US-Bondmarkt drohen nach Aufschwung steile Rücksetzer
US-Bondmarkt trotzt Unsicherheit
Investment-Grade-Anleihen zeigen stärkste Performance seit 40 Jahren – Analysten warnen vor unterschätzten Risiken
Von Alex Wehnert, New York
Viel beachtete Barometer für den amerikanischen Investment-Grade-Anleihemarkt zeigen sich im November so stark wie seit Jahrzehnten nicht. Doch angesichts der unklaren geldpolitischen Aussichten besteht laut Analysten noch erhebliches Rückschlagpotenzial. Die Volatilität zieht bereits an.
Der US-Anleihemarkt trotzt dem unsicheren Umfeld mit historischer Stärke. Der Bloomberg US Aggregate Bond Index, der den gesamten Investment-Grade-Bereich von Treasuries bis hin zu Unternehmensanleihen abdeckt, legte zwischen Anfang November und Donnerstagvormittag New Yorker Zeit um nahezu 4,4% zu und steuerte damit auf seinen besten Monat seit 1985 zu. Doch Analysten warnen davor, dass den Teilnehmern am US-Bondmarkt nach dem Aufschwung Enttäuschungen blühen.
Die Entwicklung der US-Staatsanleiherenditen deute bereits einen gewissen Überschwang an. Diese haben seit Ende Oktober den Rückwärtsgang eingelegt – die Verzinsung des zehnjährigen Titels ist erstmals seit Mitte September unter die Marke von 4,3% abgetaucht. Denn US-Inflationsdaten machen den Investoren Mut. So zeigen sich die Verbraucher in den Vereinigten Staaten inzwischen deutlich weniger ausgabefreudig – ein Trend, der sich auch im Oktober fortgesetzt hat.
Konsumlaune kühlt sich ab
Gemäß Veröffentlichung vom Donnerstag hat der Preisindex für die persönlichen Konsumausgaben, das präferierte Inflationsmaß der Federal Reserve, gegenüber dem Vormonat lediglich noch um 0,2% angezogen. Im September stand noch ein Anstieg um 0,7% zu Buche. Dies verleiht Hoffnungen neue Nahrung, dass die Fed im Dezember auf neue Zinsanhebungen verzichten wird – und ihren Leitsatz im nächsten Jahr sogar senken wird.
Notenbankgouverneur Christopher Waller, der eigentlich als falkenhafte Stimme unter den Währungshütern gilt, befeuerte die Spekulation am Dienstag. Halte der desinflationäre Trend in den kommenden drei bis fünf Monaten an, werde eine Zinssenkung möglich. Gerade die Rendite der zweijährigen Staatsanleihe setzte auf Wallers Äußerungen hin rapide zurück und lag mit 4,64% zeitweise auf den niedrigsten Niveaus seit Juli.
Das Problem aus Sicht von Investoren: Die Währungshüter sind sich über ihren weiteren Kurs mitnichten einig. Zwar sagte auch John Williams, Präsident der Fed von New York, ein Ende der Zinsanhebungen sei realistisch. Allerdings mahnte Williams zugleich zur Vorsicht: Höhere Leitsätze seien noch „für ziemlich lange Zeit“ angemessen, um erneute Inflationssprünge zu vermeiden.
Fed-Chef Jerome Powell, zu dessen wichtigsten Unterstützern Williams zählt, hatte im Oktober mitgeteilt, nach dem Anstieg der Treasury-Renditen sei der Kampf gegen die Inflation auch ohne weitere Zinsanhebungen zu gewinnen. Der auf seine Aussagen hin um sich greifende Optimismus verflog schnell wieder. Denn Powell schob kurz darauf nach, es sei ein Fehler, mit Sicherheit von einem Ende des Zinszyklus in den USA auszugehen.
Volatilität zieht an
Angesichts der Unsicherheit über den weiteren Kurs der Notenbanker warnen Ökonomen wie der ehemalige Pimco-CEO Mohamed El-Erian vor ungewöhnlichen Turbulenzen im Treasury-Markt. Der ICE BofAML Move Index, ein viel beachtetes Maß für die Volatilität von US-Bonds, ist nach einer Abkühlung seit September zuletzt wieder steil geklettert. Auch die Trading-Aktivität bei Treasuries zieht wieder an: Obwohl die Volumina laut der Securities Industry and Financial Markets Association (SIFMA) im Oktober noch unter den Vorjahresniveaus lagen, zogen sie gegenüber September doch um 5% an.
Die Gründe für die Volatilität reichen laut Ökonomen aber tiefer: Der amerikanische Bondmarkt verliere seine langfristigen strategischen Anker. Neben der geldpolitischen Unsicherheit und der Dysfunktionalität des US-Kongresses, in dem Streitigkeiten über Staatsverschuldung und -ausgaben eskalierten, machen auch Zweifel am grundsätzlichen Käuferinteresse an Treasuries die Runde.
Treasury mit hohem Nachholbedarf
Auch andere Beobachter warnen seit Monaten davor, dass die Emissionsflut aus dem US-Finanzministerium die Marktteilnehmer zu überfordern droht. Schließlich muss die Treasury nach dem monatelangen Streit um die Schuldenobergrenze in Washington verpasste Auktionen aus dem ersten Halbjahr nachholen. Laut der SIFMA kletterte das Emissionsvolumen in allen Laufzeiten im Oktober auf über 2,5 Bill. Dollar. Ein Jahr zuvor lag es noch bei etwas mehr als 1,3 Bill. Dollar.
Die Gruppe der potenziellen Abnehmer hat sich dabei verkleinert: Die Fed, über ein Jahrzehnt lang der wichtigste Anker im Markt, veräußert inzwischen Staatsanleihen. Unter großen ausländischen Investoren herrscht aufgrund geopolitischer Spannungen derzeit Zurückhaltung. Und die liquide inländische Käufergruppe um Versicherungen und Pensionsfonds hält bereits große Positionen an US-Anleihen aller Laufzeiten, die ihr erhebliche Mark-to-Market-Verluste eingebracht haben.
Investoren suchen Absicherung
Tatsächlich trachten institutionelle Investoren eher nach Absicherung. Der Gegenwert des Open Interest von Treasury-Futures an der weltgrößten Terminbörse CME ist 2023 auf 2,57 Bill. Dollar geschnellt, dies bedeutet einen Anstieg von 50% gegenüber dem gleichen Zeitpunkt 2022. Das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen von 5,5 Millionen Kontrakten fällt so hoch aus wie nie.
Neue Volatilitätssprünge bei Treasuries drohen auch die Erholung im Unternehmenssegment abzuwürgen. Der S&P 500 Investment Grade Corporate Bond Index ist seit Jahresbeginn um mehr als 4,2% gestiegen. Axa Investment Managers hält Emittenten mit hoher Bonität zwar für in der Lage, mit höheren Finanzierungskosten umzugehen. Auch zeige sich die US-Wirtschaft widerstandsfähiger als erwartet. Bei einer milden Rezession sei aber durchaus mit einer Spread-Ausweitung gegenüber Staatsanleihen zu rechnen, insbesondere mit Blick auf zyklische Sektoren sei Vorsicht geboten.
Dies gilt umso mehr im Hochzinsmarkt. Der Broker Charles Schwab verweist auf die unterdurchschnittlich hohen Risikoaufschläge von Ramschanleihen gegenüber Treasuries. Der optionsbereinigte Spread des ICE BofA High Yield Index gegenüber einer US-Staatsanleihekurve hat sich trotz der Renditerückgänge bei T-Notes auf 3,8% eingeengt, vor einem Jahr lag er noch bei 4,6%.
Neben dem eingetrübten konjunkturellen Umfeld bieten laut Schwab auch striktere Kreditvergabestandards der US-Banken Anlass zur Sorge. Die Liquiditätssituation im amerikanischen Finanzsektor ist infolge der restriktiven Geldpolitik angespannt, die Umsetzung des globalen Bankenpakets Basel III und die damit einhergehende Verschärfung der Kapitalvorgaben in den Vereinigten Staaten dürfte laut Branchenvertretern zusätzlichen Druck auslösen.
Trügerische Sicherheit
Auch laut dem Assetmanager American Century reflektieren die High-Yield-Spreads weder die konjunkturellen noch die geldpolitischen Herausforderungen. Niedrige Default-Raten wögen die Investoren in Sicherheit. Die Ausfallquoten kämen aber vor allem deshalb zustande, weil viele ehemalige Investment-Grade-Emittenten noch im Hochzinsbereich festklebten. Stiegen sie in den kommenden Monaten wie zu erwarten auf, verliere das Segment seine stabilsten Emittenten.
Auch das niedrige Angebot stützt die Performance am US-Unternehmensanleihemarkt allgemein. Die Emissionsvolumina sind im Oktober laut SIFMA auf rund 88 Mrd. Dollar gefallen – ein leichter Rückgang zum Vorjahr, aber ein steiler Abfall gegenüber September. Dadurch entsteht laut Analysten eine trügerische Ruhe. Insbesondere im Hochzinssegment dürfte es mit dieser aber im kommenden Jahr vorbei sein. Nachdem sich zahlreiche Ramschemittenten in Zeiten einer lockeren Geldpolitik mit günstigen Krediten versorgten, rollt ab Ende 2024 eine Refinanzierungswelle auf den Markt zu.