Wall Street ist nicht nach Erntedank
Die verkürzte Börsenwoche vor Thanksgiving war für US-Aktien in den vergangenen sechs Jahren immer ein Grund zum Feiern. Jetzt droht wegen der anhaltenden Schwäche der US-Technologieaktien zum Erntedankfest die Serie zu reißen. Ob auch der seit zehn Jahren laufende US-Bullenmarkt am Ende ist, bleibt offen. sp New York – Kurz vor dem Erntedankfest in den USA und dem inoffiziellen Start in die US-Weihnachtssaison ist der Wall Street gestern nicht nach feiern zumute gewesen. Am Dienstag verzeichneten die wichtigsten US-Aktienindizes wie schon zum Wochenauftakt empfindliche Rückschläge. Unter Druck standen erneut vor allem die US-Technologiewerte, die die Aktienmärkte bereits am Vortag weltweit belastet hatten. Hinzu kamen schlechte Nachrichten aus dem US-Einzelhandel von Target und Lowe’s. Die Titel aus dem Energiesektor lasteten ebenfalls auf dem Gesamtmarkt. Dazu gesellten sich zwei Tage vor Thanksgiving erneut die anhaltenden Sorgen wegen des schwelenden Handelskonflikts zwischen den USA und China, Skepsis mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung sowie die weitere Gewinnentwicklung bei den Unternehmen. Handel und Energie schwachDer S&P 500 lag mittags in New York ebenso wie der Dow Jones Industrial Average knapp 2 % im Minus, während der Technologiewerteindex Nasdaq 2,4 % einbüßte. Zu den größten Verlierern gehörte der Einzelhändler Target, der mit den Zahlen zum dritten Quartal sowie mit dem Ausblick auf das Weihnachtsgeschäft die Erwartungen verfehlte und mehr als 11 % abgab. Erneut abwärts ging es auch für den Elektronikkonzern Apple, der am Montag bereits um knapp 4 % abgerutscht war und am Dienstag zeitweise um mehr als 5 % zurücklag, nachdem Goldman Sachs schon zum dritten Mal in diesem Monat ihr Preisziel für die Aktie gekürzt hatte. Seit der wertvollste börsennotierte US-Konzern Anfang November zusammen mit Rekordzahlen für das zurückliegende Quartal einen verhaltenen Ausblick für das Weihnachtsgeschäft vorgestellt hatte, ist die Aktie um rund ein Fünftel zurückgefallen. Am Dienstag schloss sich Apple den anderen Unternehmen aus der viel beachteten FAANG-Gruppe aus Facebook, Amazon, Netflix sowie der Alphabet-Tochter Google an, die im Vergleich mit den in diesem Jahr erreichten Höchstständen mittlerweile alle mehr als 20 % abgegeben haben. Damit findet sich nunmehr jeder der fünf FAANG-Titel, die den Bullenmarkt in den USA zuletzt fast im Alleingang nach oben gezogen haben, offiziell im Terrain eines Bärenmarktes wieder.Schwächster FAANG-Titel im Vergleich mit den jeweiligen Höchstständen ist das soziale Netzwerk Facebook, das im Vergleich mit seinem Hoch von Ende Juli mehr als 40 % verloren hat. Ähnlich hohe Einbußen hat seit Anfang Juli der Streamingdienst Netflix verzeichnet. Der Online-Händler Amazon notiert im Vergleich mit dem vor zweieinhalb Monaten erreichten Allzeithoch rund ein Drittel schwächer, während der Internetkonzern Alphabet wie Apple erst in dieser Woche in Bärenterrain gerutscht ist und im Vergleich mit Ende Juli 21 % tiefer notiert. FANG+ liegen im MinusAndere Technologiewerte wie der Chiphersteller Nvidia, dessen Wert sich in den vergangenen sechs Wochen mehr als halbiert hat, stehen ebenfalls unter Druck. Der FANG+ Index der New York Stock Exchange, der neben den FAANG-Titeln auch die chinesischen Internetkonzerne Alibaba und Baidu, den Autobauer Tesla, den Internetdienst Twitter und Nvidia abbildet, hat sich ebenfalls im Bärengehege einquartiert. Dass der S & P 500 die verkürzte Börsenwoche vor Thanksgiving zum ersten Mal seit sechs Jahren nicht mit Gewinnen bestreiten dürfte, liegt aber nicht nur an den Technologieaktien. Die wachsenden Sorgen rund um den Handelskonflikt mit China, die konjunkturellen Aussichten in den USA und die weitere Gewinnentwicklung bei den US-Unternehmen lasten auch auf anderen Sektoren.Im laufenden Quartal dürfte das Gewinnwachstum im S & P 500 laut Schätzungen der von Factset befragten Analysten noch 14 % betragen, bevor es im nächsten Jahr in den einstelligen Bereich zurückfallen wird (siehe Grafik). Grund dafür ist vor allem das Ausbleiben neuer fiskalpolitischer Impulse, nachdem die US-Steuerreform Ende vergangenen Jahres das Gewinnwachstum zuletzt auf das höchste Tempo seit Jahren beschleunigt hat. Das Gewinnplus von 26,3 % im zurückliegenden Quartal war laut Factset der höchste Wert für den S & P 500 seit 2010.Auf dem Höhepunkt des Gewinnwachstums angekommen, hat der US-Aktienmarkt nach Angaben von RBC Capital Markets auch in der Vergangenheit den Rückwärtsgang eingelegt. Das Ende für den seit mehr als zehn Jahren laufenden Bullenmarkt in den USA muss deshalb aber noch nicht erreicht sein, heißt es bei der Bank. Denn in den auf “peak earnings” folgenden drei Jahren hat der S & P 500 jeweils prozentual zweistellige Zuwächse verbucht, solange die Gewinne in dieser Zeit nur langsamer als zuvor gewachsen und nicht zurückgegangen sind.