DEVISENWOCHE

Vom fairen Wert einer Währung

Von Stefanie Holtze-Jen *) Börsen-Zeitung, 18.6.2019 Die jüngsten politischen Entwicklungen werden richtungsweisend für die kommenden Jahre oder gar Jahrzehnte sein. Der Handelsstreit zwischen den USA und China hat sich verschärft. Das Verhalten...

Vom fairen Wert einer Währung

Von Stefanie Holtze-Jen *)Die jüngsten politischen Entwicklungen werden richtungsweisend für die kommenden Jahre oder gar Jahrzehnte sein. Der Handelsstreit zwischen den USA und China hat sich verschärft. Das Verhalten beider Parteien lässt auf die Bereitschaft schließen, die wirtschaftlichen Kosten zu tragen, um die politischen Ziele im Wettlauf um die Weltführerschaft im 21. Jahrhundert zu erreichen. Verhandlungen um Handelsabkommen mit anderen Handelspartnern werden überschattet, weil die eigenen nationalen Interessen vorgelagert werden. So deutete US-Präsident Donald Trump Sanktionen gegen Unternehmen an, die sich am Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2 beteiligen. Das bereits geschlossene Freihandelsabkommen USMCA zwischen den USA, Mexiko und Kanada ist noch nicht einmal ratifiziert, und trotzdem drohte Trump Mexiko mit höheren Zöllen, falls es nicht wirksame Maßnahmen gegen den Zustrom von Migranten ergreifen würde.Diese sich ändernden politischen Vorgehensweisen bringen weitere Unsicherheit für Unternehmen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass das Investitionswachstum verhalten bleiben wird. Als Resultat sind die globalen Wachstumserwartungen nach unten angepasst worden. Wenn die Politik die Abschwächung der Wirtschaft in Kauf nimmt, sind nun die Zentralbanken gefragt, die Folgen abzumildern.Und diese haben bereits reagiert. Die US-Notenbank Federal Reserve etwa ist nun offen für eine präventive Lockerung. Der Markt hat bereits über zwei Zinssenkungen der Fed bis zum Jahresende eingepreist, die erste wird schon im Juli erwartet. Besonderes Augenmerk liegt nun auf der morgigen Fed-Pressekonferenz. Der Handlungsspielraum der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint dagegen wesentlich eingeschränkter, aber Notenbank-Präsident Mario Draghi betonte die Bereitschaft, falls erforderlich zu handeln und alle geldpolitischen Mittel zu nutzen. Interessant könnte diesbezüglich in dieser Woche das jährliche EZB-Forum im portugiesischen Sintra sein. Rufe nach schwachem DollarGleichzeitig werden die Rufe nach einem schwächeren Dollar lauter, nicht zuletzt, da sich die Zinsdifferenz nicht mehr ausweiten dürfte. Doch wenn alle Zentralbanken dasselbe tun, handelt es sich dabei eher um eine Parallelverschiebung. Solange die US-Wirtschaftserwartungen nicht unter die des Rests der Welt sinken, und die Zinsdifferenz signifikant bleibt, erwarten wir noch keine Kehrtwende für den Dollar.Aber Trump warf kürzlich ein weiteres Argument in Reaktion auf eine Meldung der Nachrichtenagentur Bloomberg ein. Darin wurde die Frage aufgeworfen, weshalb sich einige europäische Touristenziele vor Besuchern gar nicht retten könnten. Darauf der US-Präsident: Es liege daran, dass der Euro und andere Währungen gegenüber dem Dollar unterbewertet seien, was den USA einen großen Nachteil einbrächte. Die Zinsen der Federal Reserve seien viel zu hoch.Was ist dran an Trumps Einschätzung? Das Konzept der Bewertung von Wechselkursen ist diffizil, sehr langfristiger Natur und die verschiedenen Methoden sind umstritten. Ganz grundsätzlich bestätigen die meisten Maßzahlen aber eine Überbewertung des Dollar. Allerdings ist diese größer gegenüber Schwellenländerwährungen. Innerhalb des G10-Währungsspektrums sticht der Dollar nicht heraus.Meist beginnt die Diskussion um das Gleichgewicht von Wechselkursen mit der Kaufkraftparität. Kaufkraftparitäten sind fiktive monetäre Umrechnungsfaktoren, die es erlauben, länderspezifische volkswirtschaftliche Indikatoren über die Landesgrenzen hinweg vergleichbar zu machen, indem die Differenzen unterschiedlicher Preisniveaus ausgeglichen werden. Im Fall der Wechselkurse herrscht Kaufkraftparität vor, wenn die unterschiedlichen Währungen durch die Wechselkurse dieselbe Kaufkraft haben und man somit denselben Warenkorb kaufen kann. Der reale Wechselkurs wäre eins.Die Abweichung des Wechselkurses von der Kaufkraftparität, wie sie von der OECD berechnete wird, gegenüber den anderen G10-Währungen beträgt für den Dollar und den austr. Dollar etwa 10 %. Für den Schweizer Franken liegt der Wert bei fast 40 %. Der grundlegende Einwand gegen die Theorie der Kaufkraftparität zielt darauf ab, dass Angebot und Nachfrage bei Devisen nicht nur von Preisentwicklungen und Güterströmen bestimmt werden. Vielmehr seien auch Spekulation, Zinsdifferenz, Konjunkturentwicklung im In- und Ausland sowie politische Faktoren von großer Bedeutung. Euro ist fair bewertetEine alternative Sichtweise zur Kaufkraftparität stellt die Berechnung der realen effektiven Wechselkurse dar. Diese sollen Veränderungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft gegenüber ihren Handelspartnern messen. Hier beträgt die aktuelle Abweichung für den Dollar fast 15 %, für den Schweizer Franken sind es etwa 5 %. Der Euro handelt mehr oder weniger bei seinem langfristigen realen effektiven Wechselkurs.Der Dollar als Weltreservewährung muss sich noch einem zusätzlichen Schicksal beugen. In früheren Perioden mit stark rückläufigem Welthandel hat der handelsgewichtete Dollar meist aufgewertet. Es gibt zwar die Währungen von Energie- und Rohstoffstaaten, die noch zyklischer reagieren, aber der Dollar wird als Wertanlage in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs nachgefragt. Eine relativ starke Währung macht sich im Umfeld schwächer werdender Handelsströme und abnehmender Wirtschaftstätigkeit aber nicht gut und wirkt der Stimulation der Wirtschaft mit Zinssenkungen entgegen.Gerade bei Trump ist bereits seit Längerem bekannt, dass ihm eine schwächere Währung am Herzen liegt. Deshalb sind ihm in den Verhandlungen der Handelsabkommen die “Macroeconomic and Currency Provisions” so wichtig, welche rechtlich verbindlich Bestandteil werden sollen. Durch sie soll verhindert werden, dass die Währung auf einen Wert abgewertet wird, welcher im geschlossenen Handelsabkommen Vorteile verschafft. Nun zögert sich der Abschluss der Handelsabkommen aber hin, mit China höchstwahrscheinlich auch wegen genau dieser Klausel. Auch der niedrige Euro wird in den Handelsgesprächen mit der EU thematisiert werden. Im Vorfeld des bevorstehenden G20-Gipfels am 28./29. Juni ist mehr solcher Rhetorik zu erwarten.Aufgrund der Parallelverschiebung nach unten für die globale Wirtschaft sehen wir den Dollar weiterhin im Vorteil. Die EU ist unterdessen weiter mit interner Problembehebung und Meinungsfindung beschäftigt. Es geht um ein Defizitverfahren gegen Italien, die Draghi-Nachfolge und es bleibt abzuwarten, mit welcher Schlagkraft neue und bisher nicht getestete Teams im heranziehenden globalen Strudel agieren können.Wir bleiben daher bei unserer Prognose eines relativ starken Dollar mit einem potenziellen Test der bisherigen Tiefststände und erwarten erst auf Jahressicht eine leichte Abwertung auf 1,15 Dollar je Euro. *) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist bei der DWS.