Wall Street vergeht Lust auf Rekorde

Zum Start der Berichtssaison stehen US-Aktienindizes nahe Höchstständen - Ergebniserwartungen sinken

Wall Street vergeht Lust auf Rekorde

Zum Auftakt der Berichtssaison in den USA rechnen Marktbeobachter zum ersten Mal seit fast drei Jahren mit rückläufigen Gewinnen im S&P 500. Der breit aufgestellte US-Leitindex steht nach dem besten Start für US-Aktien seit mehr als zwanzig Jahren trotzdem nur noch 0,5 % unter dem Allzeithoch aus dem Herbst. Von Stefan Paravicini, New YorkDie wichtigsten US-Aktienindizes stehen nach dem besten Jahresauftakt des S&P 500 seit mehr als zwanzig Jahren fast auf Augenhöhe mit den im Herbst erreichten Höchstwerten. Zum Auftakt der US-Berichtssaison scheint der Wall Street die Lust auf Rekorde allerdings vergangen zu sein. Denn Analysten rechnen nach Angaben von Factset im ersten Quartal mittlerweile mit einem Rückgang der Unternehmensgewinne um rund 4 % im S&P 500, nachdem sie den Firmen zum Jahresbeginn noch ein Plus von 3 % zugetraut hatten. Es wäre der schwächste Dreimonatsabschnitt und der erste Gewinnrückgang für US-Konzerne seit dem zweiten Quartal 2016, nachdem die Gewinne im Vergleichszeitraum des Vorjahres mit Rückenwind der US- Steuerreform noch um ein Viertel gestiegen waren. Im gesamten Jahr trauen Marktbeobachter den Unternehmen aus dem Leitindex gerade einmal 3,7 % mehr Gewinn als im Vorjahr zu, während die Ergebnisse 2018 noch ein Fünftel zulegten. Die Bewertung von US-Aktien aus dem S&P 500 liegt unter diesen Vorzeichen schon fast beim 17-Fachen des Gewinns und damit ungefähr auf dem gleichen Niveau wie im Oktober, kurz bevor der Markt im vierten Quartal nach unten tauchte. J&J und BoA überraschen Am Dienstag fassten Investoren trotzdem neuen Mut. Denn nachdem in den vergangenen Tagen bereits J.P. Morgan und Citigroup überwiegend gute Zahlen vorgelegt hatten, legte auch Bank of America mit ihren Ergebnissen im Geschäft mit dem US- Verbraucher einen weiteren Beleg für die Robustheit der US-Konjunktur vor. Im weiteren Jahresverlauf rechnet die Bank allerdings mit weniger Rückenwind durch Zinserhöhungen der US-Notenbank, weshalb die Aktie schwächer notierte.Johnson & Johnson und United Health überraschte auch mit dem Blick nach vorn positiv. Die beiden Unternehmen aus der Gesundheitsbranche erhöhten ihre Prognose für das Gesamtjahr und sorgten damit zunächst für Erleichterung in dem zuletzt schwachen Sektor. United Health tauchten später trotzdem bis zu 5%, weil Investoren eine Reform des Erstattungssystems zulasten des Versicherers fürchten.Hinzu kamen erneut positive Aussagen der US-Notenbank zur Konjunktur, wobei die Währungshüter wieder durchblicken ließen, dass sie die Zinsen bis weit in das laufende Jahr hinein unverändert lassen könnten. Der Dow Jones startete darauf 0,2 % fester in den Handel und lag bei 26 436 Punkten 1,2 % unter dem Höchstwert aus dem Oktober. Der S&P 500 kletterte ebenfalls um 0,2 % und lag nur noch 0,5 % unter dem im September erreichten Allzeithoch. Der Technologieindex Nasdaq Composite kletterte um 0,4 % und schielte bereits auf die erwarteten Impulse durch den IT-Konzern IBM und den Streamingdienst Netflix, die gestern nach Börsenschluss in den USA die Berichtssaison im Technologiesektor eröffneten.Innerhalb der nächsten zwei Wochen rollen die Zwischenergebnisse der meisten Unternehmen aus dem S&P 500 in den Markt und dürften der Wall Street im Vergleich zu den vergangenen Tagen mit niedrigen Handelsvolumen, geringer Volatilität und uneinheitlicher Richtung wieder eine klarere Tendenz geben. Dabei geht es nicht allein um die Frage, ob die Konzerne die niedrigen Erwartungen an das erste Quartal übertroffen haben, sondern auch ob ihre Aussichten für den weiteren Jahresverlauf – wie gestern von Johnson & Johnson sowie United Health vorgemacht – den Verdacht auf das Nahen eines konjunkturellen Abschwungs zerstreuen können.Das Auftaktquartal ist deshalb aber noch nicht abgehakt. “Dieser Markt wird von einem Zinsnarrativ dominiert”, sagt Nicholas Colas von Data Trek Research. Die Erwartung sinkender Zinsen habe Aktien gegen Sorgen über die Gewinne abgeschirmt. “Aber wenn man sich erst einmal mit den Ergebnissen auseinandersetzen muss, wird sich das Narrativ ändern.” Auch Russ Koesterich von BlackRock warnte vor dem Auftakt der Berichtssaison trotz der ohnehin gesunkenen Erwartungen vor negativen Überraschungen. “Die Unternehmen stehen unter erhöhtem Druck auf ihre Margen”, sagt der Portfoliomanager des Global Allocation Team des größten Vermögensverwalters. Auch wenn die Wirtschaft weiterlaufe und die Fed stillhalte, würde ein stärkerer Gewinnrückgang als erwartet den US-Aktien schaden. “Die Frage ist, ob der Markt die Auswirkungen eines langsameren Wachstums und den Druck auf die Profitmarge bereits ausreichend eingepreist hat.” Boden für Gewinne gesuchtPositive Überraschungen zum ersten Quartal allein werden die Wall Street nach Einschätzung von Marktbeobachtern nicht über die Höchststände aus dem vergangenen Herbst schieben. “Angesichts der signifikanten Preissprünge, die wir in diesem Jahr bereits gesehen haben, während gleichzeitig die Gewinnerwartungen gesunken sind, sehen die Bewertungen nicht mehr günstig aus”, sagt Karen Ward, Marktstrategin für J.P. Morgan Asset Management. “Bevor die Preise weiter nach oben gehen, müssen wir den Boden der Gewinne sehen und dann wieder nach oben starten.”