GASTBEITRAG

Value Investing in Zeiten des Wandels

Börsen-Zeitung, 15.8.2019 Albert Einstein wird oft mit der Aussage zitiert: "Mach die Dinge so einfach wie möglich - aber nicht einfacher." Der modernen Finanzwirtschaft gelingt es häufig nicht, dieses Gleichgewicht herzustellen. Sachverhalte werden...

Value Investing in Zeiten des Wandels

Albert Einstein wird oft mit der Aussage zitiert: “Mach die Dinge so einfach wie möglich – aber nicht einfacher.” Der modernen Finanzwirtschaft gelingt es häufig nicht, dieses Gleichgewicht herzustellen. Sachverhalte werden entweder unnötig kompliziert oder übermäßig vereinfacht dargestellt. Dies gilt auch beim Value Investing. Weil “Value” schwer zu definieren ist, hat die moderne Finanzwirtschaft dafür stets den einfachsten verfügbaren Stellvertreterwert herangezogen: das aktuelle Bewertungsniveau oder den Buchwert. Je niedriger die Bewertungskennziffern, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert den bezahlten Preis übersteigt. Dieser einfachen Logik kann man kaum widerstehen. Zu stark vereinfachtDoch nicht alle Erträge werden auf die gleiche Weise generiert. Eine qualitative Einschätzung von Zahlen ist oft wichtiger als die tatsächlichen Zahlen selbst. Value Investing ist daher bislang zu stark vereinfacht dargestellt worden. Anstatt sich beim Wert auf aktuelle oder kurzfristige Erträge zu verlassen, bevorzugen wir einen dauerhaften, zuverlässigeren und weniger volatilen Wertbegriff – den inneren Wert.Der innere Wert lässt sich aber nicht ohne weiteres anhand von Kennzahlen, wie die aktuellen Erträge oder Cash-flows zum Nominalwert messen. Vielmehr sollten Investoren ein umfassendes Verständnis dafür entwickeln, wie diese Cash-flows generiert werden. Die Bewertung der meisten börsennotierten Unternehmen wird letztlich durch die Cash-flows der künftigen Jahre bestimmt. Von entscheidender Bedeutung ist daher die langfristige Tragfähigkeit der Kapitalrendite als treibende Kraft für diese Mittelflüsse. Zwei Faktoren sind langfristig für die Nachhaltigkeit der Erträge verantwortlich: die Art des Unternehmens und der Führungsstil des Managements. Wir glauben, dass Differenzierungsmerkmale und nachhaltige Wettbewerbsvorteile die Grundlage für einen langfristig starken Cash-flow bilden. Ziel eines Value-Investors sollte es sein, facettenreiche Unternehmen zu identifizieren, die etwas Einzigartiges bieten. Diese Einzigartigkeit bildet fast immer die Grundlage für den entscheidenden Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens und erschwert es den Wettbewerbern, allein über den Preis zu konkurrieren. Auch wenn es offensichtlich erscheint: Derart wesentliche Unternehmenseigenschaften werden vom Markt oft übersehen, was Chancen eröffnet.Zudem fokussieren wir uns auf Unternehmen mit Preismacht. Dieses Merkmal finden wir beispielsweise bei Produkten oder Dienstleistungen, die für die Endkunden der Unternehmen nur geringe Kosten verursachen, für sie aber erfolgskritisch sind. Insgesamt unterliegen diese Arten von Produkten und Dienstleistungen einem geringeren Preisdruck seitens der Kunden und bieten daher tendenziell langfristig eine überdurchschnittliche Preismacht.Enorm wichtig sind auch Führungsteams, deren Handeln darauf ausgerichtet ist, ihre wichtigsten Wettbewerbsvorteile zu erhalten oder idealerweise auszubauen. Dieser Ansatz fußt im Allgemeinen auf aktuellen und historisch hohen Investitionen in denjenigen Kernbereichen, die eine solche Differenzierung ermöglichen. Die Unterscheidungsmerkmale können sich je nach Art der Geschäftstätigkeit auf Vertrieb und Marketing, Forschung und Entwicklung oder auf den Investitionsaufwand beziehen. Unternehmen erzeugen langfristig dann Wert, wenn sie ihre wichtigsten Erfolgsfaktoren erhalten und in diese investieren.Zulasten von bilanziellen Bewertungskennzahlen wie etwa dem Ertrag oder Buchwert konzentrieren wir uns aktiv auf den Cash-flow. Denn letztlich werden durch die Mittelflüsse – nicht die buchmäßigen Gewinne – die Rechnungen und zukünftigen Dividenden gezahlt. Der buchmäßige Gewinn liefert oft ein sehr verzerrtes Bild der wahren Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. Darüber hinaus können Cash-flows von der Leitung eines Unternehmens nicht so leicht manipuliert werden. Wir stellen oft fest, dass sich Führungskräfte von Ertragskennzahlen leiten lassen und sich daher stark an diesen orientieren. Eine übermäßige Fokussierung auf ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) oder hohe Dividendenrenditen als wesentliche Bewertungskriterien kann aus zweierlei Gründen gefährlich sein. Erstens: Die Nachhaltigkeit der Renditen wird ignoriert. Je höher und nachhaltiger die Renditen sind, desto höher ist das KGV oder das KBV, mit dem ein Unternehmen gehandelt werden sollte. Die Rendite bestimmt die Fähigkeit eines Unternehmens zur Reinvestition und damit eben die langfristige Generierung von Cash-flows und potenziellen Dividenden. Verschuldung mit erfassenZweitens: Die Risiken werden ignoriert. Da diese Bewertungsmaßstäbe den Verschuldungsgrad in der Bilanz fundamental vernachlässigen – insbesondere im Hinblick auf Verschuldung, Pensionsrückstellungen oder Leasinggeschäfte -, werden auch die inhärente, zugrunde liegende Volatilität und die Risiken für die Erträge, den Buchwert und die Dividenden nicht erfasst. Dies ist gerade aktuell besonders besorgniserregend, da der technologische Wandel und die Veränderungen der Geschäftsmodelle in einem beispiellosen Tempo voranschreiten – in einem Umfeld, in dem die systemweite Verschuldung in den Bilanzsummen weltweit auf einem Rekordniveau liegt.Die Konzentration auf den inneren Wert bedeutet eine unablässige Risikobereitschaft. Unter Risiko verstehen wir die dauerhafte Zerstörung von Kapital. Die wichtigsten Faktoren, die dies verursachen können beziehungsweise die vier offensichtlichen Risikobereiche: potenziell wegfallende Zwischenstufen (Disintermediation), exogene Risiken, makroökonomische Blasen und endogene Risiken. Technologischer FortschrittBesonders vorsichtig sollte man bei Unternehmen sein, die von Disintermediation bedroht sind. Denn viele der Merkmale, nach denen wir Ausschau halten und die wir als positiv erachten, können plötzlich ihren Wert verlieren. Der technologische Fortschritt schreitet so schnell voran wie noch nie, beeinflusst und verändert die Art und Weise, wie Unternehmen in vielen Wirtschaftszweigen geführt werden, und verändert das Verhalten der Verbraucher.Unternehmen sollten auch gemieden werden, deren Cash-flow-Profile sich relativ schnell ändern können aufgrund von Faktoren, die außerhalb der Kontrolle eines Unternehmens liegen. Besonders gefährdet sind Unternehmen, die in instabilen politischen Regionen, in Ländern mit schwacher Rechtsprechung oder in regulierten Sektoren tätig sind, oder Unternehmen, die vom Preisniveau global gehandelter und fungibler Rohstoffe abhängen.Auch wenn Prognosen makroökonomischer Variablen nicht versucht werden sollten, ist es angezeigt, das Engagement in solchen Gebieten der Welt aktiv zu minimieren, in denen es starke Anzeichen für makroökonomische Blasen gibt.Unternehmen erzeugen oft auch ihre ganz eigenen Risiken, etwa wenn sie auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Eine solche Ausrichtung gefährdet die langfristigen Wettbewerbsvorteile und die nachhaltigen Cash-flows. Während die heutigen Finanzmärkte stark von der Fokussierung auf kurzfristige Kursentwicklungen beeinflusst werden, sind die damit verbundenen Abwärtsrisiken zu meiden. Kritisch sind auch Unternehmen zu beurteilen, die ihre Produkte und Dienstleistungen im Verhältnis zu deren Endwert aggressiv bepreisen. Sie tun dies in der Regel, um ihren kurzfristigen Umsatz und Ertrag zu steigern. Damit öffnen sie einer künftigen Beeinträchtigung ihres Geschäfts durch den Wettbewerb jedoch Tür und Tor. Leverage meidenAuch ist aktiv Leverage zu meiden. Obwohl beim operativen Leverage manchmal Kompromisse eingegangen werden müssen, ist die Toleranzgrenze gegenüber der Finanzverschuldung deutlich niedriger. Finanzverbindlichkeiten sind eine direkte Bedrohung sowohl für die Fähigkeit eines Unternehmens zu nachhaltigen Investitionen als auch für den endgültigen Wert seines Eigenkapitals.Wertorientierte Anleger glauben nicht an eine nachhaltige Werterzielung, die sich ausschließlich auf niedrige Bewertungsmultiplikatoren konzentriert. Zur Erzielung echter langfristiger Wertsteigerungen bedarf es der Ermittlung des inneren Wertes von Unternehmen, besonders in der aktuellen Zeit, wo sich Wirtschaftsbereiche und damit auch die Cash-flows der Unternehmen extrem schnell verändern können. Pablo de la Mata, Aktienportfoliomanager bei MFS Investment Management