Viel Potenzial, doch wenig Hoffnung

Russischer Aktienmarkt stagniert nach starkem Jahresstart - Reformunwilligkeit und Sanktionen belasten

Viel Potenzial, doch wenig Hoffnung

Russlands Aktienmarkt ist sensationell ins Jahr 2018 gestartet. Nun aber ist er erlahmt. Daran dürfte sich längere Zeit nichts ändern. Nicht nur die westlichen Sanktionen belasten. Auch das Wachstum bleibt bescheiden, weil Putin Reformen scheut.Von Eduard Steiner, MoskauEs nahm sich fast wie ein Geschenk zur Präsidentenwahl kommenden Sonntag aus, als die Ratingagentur Standard & Poor’s Ende Februar die Bonität russischer Staatsanleihen von “BB+” auf “BBB-” hochstufte und dem Land nun zum ersten Mal seit drei Jahren wieder eine mittlere Investmentqualität zugesteht. Auch Fitch bleibt bei diesem Rating, Moody’s hingegen bei einer Bonitätsnote im spekulativen Bereich.Als Geschenk zur Wiederwahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten nimmt sich die Hochstufung durch “S&P” insofern aus, als sie ihm bestätigt, eine Adaptierung an die niedrigen Ölpreise und an die Sanktionen geschafft zu haben. In der Tat hat Russlands Wirtschaft die zweijährige Rezession hinter sich gelassen und befindet sich seit dem Vorjahr auf dem Weg der Erholung. Mit 1,5 % Wirtschaftswachstum 2017 fiel diese allerdings ziemlich bescheiden aus und wird auch 2018 unwesentlich höher liegen. Immerhin hat die Zentralbank die Inflation auf einen historischen Tiefststand von 2,2 % gedrückt und infolgedessen auch den Schlüsselzinssatz auf mittlerweile 7,5 % gesenkt. Die Aktivität bei Privat- und Firmenkrediten hat entsprechend zugenommen. Der Rubel bewegt sich seit eineinhalb Jahren stabil in der Schwankungsbreite von 55 bis 60 Rubel zum Dollar.Dennoch: Der Weg, der als Erfolg verkauft wird, ist mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Zwar droht von der wichtigen Ölpreisnotierung keine akute Gefahr. Weniger klar ist hingegen die Situation mit den US-Sanktionen. Zwar ist auch hier die Ende Januar publizierte neue Liste harmloser ausgefallen als befürchtet, und die USA haben ihren Bürgern den Kauf russischer Staatsanleihen nicht verboten, aber ständig werden neue Sanktionen angedroht – nun auch aus London.Die größte Unbekannte ist freilich, ob Putin in seiner nächsten Amtszeit den überfälligen Reformweg einschlägt. Die Ratingagentur S&P ist skeptisch, was eine Verbesserung der staatlichen Institutionen, darunter des Justizsystems, betrifft. Auch was die Reduzierung des staatlichen Anteils in der Wirtschaft anbelangt, sei kein Durchbruch zu erwarten, meint S&P: Dazu komme das demografische Problem der Überalterung und des niedrigen Renteneintrittsalters. Einen ähnlichen Befund lieferte in der Vorwoche die OECD, die in einem Bericht Russland für die kommenden zwölf Jahre nur 0,7 % Zuwachs beim BIP pro Kopf zugesteht, weil die Produktivität niedrig und in den vergangenen Jahren überhaupt nicht gewachsen sei. Micex erreicht RekordhochVor diesem Hintergrund hat der russische Aktienmarkt zu Jahresbeginn eine sensationelle Performance gezeigt. Im Januar legte der in US-Dollar denominierte Leitindex RTS um 11 % auf 1 280 Punkte zu – ein Niveau, auf dem er wohlgemerkt auch heute noch steht. Von seinem im Jahr 2008 erzielten Allzeithoch bleibt er weiter meilenweit entfernt. Demgegenüber hat der in Rubel denominierte Leitindex Micex im Februar aufgrund des schwachen Rubels ein Allzeithoch markiert. Investoren bleiben aber skeptisch, weil das Wirtschaftswachstum und damit das Umsatzwachstum der Unternehmen beschränkt sind und weil Putin die meisten Probleme zwar richtig benennt, aber nicht beseitigt. “Ungeachtet des optimistischen Jahresbeginns erwarten wir für 2018 ein rückläufiges Interesse ausländischer Investoren gegenüber russischen Aktien”, schreibt Natalja Schikowa, Investitionsstrategin bei der Binbank, in einer Analyse. Und Wjatscheslaw Smoljaninow, Stellvertretender Chefanalyst des Investmenthauses BCS, zitiert im Gespräch mit der Börsen-Zeitung die wiederholte Frage seiner Kunden: “Warum sollten wir in Russland investieren, wo doch selbst die zentraleuropäischen Volkswirtschaften deutlich schneller wachsen?”Ein Argument für Russland ist die niedrige Bewertung des Marktes. Ein zweites ist die hohe Dividendenrendite. Eben erst hat die Allianz Group Investor in einer Analyse zum globalen Dividendenregen für 2017 herausgefiltert, dass Russland mit einer durchschnittlichen Dividendenrendite von 4,83 % weltweit auf Platz 2 hinter Neuseeland (5,11 %) liegt. Börsenliebling SberbankUnmittelbarstes und stärkstes Symbol für die Erholung der russischen Wirtschaft ist und bleibt die staatliche Sberbank, die 2017 einen Rekordgewinn von umgerechnet 10,83 Mrd. Euro eingefahren und sich zum Börsenliebling gemausert hat. Sie profitiert von der Konsolidierung der Branche. Das Traditionsinstitut erntet außerdem die Früchte einer radikalen Modernisierung über zehn Jahre. Laut BCS bleiben die Sberbank und überhaupt der gesamte Sektor attraktiv. Dazu zähle inzwischen auch die zweitgrößte Bank VTB, die immer hinter der Sberbank nachhinkte aber nun deutlich Aufholpotenzial berge. Schließlich die private Bankengruppe TCS, das landesweit ziemlich innovativste Geldinstitut, das am Dienstag einen Gewinnsprung von 73 % für 2017 vermeldete. Boom bei KreditenVom Kreditboom wiederum profitieren auch die Immobilienkonzerne wie Etalon oder LSR, betont Smoljaninow. Allein im Januar 2018 wurden um 86 % mehr Hypothekarkredite vergeben als ein Jahr zuvor.Als dritten Sektor hebt BCS den Internetsektor hervor – allen voran die russische Internetsuchmaschine Yandex, die im Inland mehr Marktanteile hat als Google. Den Vorjahresgewinn hat Yandex um 28 % auf 8,7 Mrd. Rubel (123 Mill. Euro) gesteigert. Vor allem im vierten Quartal hat das Unternehmen kräftig aufgezeigt und die Ebitda-Marge auf 33,4 % erhöht. Soeben wurde die Fusion mit Uber in Russland abgeschlossen.An Einzeltiteln bemerkenswert bleibt der russlandweit zweitgrößte und private Gaskonzern Novatek, der sich auf die Produktion von Flüssiggas (LNG) spezialisiert und im Dezember den Export gestartet hat. Eine zweite Produktionslinie geht im September in Betrieb, die staatlich geförderten Ausbaupläne sind groß.Die hat eigentlich auch der Branchenprimus Gazprom, dessen Aktie sich seit Monaten erholt. Aber die neue Eskalation im Gaskonflikt mit der Ukraine und die Fragezeichen über dem Ausbau der Ostseepipeline Nord Stream 2 belasten das Unternehmen.Apropos Öl: Russlands größter Ölkonzern Rosneft wird von den Sanktionen gedrückt, andernfalls wäre die Marktkapitalisierung doppelt so hoch. Meinte zumindest Konzernchef Igor Setschin Ende Januar gegenüber der FAZ. Was der mächtige Setschin nicht sagte: Er selbst hat über Jahre mit zweifelhaften Gerichtsprozessen und Übernahmen das Investitionsklima mitvergiftet. Die Aktie ist auch deshalb günstig.