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Warum wir China positiv beurteilen

Börsen-Zeitung, 22.3.2017 Die Kernaussage der jüngsten Studie von Morgan Stanley "Warum wir China positiv beurteilen" ist, dass chinesische Aktien Schwellenländeraktien künftig weiterhin übertreffen können, wie sie es schon seit einiger Zeit tun....

Warum wir China positiv beurteilen

Die Kernaussage der jüngsten Studie von Morgan Stanley “Warum wir China positiv beurteilen” ist, dass chinesische Aktien Schwellenländeraktien künftig weiterhin übertreffen können, wie sie es schon seit einiger Zeit tun. Über die letzten 15 Jahre hat der MSCI China den MSCI EM kumulativ gesehen um 5 000 Basispunkte oder rund 3 % pro Jahr geschlagen. Auch über fünf und zehn Jahre hat sich China besser entwickelt als die Schwellenländer – und das nicht zu knapp. Über diese Zeiträume betrugen die Gesamtrenditen durchschnittlich 5 % pro Jahr (in Dollar) – und 13 % pro Jahr über die letzten 15 Jahre. Rekordhohe UntergewichtungFür uns ist eine Übergewichtung in chinesischen Aktien in unserer empfohlenen Allokation für in Schwellenländer investierte Kunden nicht ungewöhnlich. Unser struktureller Optimismus in den zehn Jahren, in denen ich mich mit chinesischen Aktien bei Morgan Stanley befasse, unterscheidet sich erheblich von der Konsensmeinung unter globalen Anlegern und sogar Schwellenländerspezialisten, die China untergewichtet haben und dies weiterhin so halten. Die letztere Gruppe hält tatsächlich eine nahezu rekordhohe Untergewichtung in China gegenüber der Benchmark von aktuell 500 Basispunkten. Schwellenländerspezialisten waren in den letzten 15 Jahren in China ausschließlich untergewichtet.Worüber ist die Masse der Anleger also so besorgt, und welche von uns als positiv erachteten Faktoren lässt sie außer Acht? Unseres Erachtens hat sich die Konsensmeinung über China schon immer zu stark in gesamtwirtschaftlichen Themen verfangen, insbesondere in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Schulden, die Überschusskapazitäten und unlängst auch das Wechselkursrisiko. Die Masse der Anleger hat sich nicht ausreichend auf die Identifizierung der Quellen von Chinas überdurchschnittlicher Wertentwicklung konzentriert. Der Markt hatte über den Konjunkturzyklus hinweg nämlich eine wesentlich höhere Eigenkapitalrendite (ROE) als der Durchschnitt der Schwellenländer – und damit ein höheres Gewinnwachstum auf Dollar-Basis. Die Wurzeln dieses Phänomens liegen unserer Meinung nach nicht so sehr in einer immer höher verschuldeten Wirtschaft – auch wenn das der Fall war -, sondern in einem Aktienmarkt, der sich schneller als die Gesamtwirtschaft entwickelt, indem er sich mehr auf Konsum und Dienstleistungen konzentriert und der Privatsektor eine immer größere Rolle einnimmt. Privatsektor geht in Führung2005 verkörperten nichtstaatliche Sektoren nur 5 % der Marktkapitalisierung des MSCI China. 2016 war es beinahe die Hälfte, und wir prognostizieren in unserer Studie, dass nicht in Staatsbesitz befindliche Unternehmen bis 2020 70 % der Marktkapitalisierung ausmachen werden. Nichtstaatliche Unternehmen, darunter bekannte Namen wie Alibaba und Tencent, haben ein höheres Umsatzwachstum und einen geringeren Verschuldungsgrad als ihre staatlichen Mitbewerber. Sie haben den Markt über den Konjunkturzyklus hinweg deutlich übertroffen, da sie vorwiegend im IT-, Konsumgüter- und Gesundheitssektor tätig sind – Sektoren, die gemäß unserer Einschätzung in der Studie Chinas Weg zu einer ertragsstarken Wirtschaft weiterhin vorantreiben werden. In unserer Studie identifizieren wir 50 chinesische Unternehmen in diesen New-Economy-Sektoren, die zu den sogenannten “Einhörnern” zählen. Das sind Firmen, die vor ihrem Börsengang am Privatmarkt mit über 1 Mrd. Dollar bewertet werden. Das ist mehr als die Anzahl an Einhörnern im Rest der Welt zusammengenommen (außer den USA). Relativer BewertungsanstiegWas unsere aktuelle Marktmeinung betrifft, würden wir gerne Folgendes betonen: Der MSCI China wird mit einem Bewertungsaufschlag von etwa 5 % gegenüber den Schwellenländern gehandelt (mit einem Trailing-KBV von 1,6) und bietet mit einer Eigenkapitalrendite von 12 % dennoch einen ROE-Aufschlag von 20 %. Was das Gewinnwachstum anbelangt, haben wir für 2017 für China und die Schwellenländer ähnliche Prognosen im niedrigen zweistelligen Bereich, in beiden Fällen nach zwei schlechten Jahren für die Gewinne. Unsere höhere Renditeprognose für China resultiert jedoch aus unserer Erwartung eines relativen Bewertungsanstiegs, von etwa Parität aktuell bis zu einem Aufschlag von 10 % bis zum Jahresende. Der Katalysator für diese Neubewertung ist unseres Erachtens keine rapide Umkehr der Untergewichtung von ausländischen Investoren in China, die unserer Meinung nach aber trotzdem reduziert werden wird, sondern stark erhöhte Southbound-Connect-Mittelflüsse vom chinesischen Festland nach Hongkong. Diese Geldflüsse stammen zunehmend von institutionellen Investoren, die die günstigeren Bewertungen von H-Aktien gegenüber A-Aktien von zweifach börsennotierten Unternehmen ausnutzen. Qualitätsunternehmen wie Tencent, China Mobile und AIA, die in Hongkong gelistet sind, aber nicht auf dem Festland, bieten inländischen Investoren außerdem Diversifikationsvorteile. Diese Southbound-Mittelflüsse betragen seit Jahresbeginn fast 1 Mrd. Dollar pro Woche, und wir erwarten kumulativ zwischen 30 und 50 Mrd. Dollar für das Gesamtjahr 2017.Der breitere Kontext für Aktien vom chinesischen Festland ist, dass Anleger Anleihen und Immobilien den Rücken kehren und sich angesichts höherer Inflation und nachfrageseitigen regulatorischen Maßnahmen am Immobilienmarkt erneut Aktien mit einem sich bessernden Gewinnwachstumsausblick zuwenden. Unterdessen hat die inländische Regulierungsbehörde ihren Plan von August 2015 umgesetzt, einheimischen Pensionsfonds eine Investition von bis zu 30 % ihres Nettovermögens in Aktien zu erlauben (im Vergleich zu vormals 0 %). Der staatliche Pensionsfonds vergab letzten Dezember Mandate an 21 Vermögensverwaltungsgesellschaften für eine Anlage in Aktien, und diese Gelder werden seit letztem Monat am lokalen Aktienmarkt angelegt. Gewinnwachstum erholt sichSchlussendlich ist der Ausblick für chinesische Aktien sowohl aus strukturellen als auch zyklischen Gesichtspunkten positiv. Unseres Erachtens sind die Bewertungen vernünftig, das Gewinnwachstum erholt sich, und es fließt immer mehr langfristiges institutionelles Kapital in den Markt.—-Jonathan Garner, Chief Asia and Emerging Market Equity Strategist bei Morgan Stanley