Volkswirte attestieren Anlegern Rationalität

Volatilität und Markterholung folgerichtig

Volkswirte attestieren Anlegern Rationalität

fed Frankfurt – Führende deutsche Ökonomen bewerten die Marktentwicklungen seit Ausbruch der Coronakrise als Ausdruck durchaus rationalen Anlegerverhaltens. Die Tatsache, dass die deutschen Aktienmärkte seit Mitte März nach oben liefen, obwohl auch hierzulande in diesem Jahr mit einer schweren Rezession gerechnet werde, sei nicht zwangsläufig ein Widerspruch. Vielmehr passe die Kursentwicklung “zum Bild von der Konjunktur, das wir haben”, sagte der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Prof. Michael Hüther, anlässlich einer digitalen Debatte über die Rationalität von Märkten im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Menschen, Märkte, Möglichkeiten” der Deutschen Börse Cash Market. Hüther verwies einerseits auf Umfragen, denen zufolge Deutschlands Unternehmen davon ausgehen, dass sie Ende 2021 das Schlimmste hinter sich haben dürften – insofern also mit einer zeitlich überschaubaren Rezession rechnen, mit der sie umgehen können. Andererseits erinnerte er daran, dass Geld- und Fiskalpolitik bereits im März die Bereitschaft signalisiert hätten, sehr viel Liquidität zur Verfügung zu stellen. Insofern sei es nachvollziehbar, dass die Kurstrends an den Märkten im März gedreht hätten. Schnell und effizientGertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba, attestiert den Marktteilnehmern ebenfalls ein hohes Maß an Rationalität in der Krise. Dass zunächst die Volatilität in die Höhe geschossen sei, bewertet sie angesichts der enormen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten in den ersten Wochen des Lockdown als folgerichtig. Es habe sich gerade in den vergangenen Wochen dokumentiert, dass Märkte schnell und effizient seien – “und uns zeigen, was uns bevorstehen könnte”. Insofern erfüllten Märkte ihre Funktion.Dass der Dax mittlerweile über der Marke von 12 000 Zählern notiere, bedeute allerdings auch, dass “der Markt viel vorweggenommen” habe. Anders ausgedrückt: Jetzt müsse es auch tatsächlich “richtig gut” laufen. Sollten Probleme auftauchen, beispielsweise eine Eskalation in den Brexit-Verhandlungen, könne es entsprechend schnell zu Irritationen und Reaktionen an den Kapitalmärkten kommen.Die Helaba-Chefvolkswirtin bedauerte, dass “die Freude an Märkten in Deutschland eher verhalten sei”, obwohl sie hierzulande relativ störungsfrei funktionierten. Hüther ergänzte in gleichem Zusammenhang, dass sich die hiesigen Unternehmen eher konservativ finanzierten. Defizite in der Finanzierungskultur werden seiner Ansicht nach unter anderem in der Wachstumsphase von Unternehmen offensichtlich. Für Start-ups gebe es zwar für gewöhnlich ausreichend Finanzierungsangebote, aber es mangele oft in der Phase der Skalierung der Geschäftsmodelle an verfügbarem Wagniskapital. Keine FinanzierungsproblemeGanz grundsätzlich erwartet er für die kommenden Monate keine außergewöhnlichen Finanzierungsprobleme für deutsche Unternehmen. Schließlich hätten die Firmen die vergangenen zehn Jahre genutzt, um – im Schnitt – Kredite abzubauen und Eigenmittel zu stärken. Sollten Unternehmen auf die Märkte zurückgreifen wollen, um die Schulden zu bedienen, die sie im Zuge der Coronakrise zusätzlich aufgenommen haben, gebe es derzeit wenig Grund zur Sorge: “Die Bereitstellung funktioniert.” Beim Blick nach vorn hofft Hüther, dass das im Zuge der Krise nach hinten gerückte Projekt der europäischen Kapitalmarktunion wieder von der Politik vorangetrieben wird, um Märkte effizienter zu machen und Investoren zusätzliche Möglichkeiten zu eröffnen.