DEVISENWOCHE

Warum Lira und Real unter Druck stehen

Von Stefan Grothaus und Tobias Gruber *) Börsen-Zeitung, 12.5.2020 Die globale Ausbreitung des Coronavirus und die damit verbundene hohe Unsicherheit hat im bisherigen Jahresverlauf dramatische Auswirkungen auf die Finanzmärkte mit sich gebracht....

Warum Lira und Real unter Druck stehen

Von Stefan Grothaus und Tobias Gruber *)Die globale Ausbreitung des Coronavirus und die damit verbundene hohe Unsicherheit hat im bisherigen Jahresverlauf dramatische Auswirkungen auf die Finanzmärkte mit sich gebracht. Auch der Devisenmarkt entging dem Bann der Krise nicht, wobei insbesondere Emerging-Market-(EM)-Währungen im Zuge einer gestiegenen Risikoaversion sowie Marktvolatilität teils ausgeprägte Abwertungen hinnehmen mussten.Während eine Abwertung der heimischen Währung für die Industrienationen oftmals einen durchaus willkommenen Nebeneffekt darstellt, ist eine deutliche Abwertung für EM-Währungen häufig mit einem Abzug ausländischen Kapitals bis hin zu einer regelrechten Kapitalflucht verbunden. Dies führt dazu, dass die Risikoaufschläge für die Wertpapiere des Staates und der heimischen Unternehmen massiv steigen und sich die Finanzierungsbedingungen deutlich verschlechtern. Intervention als AuswegAngesichts der Coronakrise sind monetäre Impulse in Form deutlicher Zinssenkungen eigentlich eine angemessene Reaktion der Notenbanken, allerdings droht damit auch eine verschärfte Abwertung. Als ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich – zumindest in einem gewissen Rahmen – eine Intervention am Devisenmarkt zur Stützung der eigenen Währung an. Die Geschichte der Devisenmarktinterventionen ist allerdings sowohl bei EM-Währungen als auch bei Währungen der Industriestaaten nicht gerade von Erfolgen geprägt.Mit Blick auf die Emerging Markets wirft dies die grundsätzliche Frage nach der Angemessenheit der Währungsreserven in den jeweiligen Ländern auf. Um hier einen Eindruck zu gewinnen, haben wir die Relation der kurzfristigen externen Verbindlichkeiten zu Devisenreserven betrachtet. Ein Wert von mindestens 1 (die kurzfristigen Verbindlichkeiten können vollständig durch die Devisenreserven gedeckt werden) erscheint dabei als plausibles Niveau, das es anzustreben gilt. Während Länder wie Ungarn, Polen, Tschechien oder auch Mexiko auf Basis von IWF-Weltbank-Daten (Stand Ende 2019) relativ unkritische Werte verzeichnen, bilden die Türkei und Südafrika in dieser Betrachtung mit Werten von klar unter 1 die Schlusslichter. In beiden Staaten reichen die internationalen Reserven also nicht aus, um die als kurzfristig deklarierten Auslandsschulden zu decken, wobei die Türkei im Vergleich zu Südafrika nochmals ein Stück zurückfällt. Türkische Reserven gesunken Um einen in der Theorie zumindest zufriedenstellenden Wert von 1 zu erreichen, müsste die Türkei ihre Reserven um mehr als 50 % erhöhen. Seit Beginn des Jahres und hier insbesondere mit den weltweit zunehmenden Marktturbulenzen im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus ist in der Türkei jedoch ein exakt gegenläufiger Trend zu beobachten.Seit Anfang März sind die Devisenreserven der Türkei – vor allem bedingt durch ausgeprägte Interventionen der Zentralbank zur Stützung der Lira – förmlich “wie das Eis in der Sonne” geschmolzen. Seit Jahresbeginn steht ein Rückgang der Währungsreserven um knapp 35 % zu Buche.Der vorhandene Spielraum für weitere Stützungsmaßnahmen zugunsten der Lira stellt sich für die Notenbank entsprechend immer limitierter dar, vor allem wenn hier das derzeitige Tempo beibehalten wird. Dass in diesem Zusammenhang am Markt darüber diskutiert wird, wie lange die bestehenden Reserven der Zentralbank in einem anhaltenden Krisenszenario überhaupt noch ausreichen, lässt das ohnehin wenig ausgeprägte Vertrauen der Investoren in die Türkei und die Lira weiter schwinden.Zur ganzen Wahrheit der am aktuellen Rand historisch schwachen Lira gehört aber auch, dass die externe Position nur ein Belastungsfaktor von mehreren ist. Das in der Corona-Pandemie sprunghafte und widersprüchliche Handeln von Präsident Erdogan sowie die unbeirrt an Zinssenkungen festhaltende türkische Zentralbank leisten ebenfalls ihren “Beitrag”. Ausreichendes PolsterDas entgegengesetzte Spektrum bei der Beurteilung der Angemessenheit der Währungsreserven bilden Brasilien, China und Russland. Hier lagen die Reserven Anfang des Jahres um mehr als das Doppelte (Russland: Vierfache) über den kurzfristigen Verbindlichkeiten und bildeten damit ein ausreichendes Sicherheitskissen für die Länder.Im Zuge der schärfsten Corona-Turbulenzen im März mussten aber auch diese Währungen mehr oder weniger deutliche Einbußen hinnehmen, wobei China wechselkurspolitisch in einer anderen Kategorie spielt. Anschließend gelang es den meisten Ländern, ihre Währungen zu stabilisieren – allerdings mit zwei Ausnahmen.Neben der türkischen Lira musste auch der brasilianische Real, der sich eigentlich auf üppige Reserven stützen kann, weitere merkliche Einbußen hinnehmen. Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen der Türkei und Brasilien fällt die sehr expansive Geldpolitik auf. Auch in Brasilien hat die Notenbank den Leitzins nach unten geschleust und bei der Zinssenkung um 75 BP in der vergangenen Woche auf ein neues Rekordtief von 3,0 % auch noch eine weitere Senkung angekündigt. Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt 2,5 % fällt damit ein positiver Realzins als Unterstützung weitgehend aus. Politische InstabilitätZudem ist auch die politische Lage in Brasilien alles andere als stabil, und ein konsequentes Vorgehen in der Coronakrise ist kaum zu erkennen – ebenfalls eine Parallele zur Türkei. Da verwundert es nicht, dass auch für den Real die Zeichen noch nicht auf Entspannung stehen, obschon die Währungshüter dem Real in einem gewissen Umfang helfend unter die Arme griffen, was dazu führte, dass die Währungsreserven im bisherigen Jahresverlauf um rund 4 % schmolzen. Unter zusätzlicher Berücksichtigung von Währungs-Swap-Geschäften hat sich der Bestand in diesem Jahr zwar um knapp 10 % verringert, aber auch dies ist noch kein Alarmsignal für den Real. Geldpolitik belastetSchlussendlich ist festzustellen, dass umfangreiche Devisenreserven zwar einen willkommenen Puffer gegen Abwertungen und Währungsschwankungen darstellen, was jedoch nicht gleichbedeutend mit einer stabilen Währungsentwicklung ist. Dies zeigen die Türkei und Brasilien sehr deutlich: Obschon sie beim Bestand der Währungsreserven deutlich divergieren, sind beide Währungen in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten. Hieran lässt sich erkennen, dass die Marktteilnehmer eben nicht nur ein Kriterium im Auge haben, sondern auch andere Faktoren (expansive Geldpolitik sowie inkonsequente Politik) belastend wirken. *) Stefan Grothaus und Tobias Gruber sind Devisenanalysten bei der DZ Bank.