Warum die Börse nicht politisch sein kann

Von Dietegen Müller, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.7.2016 Der überraschende Ausgang des britischen Referendums über einen Austritt aus der Europäischen Union beschäftigt nicht nur Investoren, sondern auch Politikwissenschaftler. Die Beziehung...

Warum die Börse nicht politisch sein kann

Von Dietegen Müller, FrankfurtDer überraschende Ausgang des britischen Referendums über einen Austritt aus der Europäischen Union beschäftigt nicht nur Investoren, sondern auch Politikwissenschaftler. Die Beziehung zwischen Kapitalmarkt und Politik ist erfahrungsgemäß keine spannungsfreie, im Fall des Brexit-Votums, das viele Investoren auf dem falschen Fuß erwischt hat, entlud sie sich sogar mit einem Knall – will sagen Kurseinbruch in einigen Vermögenswerten.Der nach Deutschland emigrierte Politikwissenschaftler Peter Robejsek sieht im Brexit ein seltenes Aufblitzen echter Politik, wie er auf dem Frankfurter Diskurs der BHF-Bank vor Publikum aus der Finanzbranche sagte. In einer Tour d’Horizon ging er der Frage nach, wie politisch die Börse sei. In Realität sei die Politik vom Ökonomischen abgeleitet. Die Börsen würden oszillieren: “Sie waren einmal politisch, als Baron Rothschild Aktien kaufte, als die Kanonen donnerten.” Er fügt an, es mache auch heute noch Sinn, Aktien des russischen Gasmonopolisten Gazprom zu kaufen, wenn die Halbinsel Krim von Russland besetzt werde, oder Sterling zu kaufen, wenn es zum Brexit komme – also zu seltenen umwälzenden Ereignissen. Zwang zum Reim”Für meine Begriffe sind das eher Ausnahmesituationen”, relativiert er aber. Deutlich stärker als politische Entscheidungen würden die Märkte von den Aktivitäten großer institutioneller Adressen beeinflusst. “Ihre Operationen beeinflussen die Börsen”, richtete er sich direkt an das Publikum, das – um kleine Tische sitzend – lauschte. “Sie werden dann von der schnelllebigen journalistischen Elite häufig untermauert durch eine Story, eine Erklärung, die vermeintlich auch eine politische Logik in die Aktivitäten an der Börse einbringt”, so Robejsek. Vermutlich sei diese aufgesetzt.Er verwies dabei auf den deutschen Neurologen Klaus Conrad, der über den Zwang, Muster in Prozessen zu erkennen, geforscht und den Begriff Apophänie geprägt hatte. Dabei gehe es um eine “fast pathogene Neigung, überall Reime und Kausalitäten zu suchen, dort wo sie gar nicht sind oder man sie nicht erkennen kann”. Das berühmte Rothschild-Zitat, unter Kanonendonner zu kaufen, gehe ja noch weiter mit “Verkaufen, wenn die Violinen erklingen”.Es sei aber seltsam, so der Vortragende, dass es bei “entsprechenden politischen Erfolgsmeldungen” fast nie die entsprechende Marktreaktion gebe. Der gebürtige Tscheche hat dafür eine einfache Erklärung: “Das liegt daran, dass die Börse und die Wirtschaft seltenst überrascht werden von der Politik.” Ausgenommen seien Fälle wie die Energiewende – und der Brexit. Die Politik sei sonst eher berechenbar und “im Prinzip langweilig”, was häufig an den buchhalterischen Gestalten liege, oder wie böse Zungen sagen würden, an “Anzügen ohne Inhalte”, die dafür verantwortlich seien.Weil die Politik “weitgehend verökonomisiert” sei, können die Börsen aber gar nicht politisch werden. “Politik ist nicht die wirklich entscheidende Macht” – ausgenommen eben, wenn die Bevölkerung Gelegenheit bekomme, “eigene Meinung mit einer Entscheidung, die verfolgt werden muss, zum Ausdruck zu bringen”. Dazu zählt er abgesehen vom Brexit-Votum auch die ablehnende Haltung der niederländischen Stimmbürger gegenüber dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine.Die Ursachen für diese Politikferne der Märkte sieht er unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges verankert, wo es “statt zu einer globalen Demokratisierung zu einem Siegeszug der Marktwirtschaft kam”, was zunächst vernünftig zu sein scheine, gelte es doch “Investoren anzuwerben”. Und Wohlstand stelle für die absolute Mehrheit der Menschheit das einzige, zumindest das zentrale Lebensziel dar. Lediglich das, was einen Marktpreis habe, was man zählen könne, sei wesentlich, so der Politikwissenschaftler. Staatskunst decke sich da fast ganz mit Unternehmensführung. Dabei verlasse sich die Politik auf Skaleneffekte und supranationale Strukturen. Krise und VereinfachungKlar, dass es hier zu einem Schwenk nach Europa kommen musste: “Wir reden über ein Scheitern einer supranationalen Organisation, darüber, dass wir Menschen in der Lage sind, eine supranationale Organisation zu schaffen, aber sie nicht zu beherrschen.” Diese würden “dumme Entscheide” hervorbringen, aus der Größe heraus, die nicht beherrschbar sei.Krisen führten aber zu einer “Vereinfachung”, und so könne es zu einer baldigen Vereinfachung der Eurozone und der EU kommen, zur Reduktion auf das, was tragfähig, funktionsfähig und beherrschbar sei. Robejsek sagt über sich, überdurchschnittliche prognostische Fähigkeit zu besitzen und im Gegensatz “zu der absoluten Mehrheit der Ostforscher den Untergang des Kommunismus in Osteuropa, vier Jahre bevor es dazu kam”, vorhergesagt zu haben. Die heutige Politik bewertet er als eine schwache, symbolisch-rhetorische, “ganz anders als jene von Talleyrand und Bismarck, die machtpolitisch untermauerte Schritte gemacht hätte”. Er verweist in einem Exkurs dabei auch noch auf die Spannungen mit Russland, wo es eine gefährliche Eskalationsleiter gebe. Politik und WachstumZum Abschluss kommt er auf die Politik des lockeren Geldes zu sprechen. Dass Draghi die Märkte mit Geld flutet, findet Robejsek als “interessant für die Investoren”, aber die wüssten auch, dass es “einmal aufhören wird”. Draghi und Yellen versuchen Wachstum anzukurbeln, was nicht so richtig gelingen will. Es wäre darum “eine urpolitische Aufgabe, die Gesellschaft darauf vorzubereiten, dass es auf längere Zeit kein Wachstum gibt und dass wir möglicherweise eine saturierte Gesellschaft sind im Westen, mit einer Überproduktion”. Die Angst sei, was passiere, wenn diese Versuche eingestellt würden. Nun kaufe die supranationale Institution EZB Zeit und drucke Geld, “aber irgendwann muss es aufhören”. ——–Börse und Wirtschaft werden fast nie von der Politik überrascht – sie ist nicht entscheidend.——-