Rekordhochs von 13 560 Punkten im Januar dieses Jahres im Rückwärtsgang. Sah es bis Mitte Juni so aus, als ob das verlorene Terrain zurückgewonnen werden könnte, hat sich die Abwärtstendenz seitdem verstärkt. Besonders schlimm hat es den Dax im letzten Monat erwischt, mit einem Minus von 6,5 % gehört der Oktober 2018 zu den schlechtesten 8 % aller Börsenmonate seit dem Jahr 1965!Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig, wobei die Politik in diesem Jahr eine besondere Rolle bei der Vernichtung von Aktienvermögen spielt. Der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China, die vor allem von britischer Seite chaotisch geführten und auf unrealistischen Erwartungen basierenden Brexit-Verhandlungen oder auch der Harakiri-Kurs, den Italien in seinem Verhältnis zu den anderen EU-Staaten eingeschlagen hat, sind der Börse in diesem Jahr nicht gut bekommen. Sonderfaktoren im AutosektorHinzu kommt ein wirtschaftliches Umfeld, das mehr als enttäuscht hat. So verlor die deutsche Wirtschaft unerwartet deutlich an Fahrt. Sah es zunächst danach aus, als ob Sonderfaktoren für den Verlust an konjunktureller Dynamik verantwortlich gemacht werden konnten, hellte sich das Bild auch in der Folgezeit nicht auf. Im dritten Quartal sorgte dann der Einbruch der Automobilproduktion sogar für eine rückläufige Wirtschaftsentwicklung – das erste Mal seit Anfang 2015. Die Probleme bei der Umstellung auf das neue Abgasmessverfahren WLTP führten dazu, dass die deutsche Automobilfertigung in den Monaten August und September um rund ein Viertel niedriger war als im Vorjahr.Die Lieferschwierigkeiten führten zudem zu einem Rückgang der Exporte, und sie wirkten sich negativ auf den privaten Verbrauch aus. Im Oktober hat sich die Produktion jedoch wieder erholt, und dieser Trend sollte sich fortsetzen. Schließlich sind die Auftragsbestände im Fahrzeugbau, die noch abgearbeitet werden müssen, auf einem Rekordniveau. Von daher sollte das Wachstum im vierten Quartal von diesem Aufholprozess profitieren.Dennoch wird in Deutschland 2018 wohl nur noch eine reale BIP-Wachstumsrate von 1,6 % zu erreichen sein. Wenig hilfreich waren in diesem Zusammenhang auch die Revisionen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2017: Im Gegensatz zu den konjunkturellen Frühindikatoren, die erst zu Beginn des Jahres 2018 ihre besten Werte markierten, hatte die Konjunkturdynamik demnach schon im ersten Quartal 2017 ihren Höhepunkt erreicht; diese Erkenntnis kam aber für die Prognostiker zu spät.Für 2019 rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum in Deutschland von 1,4 %. Das hört sich schlimmer an, als es volkswirtschaftlich gesehen ist, da das Wachstumspotenzial in etwa auf diese Größenordnung zu veranschlagen ist. So wird sich die konjunkturelle Abschwächung in den Vereinigten Staaten, China und bei den europäischen Nachbarn bremsend auf die Exporte und die Investitionstätigkeit der Unternehmen auswirken. Der Konsum in Deutschland könnte dagegen etwas stärker als in diesem Jahr wachsen, wenn sich der derzeitige Rückgang des Ölpreises als nachhaltig erweist. In diesem Fall wird die Inflationsrate sinken und sich die Kaufkraft erhöhen. Konjunktur normalisiert sichAlles in allem spricht viel dafür, dass es sich bei der derzeitigen wirtschaftlichen Abschwächung um eine konjunkturelle Normalisierung handelt und nicht um den Beginn einer neuen Rezession. Anleger sehen dies aber im Moment anders. Die Einschätzung, dass der Konjunkturzyklus mittlerweile so alt sei, dass sich die Ergebnisse der Unternehmen nicht weiter verbessern können, führt dazu, dass selbst positive Unternehmensberichte nicht mehr als solche wahrgenommen und honoriert werden. Die daraufhin fallenden Aktienkurse werden ihrerseits wieder als Vorbote für das Ende des Aufschwungs interpretiert. Im schlimmsten Fall führt diese negative Rückkoppelung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.Der Ausweg aus dieser Abwärtsspirale? Bessere Konjunkturdaten und eine weniger chaotische Politik wären mit Sicherheit hilfreich. Unterstützung könnte aber auch von einer Seite kommen, die man im Moment noch nicht so sehr im Fokus hat: von den Notenbanken. So hat die Schwäche der US-amerikanischen Aktienmärkte auch etwas mit der Furcht der Investoren zu tun, dass die Federal Reserve quasi im Autopilotmodus die Zinsen so stark erhöht, dass ein starker Abschwung oder sogar eine Rezession unvermeidbar sind.Doch soweit muss es nicht kommen. Wir fänden es nicht überraschend, wenn die US-Notenbank nach der zu erwartenden nächsten Zinserhöhung im Dezember weitere Zinsschritte zunächst auf Eis legt. Schließlich sollte der Preisdruck aufgrund des gesunkenen Ölpreises und dank des starken US-Dollar schon sehr bald nachlassen. Ebenso spannend wird es in der Eurozone werden. Ob Mario Draghi und seine Kollegen aus der Europäischen Zentralbank im nächsten Jahr tatsächlich die Zinsen erhöhen werden, ist unseres Erachtens mehr als fraglich.Die von vielen erwartete Zinswende könnte von daher ins Wasser fallen – was für die Aktienmärkte eine gute Nachricht wäre. Nachdem die Konjunktur und die Aktienmärkte in diesem Jahr unerwartet stark unter die Räder gekommen sind, könnten beide 2019 genauso unerwartet wieder Gas geben.—-Bisher erschienen:- 24.11. Eine Epidemie Schwarzer Schwäne? (47)- 17.11. Dynamische Allokation in dynamischen Zeiten (46)—-Carsten Klude, Chefvolkswirt M.M. Warburg & CO