Wall Street fürchtet erneute Korrektur

Investoren erhöhen Baranteil im Portfolio - Hohe Multiples und geringes Wachstum zügeln Aktienhunger

Wall Street fürchtet erneute Korrektur

Noch vor wenigen Wochen haben viele Investoren an der Wall Street mit dem US-Aktienmarkt gehadert. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht und die US-Leitindizes Dow Jones Industrial und S & P 500 notieren wieder klar über den Werten zum Jahresbeginn. Viele Marktteilnehmer zweifeln allerdings an der Nachhaltigkeit der Entwicklung.Von Sebastian Schmid, New YorkProzentual zweistellige Kursgewinne sind an sich schon bemerkenswert. Wenn dann noch die Kurse von Schwergewichten wie Microsoft, Amazon oder Google-Mutter Alphabet derartige Steigerungsraten an einem Tag vollbringen, ist das noch außergewöhnlicher. Vergangenen Freitag ist genau dieser Fall eingetreten. Dabei haben die Unternehmen lediglich überzeugende Quartalszahlen vorgelegt. Diese fielen allerdings auf fruchtbaren Boden. An der Wall Street halten nach einer kurzen Dominanzphase der Bären vorerst wieder Bullen das Zepter in der Hand.Knapp ein Monat hat genügt, um den US-Leitindex S & P 500 aus dem Tal der Tränen zu reißen. Eine Kombination aus geringen Erwartungen an die Zwischenberichte zum dritten Quartal, die Aussicht auf längerfristig niedrige Zinsniveaus und starke Zwischenberichte haben den Boden für die Rally in den vergangenen Wochen bereitet. Seit dem Tiefpunkt im Sommer hat der Dow Jones Industrial Index mehr als ein Zehntel an Wert zugelegt. Zahlreiche Bären an der Wall Street wurden von der Erholung der Kursniveaus kalt erwischt. Viele Assetmanager sehen die Kursanstiege indes nur als Momentaufnahme und fürchten drastische Rückgänge spätestens im kommenden Jahr. Lori Heinel, Chef-Portfoliostrategin bei State Street Global Advisors, hält die zuletzt starken Aktienkursentwicklungen etwa nicht für nachhaltig. Viele Experten sehen noch immer sehr hohe Multiples, die Risiken der globalen Konjunkturschwäche und das Vorhaben der US-Notenbank Fed, die Zinsen anzuheben, als Risikofaktoren. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis im S & P 500 liegt mit 22 um fast die Hälfte über dem historischen Durchschnitt – trotz praktisch nicht vorhandenem Erlöswachstum.Kurzfristig glauben viele Investoren vor negativen Überraschungen gefeit zu sein. So befindet sich die Berichtssaison zum dritten Quartal bereits in der zweiten Halbzeit, und die befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben. Zudem rechnet über die Hälfte der US-Marktteilnehmer offenbar nicht mehr mit einem Zinsschritt im laufenden Jahr. Das zeigt auch an die Entwicklung der Renditeniveaus. US-Bonds mit zwei Jahren Laufzeit haben zuletzt mit 63 Basispunkten rentiert, vor der Septembersitzung der US-Notenbank waren es noch 80. Allerdings könnten sich hier die Vorzeichen bald ändern. Am morgigen Mittwoch endet die Sitzung des Offenmarktausschusses der Fed. Je nach Wortlaut der Abschlusserklärung kann sich auch die Einschätzung über den erwarteten Zeitpunkt der Zinswende schnell wieder verschieben.Nick Colas von Convergex glaubt dennoch an eine positive Entwicklung – zumindest im Technologiesektor, der dank der vergangenen Woche die beste Kursentwicklung im laufenden Turnus aufweist. Das gilt zumindest wenn Amazon – wie von Colas – zum Technologiesektor gezählt wird. Im S & P 500 zählt der Onlinehändler zu den Konsumgüterkonzernen. Der Grund für das starke Abschneiden des Technologiesektors ist laut Colas, “dass Wachstum derzeit so rar geworden ist und damit jede Gesellschaft, die ihren Umsatz steigern kann, automatisch höher bewertet wird”. Schub durch Apple?Einen Schub für Technologiefirmen könnte es auch diese Woche geben. Am heutigen Dienstag nach Börsenschluss will der iPhone-Anbieter Apple seine Zwischenberichte vorlegen. Ein nur fünfprozentiger Kursausschlag in die eine oder andere Richtung entspricht einer Veränderung der Marktkapitalisierung um mehr als 32 Mrd. Dollar. Der Boom der Technologieaktien hat diese allerdings schon jetzt weit getragen. Von den acht Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung an US-Börsen zählen mit Apple, Alphabet, Microsoft, Facebook und Amazon fünf zu den Technologiefirmen.Viele Portfoliomanager tendieren daher aktuell zu defensiveren Strategien, um sich dem Aktienmarkt nicht zu sehr auszusetzen. Heinel von State Street hält etwa 10 % des Portfoliowertes in bar – zehnmal so viel wie in normalen Zeiten. Tony Roth, Chief Investment Officer von Wilmington Trust, sagte dem “Wall Street Journal”, seit Anfang des Monats habe er den Baranteil im Portfolio von 2 auf 9 % hochgefahren. Und Roth ist dabei noch ein Aktienoptimist, der seinen Kunden bis vor kurzem dazu riet, mehr als vier Fünftel ihres Kapitals in der Assetklasse anzulegen. Mittlerweile sollen es nur noch drei Fünftel sein. Ein Händler fasst die vage Sorge an der Wall Street so zusammen: “Die Korrekturbewegung vor einigen Wochen war einfach viel zu klein. Da kommt noch etwas.”