GASTBEITRAG

Warum die Bundestagswahl für die Märkte wichtig ist

Börsen-Zeitung, 21.9.2017 Langweiligster Wahlkampf aller Zeiten. Schlagabtausch mit Wattebäuschen. Duett statt Duell. So oder so ähnlich lauten noch die freundlicheren Kommentare über die Wochen vor dem 24. September, dem Tag der Bundestagswahl. Die...

Warum die Bundestagswahl für die Märkte wichtig ist

Langweiligster Wahlkampf aller Zeiten. Schlagabtausch mit Wattebäuschen. Duett statt Duell. So oder so ähnlich lauten noch die freundlicheren Kommentare über die Wochen vor dem 24. September, dem Tag der Bundestagswahl. Die weniger freundlichen konstatieren gar eine Beschädigung der Demokratie. Besonders an Kanzlerin Angela Merkel ergeht der Vorwurf, sich keiner politischen Debatte ernsthaft stellen zu wollen.Dies mag ungerecht klingen gegenüber einer Amtsinhaberin, die von Natur aus eher zurückhaltend agiert und zudem noch in der günstigen Position ist, den Herausforderer auf sich zukommen lassen zu können. Ausländischen Beobachtern suggeriert eine derartige Konstellation aber tatsächlich eine gewisse Schläfrigkeit. Nach den aufregenden Wahlen früher im Jahr, insbesondere in den Niederlanden und Frankreich mit ihren populistischen Bedrohungen, wirkt die deutsche Bundestagswahl aus Sicht der Finanzmärkte wie ein Non-Event mit Ansage. Wichtige WeichenstellungWährend dies für die Risikoausschläge rings um das Wahldatum herum zutreffen mag, könnte die vielzitierte Langweiligkeit des Wahlkampfes allerdings zu der Fehlinterpretation führen, diese Wahl sei für die Märkte auch auf mittlere Sicht irrelevant. Dies nämlich halten wir für falsch. Langweilig oder nicht, die Bundestagswahl hat sehr wohl das Potenzial, wichtige Weichenstellungen für die nächsten vier Jahre – und möglicherweise darüber hinaus – zu determinieren und damit auch aus Marktsicht bedeutsam zu sein.Betrachten wir zunächst die gegenwärtig von den Umfragen suggerierte Konstellation, der zufolge es – knapp – nicht für ein Bündnis von Union und FDP reicht. Als Alternativen bieten sich hier ein erneutes Zusammengehen von Union und SPD einerseits sowie eine schwarz-gelb-grüne Kombination andererseits an.Kommt es, was wir für wahrscheinlicher halten, zu einer Fortsetzung der großen Koalition, wäre dies aus Sicht der Finanzmärkte vermutlich positiver, als viele glauben, aus drei Gründen. Erstens könnte ein gut eingeübter Regierungsapparat seine Arbeit fortsetzen, was in Zeiten geopolitischer Instabilität (Nordkorea, Russland, Türkei etc.) als Zeichen von Beständigkeit gelten dürfte.Zweitens könnte Angela Merkels CDU/CSU mit der SPD an ihrer Seite leichter den von Merkel präferierten Kurs einer erneuerten und vertieften europäischen Integration fortsetzen, und zwar mit deutlichen Zugeständnissen gegenüber dem so wichtigen Partner Frankreich. Dieses größere Entgegenkommen gegenüber Frankreich und auch Südeuropa als Kernprojekt einer neuen großen Koalition hätte das Potenzial, die südeuropäischen Risikoaufschläge stabil zu halten.Besonders mit Blick auf das absehbare Ende der Anleihekäufe durch die Europäischen Zentralbank (EZB) ist das aus Marktsicht keine Petitesse. Drittens schließlich erscheinen die Konzepte von Union und SPD bezüglich des Zielkonflikts zwischen Ökonomie und Ökologie nahezu deckungsgleich. Vergleicht man dies mit einer Konstellation, in der ein Koalitionspartner FDP den Wirtschaftsinteressen Deutschlands den Vorzug einräumen würde, während gleichzeitig der andere Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen auch um den Preis von Wachstum und Arbeitsplätzen die Umwelt schützen möchte, verspricht die große Koalition auch für Anleger das berechenbarere Szenario. Anleger schätzen Berechenbarkeit. FDP Risiko für BondmärkteAndererseits besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass es doch für die Zweierlösung CDU/CSU und FDP reicht. Wir taxieren die Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden Wahlausganges inzwischen auf rund 40 %, vor allem dank der wieder erstarkten FDP. Schwarz-Gelb gilt traditionell als Wunschkonstellation für Aktienanleger, weil gerade die FDP am ehesten wirtschaftsfreundliche Gesetze wie Steuersenkungen oder Deregulierung, mithin rosige Aussichten für Unternehmensgewinne, verspricht.Wir erwarten also für den Fall eines aus Marktsicht überraschenden Regierungseintritts der Freien Demokraten eine eher positive Reaktion bei deutschen Aktien. Zu erinnern ist aber in diesem Zusammenhang daran, dass eine derart positive Sichtweise insbesondere der FDP an den Bondmärkten nicht einhellig geteilt werden könnte. So hat sich die FDP einer tieferen europäischen Integration gegenüber durchaus skeptisch gezeigt, besonders wenn dies höhere Transfers seitens Deutschlands bedeutet. Und der Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone, ebenfalls eine populäre Forderung innerhalb der FDP, könnte durchaus über ein Ansteigen der Südeuropa-Spreads die Euro-Krise wieder eskalieren lassen. Dies gilt insbesondere in einem Umfeld, welches durch die anstehende Reduktion der EZB-Anleihekäufe sensibilisiert ist.Zwar wird sich die FDP im Falle einer Regierungsbeteiligung kaum mit derartigen Forderungen durchsetzen können, und eine eventuelle ablehnende Marktreaktion wäre vermutlich temporär. Anleger, die südeuropäische Anleihen in ihrem Portfolio halten, dürften eine Regierungsbeteiligung der FDP dennoch eher mit gemischten Gefühlen sehen. Von einer einhellig positiv zu erwartenden Marktreaktion im Fall eines schwarz-gelben Bündnisses lässt sich also nicht unbedingt sprechen. Zumindest wären die zu vermutenden Reaktionen von Aktien- und Anleihemärkten zu differenzieren.Dies alles legt nahe, dass es keineswegs egal ist, mit wem Angela Merkels CDU/CSU ihre nächste Koalition bildet. Im Gegenteil: Eine Fortsetzung der großen Koalition von CDU und SPD wäre vermutlich nicht nur bei den beteiligten Parteien insgeheim viel populärer als gemeinhin eingeräumt, sondern auch für die Finanzmärkte die Konstellation mit den geringsten zu erwartenden Kursausschlägen.—-Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock —-Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege bei BlackRock