Volatilität liefert wertvolle Signale
Der Kurseinbruch im vierten Quartal 2018 hat viele Investoren kalt erwischt. Dabei ist die Volatilität deutlich angestiegen, und viele Analysten und Strategen erwarten eine anhaltend hohe Schwankungsbreite an den Märkten. Untersuchungen zeigen, dass mehr Informationsgehalt die Volatilität senken hilft.Von Dietegen Müller, FrankfurtDer abrupte Kurseinbruch an den Märkten im vierten Quartal 2018 hat auch die Volatilität hochgetrieben. Der an der US-Optionsbörse CBOE gehandelte Volatilitätskontrakt Vix, der die erwartete Schwankungsbreite des S&P 500 über die kommenden 30 Tage spiegelt, stieg auf über 35 Punkte an, in Deutschland notierte der VDax New auf über 25 Zählern. Dabei war die Volatilität in Zeiten der Politik der quantitativen Lockerung der Notenbanken lange Zeit sehr niedrig.Doch was sagt dies aus über den Zustand des Marktes und über das Verhalten der Investoren? Ist die Schwankungsbreite eines Wertpapiers ein Indikator für sein Risiko? Allein die Tatsache, dass der Preis des Wertpapiers innerhalb einer gewissen Zeitspanne stark schwankt, muss noch kein Hinweis darauf sein, dass es beispielsweise eine Über- oder Unterbewertung gibt.Diese Erkenntnis ist aus Anlegersicht unbefriedigend. Gern möchte der informierte Anleger aus einer höheren Volatilität eine Anlageempfehlung ableiten und handeln. Soll man kaufen oder verkaufen, wenn die Volatilität steigt? Zudem ist durch den in den vergangenen Jahren stetig gestiegenen Anteil institutioneller Investoren und passiver Produkte wie börsengehandelten Fonds (ETFs) auch aus Finanzstabilitätsgründen relevant, wie gut informiert die Investoren sind. In der wissenschaftlichen Forschung wird schon länger untersucht, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen der Güte des Preissignals (des Aktienkurses) und der Schwankungsbreite dieser Aktie gibt. Implizit ist darin auch die Frage enthalten, ob die Volatilität einen Hinweis darauf gibt, wie realitätsnah der Markt gerade die Fundamentaldaten in den Kurs des Wertpapiers einpreist.Idealerweise ließe sich auch die Frage nach Ursache und Wirkung klären: Sind hohe Schwankungen Ausdruck einer fehlenden Informiertheit, also Unsicherheit, was die Fundamentalentwicklung anbelangt, oder hat im Gegenteil die Fundamentalentwicklung eine andere Richtung eingeschlagen, was sich vielleicht in überraschten Investoren, einem veränderten Anlageverhalten und damit in einer höheren Volatilität spiegelt? US-Titel unter der LupeEine aktuelle Arbeit der Finanzwissenschaftler Eduardo Dávila (Stern School of Business) und Cecilia Parlatore (Stern School of Business) versucht unter dem Titel “Volatility and Informativeness” der Frage nachzugehen, ob Volatilität in Zusammenhang mit der Informiertheit eines Wertpapierkurses steht. Die beiden Wissenschaftler untersuchen die Bedingungen, in denen Preisschwankungen als Spiegelung der Informiertheit interpretiert werden können oder nicht. Sie stützen sich dabei auf Daten zu US-Aktien aus den Jahren 1963 bis 2017.In dem komplexen, mit zahllosen Formeln gespickten Papier, das über das National Bureau of Economic Research erhältlich ist, stellen die Autoren fest, dass die Aussagekraft des Aktienkurses für den fundamentalen Wert des Unternehmens steigt, wenn mehr Investoren bereit sind, anhand ihrer gut informierten Erwartungen in eine Aktie zu investieren. Dabei wird auf eine Gleichgewichtsbeziehung zwischen dem Informationsgehalt des Aktienkurses und der Schwankungsbreite des Aktienkurses geachtet.Die beiden Wissenschaftler nehmen dabei an, dass es zwei Kanäle gibt, über die diese Beziehung gespielt wird. Entweder über eine “Lärmreduktion”, in dem Sinne, dass bei einem niedrigen Informationsgehalt im Kurs die Volatilität eher hoch ist, bei einem hohen Informationsgehalt des Kurses die Volatilität eher geringer. Faktoren, die einem aussagekräftigen, informativen Preissignal entgegenstehen könnten, werden hier als Lärm bezeichnet, wie eine begrenzte Zahl an Investoren, abweichende Ansichten über die Fundamentalentwicklung oder Absicherungsgeschäfte.Der andere Kanal wird als “Lernfähigkeitsgleichgewicht” bezeichnet. Wenn sich der Preis verändert, können Anleger zu einer Verhaltensänderung kommen, wenn sich der Informationsgehalt des Kurses verändert – dementsprechend bleibt das Gleichgewicht zwischen Informationsgehalt des Kurses und der Volatilität erhalten. Es kann aber sein, dass die Investoren nicht auf Preisänderungen reagieren und sich deshalb eine Veränderung des Informationsgehalts nicht auf ihr Verhalten auswirkt. Deswegen muss auch berücksichtigt werden, welche Informationen die Investoren privat bei ihrer Anlageentscheidung haben: Wenn sie ein hohes Vertrauen in ihre “private” Information haben, dürfte der Kurs bei veränderten Informationen weniger stark reagieren, da die Investoren ihr Verhalten nicht anpassen. Alles nicht so klarRund 60 % der untersuchten US-Aktien weisen nun nach dieser Studie einen negativen Zusammenhang zwischen Informationsgrad und Volatilität aus, das heißt, wenn die Volatilität sinkt, nimmt der Informationsgehalt des Kurses zu und umgekehrt. Bei 40 % der Aktien sei es jedoch nicht eindeutig zu ermitteln, ob ein positiver oder negativer Zusammenhang bestehe. Die große Menge an idiosynkratischer Volatilität – die nicht mit Fundamentaldaten wie der Veränderung des Gewinns je Aktie verbunden ist – lässt die Autoren aber auch annehmen, dass der Informationsgehalt des Preises für die meisten Aktien niedrig ist, dass es also für die meisten Aktien eine negative gleichgerichtete Bewegung zwischen Volatilität und Informationskraft gibt.Eine andere Studie aus 2018 von Marcin Kacperczyk und Savitar Sundaresan (Imperial Collage) und Jaromir Nosal (Boston College) zeigt, dass der Informationsgehalt des Kurses durch die steigende Zahl passiver Anlagen verringert wird. Unter dem Titel “Market Power and Price Informativeness” untersuchen die Autoren, inwieweit das Verhalten von Investoren einen Einfluss auf die Aussagekraft von Aktienkursen hat. Sie meinen, dass mit zunehmender Größe der Investoren die Güte des Preissignals leidet. Anfangs ermögliche das Wachstum eines Investors zwar, sich zu diversifizieren und breiter zu lernen – die Rede ist von “endogenem” Lernen – und damit die Informationskraft von Kursen zu erhöhen. ETFs senken Preissignalgüte Doch ab einer gewissen Größe des Investors kippt dieser Effekt. Denn diese Investoren hielten oft größere Positionen, so dass größere Käufe oder Verkäufe oft einen Preiseffekt haben könnten, was diese Investoren aber vermeiden wollen, um keine Informationen preiszugeben. Diese “optimale” Größe von Anteilstrukturen sei ein interessanter Fall für die Aufsichtsbehörden.Die Autoren kommen auch zum Schluss, dass durch passive Anleger die Aussagekraft der Kurse reduziert wird. Weil aktive Investoren an Gewicht im Markt verlieren, würden sich diese wieder stärker spezialisieren und eine Präferenz für das Studium von hochvolatilen gegenüber niedrigvolatilen Vermögenswerten entwickeln. Dies führe dazu, dass einige Aktienkurse wieder mehr Informationsgehalt hätten.Wenn es einen Zusammenhang zwischen Volatilität und Fundamentalwert gibt, liegt intuitiv nahe, dass Aktien mit einer niedrigeren Volatilität über einen längeren Zeitraum eine höhere Rendite erbringen. Dieser Effekt ist nachweisbar: Es handelt es sich in der Regel um substanzstarke Unternehmen mit einem moderaten und gut prognostizierbaren Wachstum. Ein Vertreter dieses Ansatzes ist etwa der Fondsmanager Pim van Vliet (High Returns from Low Risk). Diese Erkenntnis steht jedoch im Widerspruch zum Kapitalmarktmodell, das eigentlich besagt, dass höhere Volatilität am Markt mit einer höheren Rendite und niedrigere Volatilität mit einer niedrigeren Rendite belohnt wird.