Wall Street hebelt Gravitationskraft aus

Dow Jones durchbricht 22 000 Punkte - Steigende Unternehmensgewinne begeistern Investoren kaum

Wall Street hebelt Gravitationskraft aus

Seit Monaten wird US-Aktien ein Ende des seit 2009 andauernden Bullenmarktes prophezeit. Der Dow Jones Industrial Index hat dennoch gerade eine weitere Tausendermarke durchbrochen. Es gibt aber weiter Anzeichen dafür, dass auch an der Wall Street bald wieder die Gravitationskräfte gelten werden.sp New York – An der Wall Street scheinen die Gesetze der Gravitation nur noch mit Einschränkung zu gelten. Was steigt, muss irgendwann auch wieder fallen? In der vergangenen Woche hat der Dow Jones Industrial Average Index zum ersten Mal die Schwelle von 22 000 Punkten überschritten und 1,2 % zugelegt. Der breiter angelegte S & P 500 trat mit einem Plus von 0,2 % zwar auf der Stelle, war in den vergangenen neun Monaten aber nur im März rückläufig. Der Technologiewerteindex Nasdaq schloss die Woche mit einem Minus von 0,4 % ab, bewegt sich aber ebenfalls in der Nähe seines Allzeithochs.US-Aktien haben Investoren in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich 16 % eingebracht und waren damit die rentabelste Assetklasse. Im laufenden Turnus sind sie auf bestem Wege, das noch zu übertreffen. Der US-Aktienmarkt stützt sich auf steigende Unternehmensgewinne von Konzernen, die fast ein Drittel ihrer Gewinne im Ausland machen und zuletzt auch von einem schwächelnden Dollar profitiert haben. Hinzu kommt eine weiterhin stimulierende Geldpolitik der US-Notenbank, die erst in den vergangenen Monaten dazu übergegangen ist, sehr vorsichtig die Schrauben anzuziehen. Die wachsenden politischen Unsicherheiten im In- und Ausland fallen zumindest bisher kaum ins Gewicht. Der Volatilitätsindex Vix, der ein Maß für die Nervosität an den Aktienmärkten ist, hat in den vergangenen Tagen einen weiteren Tiefstwert markiert. Börsenwert wie anno DotcomSeit der Bullenmarkt Anfang 2009 Fahrt aufgenommen hat, ist der Wert der rund 3 900 notierten Unternehmen an den US-Aktienmärkten von knapp 60 auf 140 % des Bruttosozialprodukts gestiegen, wie Ned Davis Research vorrechnet. Damit hat die Marktkapitalisierung zwar noch nicht die knapp 170 % erreicht, die der US-Aktienmarkt auf dem Höhepunkt des Dotcom-Booms anschreiben konnte. An den 125 %, die kurz vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2007 zu Buche standen, sind die US-Aktien aber schon lange vorbeigezogen. Im historischen Durchschnitt lag der Börsenwert der US-Unternehmen bei 62,8 % des Bruttosozialprodukts.Es mehren sich die Zeichen, dass sich die Erdanziehung auch an der Wall Street bald wieder Geltung verschaffen könnte. So merken Marktbeobachter an, dass der S & P 500 im laufenden Jahr nur an 52 Handelstagen um mehr als 0,3 % gestiegen oder gefallen ist, womit er bis Anfang August so häufig wie noch nie zuvor in einem Jahr mehr oder weniger auf der Stelle getreten ist. Am Freitag verzeichnete der Index den zwölften Tag in Folge eine Bewegung von weniger als 0,3 % in eine Richtung – die längste vergleichbare Serie seit Beginn der Aufzeichnungen. Seit Anfang März hat der auffällig unentschlossene S & P 500 gerade noch 3,3 % zugelegt und hinkt damit hinter einer Reihe internationaler Aktienmärkte hinterher.Ein weiteres Zeichen dafür, dass Investoren derzeit nur darauf warten, bis die ersten US-Aktien vom Himmel fallen, sind die Reaktionen auf die fast durch die Bank starken Zahlen zum zweiten Quartal. Rund drei Viertel der Firmen aus dem S & P 500 haben ihre Quartalsberichte bereits vorgelegt, 70 % davon haben die Erwartungen für das Umsatzwachstum übertroffen. Unter dem Strich liegen die Konzerne auf Kurs, erneut einen prozentuell zweistelligen Gewinnzuwachs zu zeigen (siehe Grafik). Die Begeisterung unter Investoren ist dennoch gedämpft. Die Unternehmen, die sowohl mit ihrem Umsatz als auch im Ergebnis die Schätzungen übertrafen, konnten sich am folgenden Tag kaum von der Entwicklung des Gesamtmarktes abheben, wie die Experten von Bank of America Merrill Lynch anmerken. “Es ist das erste Mal in 17 Jahren, dass wir keine Belohnung für positive Überraschungen feststellen”, heißt es in der Studie.Wer enttäuschte, wurde im Vergleich mit der breiten Marktentwicklung dagegen um durchschnittlich 3 Punkte abgestraft. Mit dem Blick nach vorne verheißt das wenig Gutes. Denn nach vier Quartalen, in denen sich die Konzerne mit verhältnismäßig schwachen Vorjahresdaten vergleichen konnten, müssen die Firmen im weiteren Jahresverlauf über anspruchsvollere Hürden springen. Das fällt umso schwerer, je stärker die Gravitation zu spüren ist.