Wenn der Fan zum Gläubiger wird
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Die sportlichen Glanzzeiten an der Weser sind schon seit über einem Jahrzehnt vorbei. Statt Dauergastspielen im Europapokal und Meisterrennen in der Bundesliga heißt die triste Realität für Werder Bremen heute Tabellenmittelfeld, bisweilen sogar Abstiegskampf. Weil Fußballvereine aber in finanzieller Hinsicht auf sportlichen Erfolg angewiesen sind, – Spitzenmannschaften erhalten einen höheren Anteil der Mittel aus der Fernsehvermarktung, über die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb winken gewaltige Preisgelder – fehlen den Hanseaten lukrative Einnahmequellen.
Geisterspiele schmerzen
Zu Coronazeiten, in denen Ticketerlöse wegbrechen, tut das besonders weh. Für das Geschäftsjahr 2019/20 vermeldeten die Grün-Weißen einen Rekordverlust von 23,7 Mill. Euro, beim Eigenkapital steht ein Minus von 16 Mill. Euro. Deshalb prüft Werder verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten: Im Raum steht eine Mittelstandsanleihe im Volumen von 15 bis 20 Mill. Euro, doch auch eine Fananleihe hat die Vereinsführung nicht ausgeschlossen.
Der viermalige deutsche Meister wäre nicht der erste Fußballclub, der sich in der Not an seine Anhänger wendet. Auch weitere Bundesligisten wie der 1. FC Köln, Hertha BSC und Schalke 04 haben diesen Weg bereits mehrfach gewählt. Hinzu kommen zahlreiche unterklassige Vereine, darunter noch immer prominente Namen wie der Hamburger SV. Aber auch bereits in der Versenkung verschwundene Traditionsclubs wie Alemannia Aachen oder Rot-Weiß Erfurt begaben einst Fananleihen.
Die Zinssätze erscheinen für sich betrachtet attraktiv, trotzdem sind die Konditionen für die Vereine meist weitaus günstiger als bei einem Bankkredit im gleichen Umfang. Ausgestaltet sind die Papiere zumeist in verhältnismäßig kleinen Stückelungen und mit einfachen Bedingungen, börsennotiert sind nur die wenigsten von ihnen.
Selbst wenn, hält sich der Handelsumsatz aber meist in engen Grenzen: Bei der 2012 begebenen und 2019 ausgelaufenen Jubiläumsanleihe des HSV lag er an der Börse Hamburg bei 15000 bis 60000 Euro täglich. Die meisten Investoren dürften in den Anleihen Fanartikel sehen, mit deren Erwerb sich der Lieblingsclub unterstützen lässt. Wer Gläubiger seines Herzensvereins wird, lässt sich die Schuldverschreibung häufig durch eine Schmuckanleihe, illustriert mit dem Foto eines Spielers oder Maskottchens, einzelverbriefen. Diese Urkunden werden meist über den Verfallstag hinaus aufbewahrt – ihr Nominalwert ist in der Regel so gering, dass sich ein Ausschneiden und Einlösen des Zinskupons für den Fan kaum lohnen würde.
„Emotional besetzte Themen bereichern den Kapitalmarkt, doch ein stabiles Geschäftsmodell sollte Grundvoraussetzung für Anleiheemittenten bleiben“, kommentiert Axel Rose aus dem Corporate-Actions-Team der BankM. Nur wenige Clubs verfügten aber über die nötige Planungssicherheit, da einzelne Situationen auf dem Spielfeld über das Geschick des Vereins entscheiden könnten. Wie hoch das Risiko sei, zeige sich bei Schalke 04. Der Bundesligist ist seit 2016 mit einer Mittelstandsanleihe im Frankfurter Freiverkehr vertreten – die größere Tranche besitzt eine Laufzeit von sieben Jahren und einen Kupon von 5%, die kleinere wird bereits im Juli fällig. Bei einem Kupon von 4,25% schnellte deren Rendite zuletzt zeitweise auf über 30% in die Höhe. Die Entwicklung ist laut Rose ein Zeichen dafür, dass Fußballbonds allgemein nicht risikoadäquat verzinst werden.
Lange Negativhistorie
Bei Fananleihen sei die Historie von Misserfolgen bereits lang: Die Fans von Arminia Bielefeld mussten 2011 die Rückzahlung der 2006 aufgenommenen Mittel für den Stadionumbau stunden. Alemannia Aachen hatte 2008 die sogenannte Tivoli-Anleihe begeben, um den Bau des neuen Stadions stemmen zu können. Der Verein verhob sich bei dem Projekt gewaltig, schließlich war die Stadt gezwungen, mit einer Ausfallbürgschaft über 5,5 Mill. Euro einzuspringen und die Insolvenz zu verhindern.
Jüngstes Beispiel für Fehlschläge mit Fananleihen ist der 1. FC Kaiserslautern. Dieser hatte erst 2019 über die sogenannte Betze-Anleihe II 1,9 Mill. Euro eingespielt, musste aber wenige Monate später Insolvenz in Eigenverantwortung beantragen. Im Herbst bat der Verein seine Gläubiger um die Stundung der Zinsen für 2020 und 2021 – ohne Erfolg, da an einer Abstimmung im Rahmen einer Gläubigerversammlung weniger als 50% des Kapitals teilnahmen. Das Insolvenzverfahren ist zwar abgeschlossen, dennoch drücken die Vereins-Muttergesellschaft Verpflichtungen von rund 5 Mill. Euro – darunter auch die Rückzahlung der Fananleihe im Jahr 2022.