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US-Aufsicht bietet beim Börsengang mehr Diskretion an

Von Stefan Paravicini, New York Börsen-Zeitung, 8.7.2017 Es ist die erste wichtige Entscheidung von Walter Clayton als neuer Chef der US-Finanzmarktaufsicht Securities Exchange Commission, und das Motiv ist klar: In das IPO-Geschehen an der Wall...

US-Aufsicht bietet beim Börsengang mehr Diskretion an

Von Stefan Paravicini, New YorkEs ist die erste wichtige Entscheidung von Walter Clayton als neuer Chef der US-Finanzmarktaufsicht Securities Exchange Commission, und das Motiv ist klar: In das IPO-Geschehen an der Wall Street soll wieder mehr Schwung kommen, nachdem im zurückliegenden Turnus nach Angaben des Informationsdienstes Dealogic der schwächste Jahrgang für US-Börsengänge seit 2003 zu Buche stand. Ab Montag können Unternehmen nach dem Willen des SEC-Chairman deshalb mit mehr Diskretion an US-Börsen starten. Der Jobs Act, ein Akronym für “Jumpstart Our Business Start-up”, der 2012 unter der Regierung von Barack Obama verabschiedet wurde und Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 1 Mrd. Dollar die Möglichkeit einräumte, Unterlagen zum IPO erst zwei Wochen vor dem Start der Roadshow öffentlich zu machen, gilt ab sofort ohne Beschränkung für alle Börsenkandidaten. Börsenbetreiber applaudiert”Wir haben einen solchen Schritt lange unterstützt und glauben, dass das ein Schritt nach vorn ist, um die öffentlichen Märkte attraktiver zu machen, was das Wirtschaftswachstum ankurbeln wird”, kommentierte Adena Friedman, die Chefin des Börsenbetreibers Nasdaq, die Entscheidung der SEC. Andere Reaktionen fielen zurückhaltender aus. “Das wird nicht unbedingt mehr Firmen dazu ermutigen, an die Börse zu gehen”, sagt Jay Ritter vom Warrington College of Business an der Universität Florida, der seit längerem zur Entwicklung von Initial Public Offerings in den USA forscht. “Der Jobs Act hatte schon bisher nur einen sehr marginalen Einfluss.”Bis zum Ende des ersten Quartals 2017 hatten seit der Verabschiedung des Gesetztes laut SEC insgesamt 1 350 Unternehmen Unterlagen zu einem Börsengang zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingereicht. Zu den prominentesten Kandidaten, die wenig später aus der Deckung kamen und tatsächlich an die Börse starteten, gehören der Kurznachrichtendienst Twitter, die Burger-Kette Shake Shack und der Instant-Messaging-Dienst Snap, der im Frühjahr gut 4 Mrd. Dollar zu einer Bewertung oberhalb von 20 Mrd. Dollar einsammelte.Während bisher unklar ist, ob und wie viele Börsengänge nur deshalb zustande kamen, weil die Kandidaten zunächst unter dem Schutz des Jobs Act die Möglichkeit hatten, mit der SEC ihr Börsenprospekt im Privaten abzustimmen, ohne dass Konkurrenten und Investoren gleich Zugriff auf alle Informationen erhielten, wenden Kritiker ein, dass die auf 15 Tage vor dem Start der Roadshow verkürzte Publikationspflicht vor allem Investoren trifft, die keine Möglichkeit haben, die Unterlagen in so kurzer Zeit zu analysieren.”Wir wollen unsere Prozesse effizienter gestalten und Unternehmen dazu ermutigen, einen Börsengang zu erwägen”, begründete Clayton die Ausweitung der Bestimmungen des Jobs Act auf Unternehmen mit mehr als 1 Mrd. Dollar Umsatz. Mehr IPOs würden zu mehr Wahlmöglichkeiten für Investoren führen, zu mehr neuen Jobs und einer stärkeren Wirtschaft, wiederholte der SEC-Chef die Argumentation, die er bereits bei seinem Hearing vor dem US-Senat im Frühjahr vorgebracht hatte.Im ersten Halbjahr haben die US-Börsen auch ohne ein gesteigertes Maß an Diskretion im IPO-Prozess ein Comeback von Börsengängen verzeichnet. Mit rund 28 Mrd. Dollar sammelten die Unternehmen in den ersten sechs Monaten nach Angaben von Dealogic via IPO mehr Geld bei Investoren ein als im gesamten Turnus 2016. Im zweiten Quartal standen nach Angaben von Renaissance Capital 54 Börsengänge und damit so viele Starts wie seit zwei Jahren nicht mehr zu Buche.Die Performance der Börsenneulinge kann sich sehen lassen. Zum Stichtag hatten die Aktien der IPOs aus dem ersten Halbjahr um durchschnittlich 10 % zugelegt, wobei der S & P 500 mit plus 8 % und dem besten Start seit 2009 kaum zurückblieb. Am stärksten entwickelten sich Technologiewerte, die nach dem Börsengang im Durchschnitt um fast ein Fünftel kletterten. Auch hier muss sich die breite Benchmark nicht verstecken, ging es für die Unternehmen im Technologiewertesegment Nasdaq in den ersten sechs Monaten doch um 14 % nach oben.Die Entwicklung bei Follow-on Offerings, den ersten Angeboten von neuen Aktien nach einem Börsengang, deutet ebenfalls auf ein gutes Umfeld für Börsenneulinge. Mit durchschnittlich 500 Tagen zwischen dem IPO und einem Follow-on ist nach Angaben von Dealogic zuletzt so wenig Zeit zwischen beiden Ereignissen verstrichen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1995. Der Durchschnitt liegt bei 900 Tagen. Einhörner meiden Parkett”Der Markt für Neuemissionen ist gesund, ich hätte deshalb mehr IPOs erwartet”, sagt Anthony Kontoleon von Credit Suisse angesichts der guten Rahmebedingungen und einer rekordverdächtigen Zahl von privat gehaltenen Unternehmen mit einer Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar. Dow Jones Venture Source zählt mittlerweile 160 sogenannte “Unicorns”, Start-ups mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar. Vor drei Jahren waren es noch 60. Jetzt will die SEC die öffentlichkeitsscheuen Einhörner mit etwas Diskretion auf das Börsenparkett locken.