IM BLICKFELD

Wenn Regulierung zum politischen Pfand mutiert

Von Dietegen Müller, Frankfurt Börsen-Zeitung, 6.8.2019 Äqui - was? Das Thema der Anerkennung von Drittstaaten-Regulierungsrahmen - Äquivalenz - lockt Finanzmarktteilnehmern in der Regel ein müdes Lächeln oder Schulterzucken hervor. Es ist ein...

Wenn Regulierung zum politischen Pfand mutiert

Von Dietegen Müller, FrankfurtÄqui – was? Das Thema der Anerkennung von Drittstaaten-Regulierungsrahmen – Äquivalenz – lockt Finanzmarktteilnehmern in der Regel ein müdes Lächeln oder Schulterzucken hervor. Es ist ein Thema für einige Anwälte, Regulierungsexperten und Politiker, so scheint es. Doch ist auch in Deutschland durch die Nichtverlängerung der Schweizer Börsenäquivalenz durch die EU-Kommission so manchem klar geworden, dass Äquivalenzfragen das Potenzial haben können, Sand ins Getriebe der Finanzmärkte zu streuen.Seit Juli sind Schweizer Aktien nicht mehr an EU-Börsen handelbar. Die Schweizer Regierung hat auf den Entzug der EU-Börsenäquivalenz umgekehrt EU-Börsenplätzen die Erlaubnis zum Handel mit Schweizer Aktien aberkannt. In vorauseilendem Gehorsam haben die EU-Börsenbetreiber daraufhin den börslichen Handel mit Schweizer Aktien eingestellt. Dies, obwohl bislang keine EU-Institution festgestellt hat, dass die schweizerische Börsenregulierung technisch nicht äquivalent ist.Die EU-Kommission hatte die Aberkennung nur politisch begründet, und zwar damit, um Druck auf die Schweiz auszuüben, damit die seit den Neunziger Jahren gewachsenen, komplizierten Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU endlich in ein umfassendes Rahmenabkommen überführt werden.Bisher mag dies als Petitesse erscheinen. Abgesehen davon, dass einige deutsche Privatanleger keinen Sparplan mehr auf Schweizer Aktien laufen lassen können, halten sich die Folgen daraus in engen Grenzen. So kann weiter in der EU außerbörslich (vulgo: “im Dunkeln”) gehandelt werden, und wem diese Möglichkeit nicht offensteht, kann zu höheren Gebühren auch in der Schweiz seine Nestlé-Aktien kaufen und verkaufen. Six-Handel legt markant zuZu den finanziellen Auswirkungen der Aberkennung der Schweizer Börsenäquivalenz für EU-Börsenbetreiber ist bisher nichts bekannt. Tradegate und CBOE Europe halten sich auf Anfrage dazu bedeckt, Deutsche Börse nennt keine Zahlen zu entgangenen Gebühren und verweist auf frühere Aussagen, wonach ein Handelsvolumen um rund 3,8 Mrd. Euro (Stand 2017) betroffen sein dürfte.Anders bei der Schweizer Börse Six, wo der Handelsumsatz im traditionell flauen Juli im Jahresvergleich um 26 % gestiegen ist (Aktientransaktionen +74 %). Profitiert haben auch Banken im Schweizer Aktienhandel wie Vontobel. Stand heute ist die Aberkennung der Äquivalenz für EU-Anbieter ein Verlustgeschäft.Doch die Kalkulation der EU-Kommission wird eine andere sein. Sie will den Binnenmarkt und die – stark ausbaufähige – Kapitalmarktunion durch eine regelmäßige Überprüfung von Drittländer-Äquivalenzentscheidungen stärken. Bis dato hat die EU über 280 solche Entscheidungen getroffen, und dies für über 30 verschiedene Länder. In der europäischen Gesetzgebung gibt es rund 40 Stellen, an denen die EU-Kommission die Kompetenz erhalten hat, um Äquivalenzentscheidungen vorzunehmen. Nicht alle davon seien bisher genutzt worden, hält die EU-Behörde in einem Ende Juli vorgelegten Papier zur Äquivalenz im Bereich der Finanzdienstleistungen fest.Äquivalenzentscheidungen seien “unilaterale Ermessensentscheidungen”, im Einklang mit den “Prioritäten der Union und den Interessen der EU-Finanzmärkte”, heißt es dabei. Die EU-Kommission wolle “Proportionalität” walten lassen, was bedeute, dass sie “stärkere Zusicherungen” von “High-Impact-Staaten” erwarten könne. Die EU-Kommission könne Äquivalenz “in Teilen” gewähren oder für ein “gesamtes Rahmenwerk eines Drittlands für spezifische Einheiten, Produkte oder Dienstleistungen oder für Kategorien daraus oder für einige der zuständigen Aufsichtsbehörden”. Rating-Äquivalenz gekipptDies weckt in Großbritannien die Sorge, dass nach einem ungeregelten Brexit die EU nach Gutdünken entscheidet, welche Dienstleistungen des Finanzplatzes London noch für die EU-27 zugelassen bleiben. Befürchtet wird eine politisch motivierte Entscheidung. Das Beispiel Schweiz legt dies nahe – ganz grundlos ist diese Befürchtung nicht. Auch hat die EU-Kommission Ende Juli die Äquivalenz für Ratingagenturen aus Kanada, Singapur, Brasilien, Australien und Argentinien aberkannt. Bemängelt wurde in der Begründung etwa der mangelhafte Schutz der Unabhängigkeit der Rating-Entscheidungen (Insiderinformationen) sowie fehlende formalisierte Fehlerkorrekturprozesse. Die Argumentation war hier somit aber rein technisch geprägt.Spannungen zeichnen sich auch mit den USA ab, was die Beurteilung der Systemrelevanz von aus europäischer Sicht systemrelevanten Clearinghäusern und damit einer europäischen Aufsicht über große US-Clearinghäuser anbelangt. In den USA stoßen die Kriterien der EU-Marktaufsicht ESMA auf harsche Kritik (vgl. BZ vom 3. August). Die US-Derivatebehörde CFTC drohte schon früher mit Konsequenzen für EU-Marktteilnehmer, sollte die EU an ihren Plänen festhalten und einzelne US-Clearinghäuser der direkten Aufsicht unterstellen. Betroffen wäre dann wohl auch die Deutsche-Börse-Tochter Eurex, deren Geschäft mit US-Kunden CFTC-lizenzpflichtig ist.Da die EU die Äquivalenz im Fall der Schweiz als politische Waffe genutzt hat, steht nun jede ihrer Forderungen unter dem Verdacht, politische Motive zu haben. Für konstruktive Verhandlungen – das betroffene Drittland spielt dann die Opferrolle – ist dies keine gute Ausgangslage. Bereits ist zu hören, dass im Falle eines No-Deal-Brexit erneut der Aktienhandel in der EU betroffen sein dürfte: In Frankfurt und auf Xetra sind über 500 Aktien mit britischer Wertpapierkennnummer notiert. Folgen für KapitalmarktunionAn sich sinnvolle Ansätze der EU – Bekenntnis zur weltweiten regulatorischen Konvergenz, zur Schärfung des Blicks auf mögliche grenzüberschreitende Systemstabilitätsrisiken, auf Marktintegrität und Anlegerschutz sowie für ein Level Playing Field im Binnenmarkt – drohen durch die Verpolitisierung der Äquivalenz unterminiert zu werden. Florence Bindelle, Generalsekretärin des Europäischen Emittentenverbands European Issuers, der Lobby für gelistete Unternehmen, befürchtet etwa, ein Äquivalenzentzug könne zu einer stärkeren Marktfragmentierung und zu geringerer Liquidität und Tiefe im Kapitalmarkt der EU-27 führen, sollte die EU nicht “entschiedene Schritte” unternehmen, um für tiefere und besser integrierte Märkte zu sorgen.Offen ist, welchen Weg die neu gebildete EU-Kommission in Äquivalenzfragen gehen wird. Das EU-Parlament hat aber Interesse angemeldet, in den Entscheidungsprozess der EU-Kommission über Drittstaaten-Äquivalenz Mitbestimmung zu erhalten (vgl. BZ vom 23. Juli). Aus Sicht des Finanzmarktes dürfte dies die Unberechenbarkeit erhöhen: Die Vorlage von Äquivalenzfragen im Parlament birgt zusätzliches Überraschungspotenzial.