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Völlig losgelöst

Viele Börsianer werden das noch kennen: "Völlig losgelöst von der Erde", ließ der deutsche Popsänger Peter Schilling, einer der bekanntesten Künstler der Neuen Deutschen Welle, 1983 einen Astronauten singen. Marktteilnehmer diesseits und jenseits...

Völlig losgelöst

Viele Börsianer werden das noch kennen: “Völlig losgelöst von der Erde”, ließ der deutsche Popsänger Peter Schilling, einer der bekanntesten Künstler der Neuen Deutschen Welle, 1983 einen Astronauten singen. Marktteilnehmer diesseits und jenseits des Atlantiks (eine englische Version gab es auch) können derzeit lauthals in den Refrain einstimmen. Der Höhenflug der Aktienmärkte zeigt nämlich, dass diese ebenfalls völlig losgelöst sind – nicht von der Erde, aber doch von der Entwicklung der Realwirtschaft in fast allen Regionen der Welt.Zwar hellen sich die konjunkturellen Frühindikatoren rund um den Globus auf. Dieser Effekt darf aber nicht überschätzt werden. Für die Eurozone erwartet beispielsweise die Europäische Zentralbank (EZB) für das gesamte laufende Jahr lediglich eine Kontraktion um 0,5 %. Die USA kämpfen nach wie vor mit den Auswirkungen der Krise. Zwar ist der am Freitag veröffentlichte Arbeitsmarktbericht für den Februar besser ausgefallen als erwartet – was der Wall Street noch einmal Auftrieb gegeben hat. So ist die Arbeitslosenquote auf den Stand von 2008 zurückgegangen. Allerdings erfasst die Arbeitslosenquote viele Arbeitssuchende nicht mehr. Betrachtet man die US-Arbeitslosenquote in ihrer vor 1994 üblichen, breiteren Definition (in den USA ist dies die sogenannte U5-Arbeitslosenquote), sieht alles sehr viel düsterer aus. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) spricht in ihrem jüngsten Konjunkturüberblick, dem sogenannten “Beige Book”, denn auch von einem lediglich geringfügigen bis moderaten Wirtschaftswachstum. Höchster Stand seit 2008Zur Lage der Realwirtschaft passt es daher eigentlich nicht so recht, dass der Dow Jones seit Jahresanfang fast 10 % zugelegt hat und seit vier Tagen ein Rekordhoch nach dem anderen markiert. Der Dax weist zwar seit Jahresanfang nur ein Plus von 4 % auf. Er hat sich aber in den vergangenen Jahren sehr viel dynamischer gezeigt als der US-Markt (vgl. Grafik) und auch eine besonders starke Jahresschlussrally 2012 absolviert. Aktuell ist er am Freitag mit 8 015 Punkten auf den höchsten Stand seit Anfang 2008 geklettert. Vom Allzeithoch von 8 151 trennen ihn damit weniger als 150 Punkte. Den Vogel hat aber der Nikkei abgeschossen: Er hat 2013 mehr als 18 % zugelegt.Für die Hochstimmung an den Märkten gibt es nur einen wesentlichen Grund: Die Kapitalmärkte – und damit auch die Börsen – hängen momentan in einem ungewöhnlich hohen Ausmaß am Tropf der Notenbanken. Dass dies so ist, lässt sich relativ leicht nachweisen. Es müssten nämlich dort die stärksten Kurszuwächse auftreten, wo die Notenbanken besonders in die Vollen gehen. Genau das ist der Fall: In den USA pumpt die Fed jeden Monat die gigantische Summe von 85 Mrd. Euro in die Märkte. In Europa kann sich die EZB zwar noch zurückhalten. Bislang zumindest hat allein die Ankündigung, sie werde notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen, spekulative Anleger davon abgebracht, die Zinsen von Staatspapieren der Krisenstaaten nach oben zu treiben. In Japan zwingt die neue Regierung die Bank of Japan zu einer noch wesentlich lockereren Geldpolitik, mit der Premier Shinzo Abe die Deflation endgültig überwinden und Japan zu alter ökonomischer Größe verhelfen will.Auf der anderen Seite schwächelt der Aktienmarkt in China, wo Regierung und Notenbank auf die Bremse treten. Zudem lässt sich noch eine weitere aufschlussreiche Beobachtung machen: Sobald in den USA Notenbanker auch nur laut über eine Wende in der Geldpolitik nachdenken, gerät die Rally an der Wall Street ins Stocken – bis Fed-Chairman Ben Bernanke klarstellt, dass vorerst alles beim Alten bleibt.Somit ist zu erwarten, dass sich die Rally an den Aktienmärkten trotz der teilweise bereits recht hohen Bewertungen fortsetzt, solange Zentralbanken den Märkten praktisch unbegrenzt Liquidität verabreichen. Ewig kann den Volkswirtschaften die aktuelle Medizin allerdings nicht zugemutet werden, weil die Nebenwirkungen schwerwiegend sind. Kehrseite der Stabilisierung der Märkte und der Krisenländer sowie der Entschuldung der Staaten durch extrem niedrige Zinsen ist u. a. die schleichende Enteignung der Sparer. Zudem findet eine Umverteilung hin zu spekulativen Akteuren statt – was sich in den üppigen Gewinnen von Investmentbanken zeigt.Es ist somit kein Wunder, dass sich innerhalb der Fed die Stimmen mehren, die sich für eine Kehrtwende in der Geldpolitik im kommenden Jahr starkmachen. Sobald ein solcher Kurswechsel absehbar ist, wird die Rally an den Aktienmärkten vorüber sein.