Devisenmarkt

„Viel mehr Leverage im System“

Steigende Renditen in den USA werden zu einer weiteren Aufwertung des Dollar führen. So die Einschätzung von Kit Juckes, Chefwährungsstratege von der Societe Generale.

„Viel mehr Leverage im System“

Wolf Brandes

Herr Juckes, Ihre Prognose lautet, dass der Dollar auf mittlere Sicht steigen wird. Warum?

Ich bin ganz sicher, dass Amerika die Niedrigzinswelt wieder verlassen wird. Andere Regionen wie Japan oder Europa sind jedoch gefangen in einer Nullzinsfalle. Daher wird es auf Dauer zu einer Stärkung des Dollar kommen. Es kann aber noch dauern, bis die USA diesem Zinsdilemma entkommen. Den Dollar-Bären, die weiter auf eine weiter lockere Fed-Politik setzen, läuft aber die Zeit davon.

Es geht also um die Differenz zwischen Renditen?

Sicherlich, aber ein starker Dollar und höhere Zinsen allein lösen nicht die Aufgaben der Politik. Offen ist, was passiert, wenn die USA das Niedrigzinsumfeld hinter sich gelassen haben. Klar ist aber, dass die US-Renditen auf 2% steigen können, während die Bundrendite bei 0% bleibt.

Ihre Vorhersage lautet, dass der Euro eher auf 1,10 Dollar sinkt, als auf 1,30 Dollar zu steigen. Warum?

Die Dollar-Stärke wurde durch die Überprüfung der Politik der Fed im Juni ausgelöst, bei der die Mitglieder des Offenmarktausschusses den Zeitpunkt für den ersten Zinsschritt vorverlegt haben. Das trug zu einem Anstieg der US-Renditen und des Dollar bei. Die Höchststände des Euro dürften bei 1,25 Dollar erreicht sein. Auf der Fed-Sitzung im Juni verlagerte sich der Marktfokus von der Drosselung der Anleihekäufe auf die Frage, wann sie die Zinsen anheben wird. Wir denken, dass die Fed vorerst die Devisenvolatilität erhöht, als dass sie den Dollarzyklus bereits umgedreht hat.

Wir erklären Sie die aktuellen Schwankungen?

Es ist verrückt, welche extreme Aufmerksamkeit der Markt auf Äußerungen der US-Notenbank legt. Denn bis zu einer Erhöhung der Zinsen wird es noch eine ganze Weile dauern. Diese Marktreaktion ist ungewöhnlich.

Sehr stark reagieren die Märkte auf Risk-on und Risk-off. Warum ist das so?

Darüber bin ich enttäuscht und ich wünschte mir, dass die Märkte weniger abhängig wären vom Risk-on und Risk-off. Der Handel fällt von Euphorie schnell in Depression. Das ist nicht gerechtfertigt und eigentlich sollte sich der Dollar in einer mittleren Bahn befinden ohne übertriebene Stimmung nach oben oder unten.

Ist dieser Risikomodus erst seit der Pandemie so ausgeprägt?

Nein, wir sehen das Phänomen schon seit der Finanzkrise. Es ist in den letzten Jahren viel mehr Leverage in das Finanzsystem gekommen, und das führt dazu, dass die Schwankungen stärker werden, Stimmungen sowie Risikoneigungen eine höhere Beachtung finden.

Wie sieht es aus mit dem chinesischen Yuan?

Der Yuan ist eine der drei wichtigsten Währungen und er wird in einigen Jahren die wichtigste Währung der Welt werden. Daher ist die Bedeutung, insbesondere auf den Handel enorm. Wenn China die Währung aufwertet, dann steigt tendenziell auch der Euro zum Dollar und damit verschieben sich die handelsgewichteten Relationen. Insofern gibt es eine Grenze für den Yuan. Von Seiten der chinesischen Politik sehen wir eine starke Neigung, auf eine stabile Währung zu achten.

Wie sieht es aus mit den Schwellenländerwährungen?

Man kann die Emerging Markets nicht mehr über einen Kamm scheren. Alle sind von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Früher hieß es, man sei optimistisch für alle Schwellenländerwährungen. Heute hängt es beispielsweise davon ab, wie stark die Impfungen vorangeschritten sind, wie die wirtschaftliche Umwälzung läuft und wie es in der Politik aussieht. Dass ein starker oder ein schwacher Dollar allein die Relationen zu allen Schwellenländerwährungen ändert, das war einmal. Wie in den Industrieländern kommt es besonders darauf an, welche Auswirkungen die Coronakrise auf die einzelnen Schwellenländer hat. Denn die Renditen in den Schwellenländern sind inzwischen nicht mehr viel höher als die Renditen in den Industrieländern.

Wie hat sich der Devisenmarkt seit dem Ausbruch der Coronakrise entwickelt?

Die bestimmenden Faktoren des Marktes und die Art, wie die Politik auf die Krise reagiert hat, haben sich nicht verändert. Am FX-Markt stellt sich aber immer die Frage, warum er so kurzatmig ist. Doch das war auch schon vor der Coronakrise so. Entscheidend für den Dollar war die Reaktion der US-Notenbank, die im März 2020 extrem aggressiv vorgegangen ist. Diese Intervention hat die Reaktionen in der Asienkrise und in der Finanzkrise bei weitem übertroffen. Am Markt haben wir dann einfach einen Reflex auf diese massiv expansive Politik gesehen.

In den anderen Finanzmärkten waren die Folgen der Krise groß mit zum Teil Problemen bei der Liquidität. Hatten Sie Sorgen hinsichtlich der Währungen?

Da war die US-Notenbank sehr konsequent und hat stets dafür gesorgt, dass es keine Liquiditätsprobleme gibt. Die Fed hat mögliche Risiken und Gefahren für den FX-Markt sofort unterdrückt und war damit sehr erfolgreich. Nein, Liquiditätsprobleme gab es nie.

Wichtiges Thema am Markt sind die Defizite der Staaten. Was hat das für einen Einfluss auf den Devisenmarkt?

Einen sehr großen. Es war der einzige Weg, diese Krise zu überstehen, die Schleusen der Geldpolitik weit zu öffnen. Die Frage ist nun, was kommt nach der Pandemie und wie geht es mit den fiskalischen Defiziten weiter. Zweifel sind berechtigt, dass die öffentlichen Finanzen nach der Pandemie noch nachhaltig sein werden. Inzwischen ist die Meinungsführerschaft über die Fiskalpolitik von den Zentralbanken übernommen worden. Früher gab es das nicht, doch heute ist zum Beispiel Christine Lagarde diejenige, die auch bei der Euro-Fiskalpolitik den Ton angibt.

Das Interview führte .